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Foucaults Theorie der -Disziplinargesellschaft -S -S -S -SAdorno, Luhmann: Die moderne Gesellschaft zwischen -Selbstreferenz und Selbstdestruktion -S -S -S -S'Nicht der Anfang, das Ende tr„gt die Last'. -SFriedrich Georg Jnger und die Perfektion der Technik -S -S -S -SDer Nihilismus der Geschwindigkeit. -SZum Werk Paul Virilios -S -S -S -STechnik und Wissenschaft als Hierophanie -S -S -S -SG”tterd„mmerung -S -SPA -SVorwort -S -S -S -S -S -S -S... Wir ordnens. Es zerf„llt. -S Wir ordnens wieder und zerfallen selbst. -S Rilke, Duineser Elegien -S -SDie Gegenwart, so versichert man uns seit einiger Zeit, stehe im -Zeichen eines groáen Verschwindens. Die Metaerz„hlungen, welche -die Spielregeln des modernen Wissens legitimierten, l”sten sich -auf oder verl”ren an Glaubwrdigkeit; die Diskurse ber die -Dialektik des Geistes, die Hermeneutik des Sinns oder die -Emanzipation der Gattung enthllten sich als Fabeln, denen keine -Funktion mehr zukomme (Lyotard 1986, 13f.). Die Fundamente der -neuzeitlichen Metaphysik wrden brchig, das Ende des -Humanismus, der Subjektivit„t, ja der Moderne schlechthin -kndige sich an (Vattimo 1990, 52f.). Das Wissen selbst sprenge -im Zuge seiner Entfaltung die vereinheitlichenden, -universalisierenden, totalisierenden Ambitionen, mit denen es -seit Descartes belastet sei. Relativit„tstheorie und -Quantenphysik bewirkten eine Grundsatzrevision, eine "Mutation -im Kern der Neuzeit", an der der Absolutheitsanspruch der alten -Mathesis universalis zerbreche. Aufl”sung des Ganzen, Ende der -Einheit, Obsoletheit der Totalit„t: "Absolutheit ist nur noch -eine Idee, ein archimedischer Punkt ist undenkbar, das Operieren -ohne letztes Fundament wird zur Grundsituation" (Welsch 1988, -187). -S -SDem Verschwinden der Totalit„t, heiát es weiter, korrespondiert -das Erscheinen der Pluralit„t, dem 'Koma der Moderne' (Matthieu) -die Geburt der Postmoderne. Wo der szientifische Diskurs der -Moderne nur den Kult einer monotheistischen Vernunft kannte, -begreift sich der Postmodernismus als Anwalt des Polytheismus, -als "Wahrer einer vielf„ltigen Wirklichkeit gegen ihre -technologische Eintrbung" (ebd. 221 f.); wo einst die -Monokultur eines technologischen Zeitalters sich ausbreitete, -blht heute eine bunte Vielfalt von Horizonten, Lebenswelten, -Wissensformen. Die Postmoderne 'verwindet' die Metaphysik -(Vattimo 1990, 53); sie beharrt gegenber der homogenisierenden -Gewalt des ”konomischen Diskurses auf der "Heterogenit„t der -Satz-Regelsysteme und Diskursarten" (Lyotard 1987, 263) und -zeigt sich aggressiv gegen jede Totalisierung. "Krieg dem -Ganzen, zeugen wir fr das Nicht-Darstellbare, aktivieren wir -die Widerstreite, retten wir die Ehre des Namens" (Lyotard 1988, -203). Auch wenn in diesem Krieg noch einige Schlachten verloren -gehen sollten, glaubt die Postmoderne die st„rkeren Bataillone -auf ihrer Seite zu haben. Sie will gegenber Technik und -™konomie das umfassendere Deutungsmuster sein und nicht nur die -Entwicklungslogik des Wissens, sondern auch die der Gesellschaft -fr sich haben (Welsch 1988, 218, 4). Das Verschwinden des -Ganzen sei nicht mehr aufzuhalten, die Freisetzung der Teile -unvermeidlich. "Die Postmoderne beginnt dort, wo das Ganze -aufh”rt" (ebd. 39). -S -SNun gibt es wenig Grnde, die Moderne vor der Kritik zu -schtzen. Die meisten der gegen sie vorgetragenen Gravamina -bestehen zu Recht. Es gibt aber auch keinen Grund, sich einem -Feldzug anzuschlieáen, der auf einer so fragwrdigen -Lagebeurteilung wie der soeben skizzierten beruht. Zun„chst -einmal ist v”llig ungekl„rt, um welche Art von Pluralit„t es -sich handelt, die den Holismus der Moderne ersetzen soll: um -eine Pluralit„t, die aus der Gleichzeitigkeit des -Ungleichzeitigen resultiert, also lediglich ein Ensemble noch -nicht vermittelter Vielheit ist; um die Differenzierungsprodukte -einer Einheit, die noch im Auáersichsein bei sich selbst ist - -Pluralit„t … la Hegel; oder um eine materiale, irreduzible -Pluralit„t, an der jeder Homogenisierungsversuch scheitert. Nur -diese letztere lieáe sich aussichtsreich mobilisieren, aber auch -nur dann, wenn sie strategische Relevanz besitzt und nicht bloá -marginaler Natur ist. Lyotards Eingest„ndnis, das einzige -unberwindliche Hindernis fr die hegemonialen Tendenzen des -”konomischen Diskurses liege in der Heterogenit„t der Satz- -Regelsysteme, deutet jedoch genau in diese Richtung. Wer der -zerst”rerischen Gewalt der Moderne nur S„tze entgegenzusetzen -hat, hat ihr schon nichts mehr entgegenzusetzen. -S -SSchlieálich sind auch die Bundesgenossen, auf die sich der -Postmodernismus glaubt sttzen zu k”nnen, alles andere als -vertrauenerweckend. Es mag ja sein, daá mit den Innovationen von -Einstein, Heisenberg und G”del der Totalit„tsanspruch der alten -Mathesis universalis unhaltbar geworden ist. Aber erstens ist -das mechanische Weltbild durch die neuere Physik nicht einfach -widerlegt, sondern lediglich auf den mesokosmischen Bereich -eingeschr„nkt worden. Und zweitens kann man den Vorstoá von -Wissenschaft und Technik in den mikro- und makrokosmischen -Bereich kaum als Beleg fr eine "Einschr„nkung des -Monopolanspruchs der Wissenschaft" oder als Anzeichen fr eine -Beendigung der "Hegemonie szientifischer Orientierung" nehmen -(Welsch 1988, 188, 222). Die Flexibilisierung der Wissenschaft -und die Erweiterung ihres Methodenarsenals begrnden ihre -Expansion, nicht ihre Selbstlimitation. -S -SWie die Postmodernisten ihre eigenen St„rke bersch„tzen, so -untersch„tzen sie die des Gegners. Die Rede von den groáen -Erz„hlungen suggeriert, daá Totalit„t nichts weiter sei als eine -"Anmaáung" (Lyotard 1988a, 213), eine falsche Darstellung der -Welt, die sich jederzeit durch eine ad„quatere korrigieren -lieáe; der Diskurs der Moderne erscheint so als das Ergebnis -einer immer schon "illegitimen Erhebung eines in Wirklichkeit -Partikularen zum vermeintlich Absoluten" (Welsch 1988, 5), als -šbergriff, dem kritizistisch mit dem Hinweis auf die begrenzten -Kompetenzen des Denkens zu begegnen ist. So ungef„hr -argumentierten vor Jahrzehnten schon Popper und Albert, die sich -weit mehr dafr interessierten, den Dialektikern totalit„re -Ambitionen nachzuweisen, als den totalisierenden Tendenzen in -der Wirklichkeit nachzugehen. Totalit„t ist aber keine Erfindung -herrschschtiger Intellektueller, sondern eine Realit„t, die -sich nicht einfach wegdekretieren l„át. Sie manifestiert sich in -der Tendenz des Kapitals, "alle Elemente der Gesellschaft sich -unterzuordnen oder die ihm noch fehlenden Organe aus ihr heraus -zu schaffen" (Marx 1974, 189); sie zeigt sich in der -Universalisierung und Globalisierung der dem Kapitalverh„ltnis -eigenen Produktions- und Zirkulationsformen; und nicht zuletzt -in der massiven Expansion der experimentellen Wissenschaften, -die immer tiefer in die Infrastrukturen der Materie -intervenieren und l„ngst keine Grenzen mehr kennen. Nicht daá -dem Postmodernismus dies v”llig entginge. Aber die forcierte, -wie immer auch inzwischen zurckgenommene oder relativierte -Behauptung einer Postmoderne, eines Zustands also jenseits der -fr die Moderne typischen Totalisierung, deutet auf eine -Verharmlosung, die nicht anders als leichtfertig bezeichnet -werden kann. Wer fr ein 'Denken des Genusses' eintritt (Vattimo -1990, 192), mag dies tun, er drckt damit ohnehin nur die -herrschende Orientierung aus. Er sollte aber nicht die Illusion -verbreiten, es handle sich um mehr als den Genuá von -Henkersmahlzeiten. Das Ende der Moderne wird nicht der Aufgang -der Postmoderne sein, sondern das Ende der Welt, genauer: der -bewohnbaren Welt. -S -SSo jedenfalls legt es die dialektische Denkbewegung nahe, die -das Verh„ltnis von Erscheinen und Verschwinden ganz anders faát -als der Postmodernismus. W„hrend der letztere das Signum der -Epoche im Verschwinden der Einheit und im Erscheinen -vermittlungsloser Vielfalt sieht, insistiert das dialektische -Denken seit Hegel darauf, daá die unvermittelte Vielfalt -verschwindet und von einer absoluten, in sich differenzierten -Einheit abgel”st wird. Die Hegelsche Logik analysiert die -Bewegung vom scheinenden zum erscheinenden Wesen, in deren -Verlauf die dem Wesen eigenen Bestimmungen als reale und -selbst„ndige Vermittlungen in die Existenz treten; die -Geschichtsphilosophie bersetzt diesen Gedanken in einen -historischen Prozeá, dessen markanteste Stationen das Erscheinen -des G”ttlichen in Christo und die Realisierung der Vernunft im -modernen Staate sind. Marx „uáerte hieran berechtigte Zweifel -und verschob die wahre Vers”hnung auf den Sozialismus. Am -Grundgedanken hielt er nichtsdestoweniger fest. Auch fr ihn ist -die Heterogenit„t der modernen Gesellschaft - die 'Konkurrenz' - -nichts Neues oder Eigenst„ndiges gegenber dem Wesen, sondern -dessen Erscheinungsform. Denn das Wesen der modernen -Gesellschaft - das Wertgesetz - besteht gerade darin, als -Negation seiner selbst zu erscheinen, so daá der Erscheinung der -Schein von Selbst„ndigkeit zukommt. "Innerhalb des -Wertverh„ltnisses und des darin einbegriffenen Wertausdrucks -gilt das abstrakt Allgemeine nicht als Eigenschaft des -Konkreten, Sinnlich-Wirklichen, sondern umgekehrt das Sinnlich- -Konkrete als bloáe Erscheinungs- oder bestimmte -Verwirklichungsform des Abstrakt-Allgemeinen (...). Diese -Verkehrung, wodurch das Sinnlich-Konkrete nur als -Erscheinungsform des Abstrakt-Allgemeinen, nicht das Abstrakt- -Allgemeine umgekehrt als Eigenschaft des Konkreten gilt, -charakterisiert den Wertausdruck" (Marx 1867, 771). -S -SDiese Konzeption ist festzuhalten, weil sich nur mit ihrer Hilfe -Einsicht in die komplizierte Architektur der modernen -Gesellschaft gewinnen l„át. Sie ist aber zugleich zu -modifizieren, weil Marx, darin ganz Kind des 19. Jhs., die -selbstzerst”rischen Zge der Wertvergesellschaftung -untersch„tzte. Gewiá, Marx sah genau, daá die kapitalistische -Produktionsweise die "Springquellen allen Reichtums untergr„bt: -die Erde und den Arbeiter" (MEW 23, 530). Er erkannte ferner mit -einer Klarheit wie niemand vor ihm, welches selbstnegatorische -Potential mit dem wachsenden Widerspruch zwischen notwendiger -und berflssiger Arbeitszeit entsteht (Marx 1974, 592ff.). -Indes war er felsenfest davon berzeugt, daá, wenn schon nicht -das Kapital, so doch die Menschheit imstande sein wrde, sich -wie Mnchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Der -Speer, der die Wunde schlug - die Wissenschaft - galt ihm als -poena et remedium peccati. Wenn die verwissenschaftlichte -Produktion unter kapitalistischen Bedingungen den Stoffwechsel -zwischen Mensch und Erde st”rte, so zwang sie doch zugleich -"durch die Zerst”rung der bloá naturwchsig entstandnen Umst„nde -jenes Stoffwechsels, ihn systematisch als regelndes Gesetz der -gesellschaftlichen Produktion und in einer der vollen -menschlichen Entwicklung ad„quaten Form herzustellen" (MEW 23, -528). Wenn sie die Arbeitsmittel in "Unterjochungsmittel, -Exploitationsmittel und Verarmungsmittel des Arbeiters" -verwandelte und die "gesellschaftliche Kombination der -Arbeitsprozesse als organisierte Unterdrckung seiner -individuellen Lebendigkeit, Freiheit und Selbst„ndigkeit" -betrieb (ebd. 528f.), so folgte sie damit nur einer geheimen -Logik, die das, was sie den Individuen nahm, der Gattung in -tausendfach vergr”áerter Form zurckerstattete. Fr Marx war die -kapitalistische Modernisierung, wie fr die meisten brgerlichen -Denker, ein antientropischer Prozeá, der, von partiellen -Rckf„llen abgesehen, mit Naturnotwendigkeit zu h”heren -Ordnungen fhrte - und zwar deshalb, weil sich hinter dem Wesen -'Kapital' noch ein weit umfassenderes Wesen befand: die -Menschheit. Was immer die Althusser-Schule an Gegenargumenten -gebracht hat: Marx hat, soweit er Revolutionstheoretiker sein -wollte, den anthropologischen Diskurs niemals verlassen. -S -SDer anthropologische Diskurs aber macht blind. Er zwingt dazu, -die Bewegung des Scheins als eine Scheinbewegung anzusehen und -die mit ihr verbundenen Zerst”rungen in Fortschritte umzudeuten. -Erst wenn Klarheit darber besteht, daá das Kapitalverh„ltnis -nicht das Werkzeug oder der Wegbereiter eines sich in der -Geschichte entfaltenden Absolutums - der menschlichen Gattung - -ist, sondern selbst das Absolute, erst dann werden die Folgen -seiner Expansion als das erkennbar, was sie sind: Momente einer -beispiellosen Verheerung und Verwstung, die zeitlich und -r„umlich begrenzte Ordnungsgewinne mit einer Steigerung der -Unordnung in der Umgebung erkauft. Erst dann kann aber auch -deutlich werden, daá dieses Absolute - die von allen -Umweltbezgen abgel”ste 'reine Gesellschaft' - nur auf Zeit -existiert, da es im gleichen Maáe, in dem es sich ausdehnt, die -Bedingungen seiner Existenz zerst”rt. Wir sind schon zu tief in -diesen Prozeá verstrickt, um an seiner Grundrichtung noch etwas -„ndern zu k”nnen. Das Bewuátsein darber, daá die Gesellschaft -des Erscheinens in Wahrheit eine Gesellschaft des Verschwindens -ist, k”nnte aber vielleicht dazu beitragen, das Tempo des -Erscheinens (und damit auch: des Verschwindens) zu verlangsamen. -Die Transformation der Anthropologie in Entropologie, wie sie -Claude L‚vi-Strauss schon vor langer Zeit gefordert hat, w„re -dazu ein erster Schritt: -S -S"Die Welt hat ohne den Menschen begonnen und wird ohne ihn enden. Die Institutionen, die Sitten und Gebr„uche, die -ich mein Leben lang gesammelt und zu verstehen versucht habe, sind die verg„nglichen Blten einer Sch”pfung, im -Verh„ltnis zu der sie keinen Sinn besitzen; sie erlauben bestenfalls der Menschheit, ihre Rolle im Rahmen dieser -Sch”pfung zu spielen. Abgesehen davon, daá diese Rolle dem Menschen keinen unabh„ngigen Platz verschafft und -daá sein berdies zum Scheitern verurteiltes Bemhen darin besteht, sich vergeblich gegen den universalen Verfall zu -wehren, erscheint der Mensch selbst als Maschine - vollkommener vielleicht als die brigen -, die an der Aufl”sung einer -ursprnglichen Ordnung arbeitet und damit die organisierte Materie in einen Zustand der Tr„gheit versetzt, der eines -Tages endgltig sein wird. Seitdem der Mensch zu atmen und sich zu erhalten begonnen hat, seit der Entdeckung des -Feuers bis zur Erfindung der atomaren Vorrichtungen, hat er - auáer wenn er sich fortgepflanzt hat - nichts anderes getan -als Millionen von Strukturen zerst”rt, die niemals mehr integriert werden k”nnen ... Statt Anthropologie sollte es -Entropologie heiáen, der Name einer Disziplin, die sich damit besch„ftigt, den Prozeá der Desintegration in seinen -h”chsten Erscheinungsformen zu untersuchen" (L‚vi-Strauss 1970, 366f.). -S -SDie in diesem Band gesammelten Studien suchen die M”glickeit -einer solchen dialektischen Entropologie auszuloten. Dies -geschieht in einem eher indirekten Verfahren, das den neuerdings -so gern erhobenen apokalyptischen Tonfall so weit wie m”glich zu -temperieren bemht ist - nicht aus einer Skepsis gegen den -apokalyptischen Gedanken als solchen (fr den die Kritiker in -diesem Buch gengend Belege finden werden), sondern aus -Abneigung gegen die wohlfeile Instrumentalisierung, die er in -der Regel erf„hrt. Ist von der Apokalypse die Rede, so selten -ohne den Verweis auf die Rettung, auf den neuen positiven -Zustand, der durch allerlei Patentrezepte herbeigefhrt werden -soll: durch weniger Konsum und mehr Spiritualit„t, weniger -Wachstum und mehr Kommunikation mit dem Bruder Regenwurm: vom -Erhabenen zum L„cherlichen, man weiá es, ist nur ein Schritt. -Die Kritische Theorie hatte gute Grnde, als sie sich weigerte, -positiv zu werden und statt dessen darauf bestand, das Gemeinte -nur indirekt, auf dem Wege der Kritik, zur Sprache zu bringen. -S -SDie Kritik ist doppelgleisig angelegt. Auf der einen Seite -verteidigt sie die Idee einer Gesellschaft des Verschwindens -gegenber Konzeptionen, die den Prozeá der Modernisierung -einseitig als Zivilisierung (Elias), als Disziplinierung -(Foucault) oder als funktionale Differenzierung (Luhmann) -darstellen. Auf der anderen Seite greift sie verwandte -Intentionen auf und versucht sie weiterzuentwickeln: Adornos -Logik des Zerfalls oder Virilios These vom Nihilismus der -Geschwindigkeit. Hierzu geh”rt auch die Erinnerung an einen zu -Unrecht vergessenen Autor, der als einer der ersten Technik und -Entropie in Zusammenhang gebracht hat und deshalb als der -'eigentliche Vater der ”kologischen Bewegung' (Mohler) -bezeichnet worden ist - Friedrich Georg Jnger. Das Zentrum, um -das die verschiedenen Studien kreisen, erschlieát sich am -leichtesten ber den Essay 'Technik und Wissenschaft als -Hierophanie'. -S -SPA -SDie Entwicklungskurve der Zivilisation. -SEine Auseinandersetzung mit Norbert Elias -S -S -S -S -S -S -SDaá der historische Prozeá nicht bloá aus isolierten Ereignissen -und Bruchstcken besteht, sondern einen bergreifenden Sinn zur -Erscheinung bringt, geh”rt zu den id‚es directrices des -abendl„ndischen Denkens. Wurde dieser Sinn unter der -Vorherrschaft christlicher šberzeugungen lange Zeit als -Heilsgeschehen bestimmt, so rckte mit der Aufkl„rung der -Begriff der 'Zivilisation' in den Vordergrund. Mit ihm wurden -zwei verschiedene Vorstellungen zusammengebracht: zum einen der -Gedanke einer allm„hlichen Sittenverfeinerung - l'adoucissement -des moeurs im Sinne Mirabeaus des Žlteren; zum andern der -Gedanke eines stufenweise sich vollziehenden geistigen und -materiellen Fortschritts, wie er etwa in Frankreich den -Entwrfen Raynals und Condorcets, sp„ter den Theorien Saint- -Simons, Comtes oder Guizots zugrundelag (Moras 1930). So sah es -auch die englische Sozialphilosophie, die, nachdem sie noch im -18. Jh. zwischen dem Fortschritt der H”flichkeit und -Zivilisation und demjenigen der kommerziellen Knste -unterschieden hatte (Ferguson 1986, 366), im 19. Jh. beide -Linien zusammenzog und den Fortschritt der Zivilisation nunmehr -im šbergang von kriegerischen, durch Zwang integrierten -Gesellschaften zu industriell-gewerblichen Aggregaten sah, die -einem Zustand dauernden Friedens entgegenstrebten (Spencer 1887, -II, 124ff., 180). Nichts illustriert die šberzeugungskraft -dieser Vorstellung besser als die Tatsache, daá selbst ein Marx, -der die "tiefe Heuchelei der brgerlichen Zivilisation und die -von ihr nicht zu trennende Barbarei" brandmarkte (MEW 9, 225), -keine Schwierigkeiten hatte, vom "great civilizing influence of -capital" zu sprechen und als dessen Hauptmerkmal die Umwandlung -der Produktion in ein "System der allgemeinen Ntzlichkeit" -herauszustellen, "als dessen Tr„ger die Wissenschaft selbst so -gut erscheint wie alle physischen und geistigen Eigenschaften" -(MEW 42, 323). -S -SIm 20. Jh. ist der Chor der Skeptiker, die diese -Selbstbeglckwnschung der Moderne nicht mehr akzeptieren, immer -lauter geworden. Die Bedenken richten sich, wie in anderen -Texten dieses Bandes deutlich wird, gegen die objektiven Aspekte -des sogenannten Zivilisationsprozesses, insbesondere gegen die -Vorstellung einer kumulativen Steigerung von Reichtum und -Ordnung. Sie richten sich aber auch, worauf im folgenden vor -allem der Akzent gelegt wird, auf die subjektiven Aspekte, die -Idee des perfectionn‚ment de l'homme (Condorcet). Stand die -Kritische Theorie noch weitgehend allein, als sie in den -vierziger und fnfziger Jahren im Verfall der Konventionen, im -Absterben des zeremoniellen Moments und im Niedergang von -H”flichkeit und Takt Indizien fr den "Zerfallscharakter der -Zivilisation" ausmachte (vgl. Adorno, GS 4, 38ff.; ders. 1956, -87), so mehren sich heute die Stimmen, die darin nicht bloá den -Ausdruck einer elit„ren Kulturkritik sehen. So konstatiert -Richard Sennett eine allgemeine Tendenz zur Zunahme von -"Unzivilisiertheit", die sich in Distanzverlust, -Selbstbezogenheit und einer alle sozialen Beziehungen -berwuchernden "Tyrannei der Intimit„t" manifestiere (Sennett -1983, 299). Neil Postman spricht vom "Verfall der civilit‚" und -einer "allgemeinen Miáachtung der fr Zusammenknfte im -”ffentlichen Raum geltenden Regeln und Rituale" (Postman 1983, -151). In einem anderen vieldiskutierten Buch ist gar von einer -"sterbenden Zivilisation" die Rede, in welcher das Leben immer -barbarischer und kriegs„hnlicher werde (Lasch 1986, 261, 47). -Paul Virilio endlich meint: "Das fortschreitende Verschwinden -der H”flichkeit, die selber eine gespielte Aufnahme, einen -Ersatz der primitiven Gastfreundschaft darstellte, „uáert sich -heute in einer virilen Form von Kontakt, die man 'Offenheit' -nennt, und mag letzten Endes zum gewohnheitsm„áigen Austausch -schlechter Behandlung fhren" (Virilio 1978, 37). -S -SOb diese Diagnosen richtig sind, wird sich sicher nur in -sorgf„ltigen empirischen Untersuchungen erweisen lassen. Bis -dahin aber, und vielleicht als Vorbereitung dazu, mag es -ntzlich sein, sich mit der Exposition zu befassen, die der -Zivilisationsbegriff in der bislang grndlichsten Studie zu -diesem Thema erfahren hat: Norbert Elias' Buch 'šber den Prozeá -der Zivilisation'. Ich will im folgenden zun„chst die -wichtigsten Argumente dieses Buches skizzieren und dann einige -Einw„nde vorstellen, die sich heute, ein halbes Jahrhundert nach -Erscheinen der ersten Auflage, aufdr„ngen. Abschlieáend m”chte -ich die Frage er”rtern, ob der Zivilisationsbegriff in der ihm -von Elias verliehenen Fassung ein Konzept ist, in dem sich die -Problemlage der modernen Gesellschaft reflektieren l„át. -S -S -S -S -S -S -AABI -S -S -SElias' Untersuchung beginnt mit begriffsgeschichtlichen -Erw„gungen. Zivilisation, so der erste Befund, bedeutet im -deutschen Sprachraum etwas anderes als in Westeuropa, namentlich -Frankreich und England. W„hrend der Begriff dort als Bezeichnung -fr den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und -geistigen Fortschritt insgesamt dient, hat er im Deutschen nur -einen eingeschr„nkten Inhalt. Zivilisation ist hier ein Wert -zweiten Ranges, eine Qualit„t, die sich lediglich auf das -Žuáere, die Oberfl„che des Daseins bezieht. Die Bildung des -Inneren dagegen, der Fortschritt auf geistigem und seelischem -Gebiet, wird mit dem Begriff 'Kultur' belegt. Was in anderen -L„ndern des Abendlands als einheitliche und kontinuierliche -Bewegung erscheint, zerf„llt damit in Deutschland in zwei -unterschiedliche Dimensionen, die sich zuweilen zum -antithetischen Gegensatz versch„rfen. Der Westen, lautet ein -wichtiger Glaubenssatz der deutschen Ideologie bis hin zu den -'Ideen von 1914', habe nur Zivilisation, wohingegen es die -Deutschen bis zur Kultur gebracht h„tten. -S -SDaá Elias sich dafr entscheidet, die deutsche Version als -Ausnahme zu behandeln und nicht weiter zu verfolgen, h„ngt mit -seinen Vorstellungen ber die in der gesellschaftlichen -Entwicklung zu bew„ltigenden Aufgaben zusammen. Diese -Vorstellungen sind deutlich von der Soziologie des 19. Jhs., -insbesondere von Comte und Spencer, beeinfluát. Wie der letztere -sieht Elias die gesellschaftliche Entwicklung als Teil einer -allgemeinen Evolution, die neben der berorganischen noch die -organische und unorganische Entwicklung umfaát und durch das -Wechselspiel von Differenzierung und Integration vorangetrieben -wird. Wie der erstere identifiziert er die -Funktionsdifferenzierung mit der wirtschaftlichen Berufsteilung, -die koordinierenden und integrierenden Institutionen mit dem -Staat1. Eine Hierarchie dieser beiden Dimensionen kennt Elias -nicht. Fr ihn handelt es sich um prinzipiell gleichrangige -Erscheinungen, die jeweils unterschiedliche Aspekte ein und -desselben Substrats darstellen - der Gesellschaft. Da er indes -den Integrationsinstanzen die F„higkeit zuspricht, die -funktionsteiligen Prozesse "bis zu einem gewissen Grade (zu) -steuern" (1971, 47)2, verschiebt sich der Fokus seiner Theorie -stark auf die Integrationsebene, auf die Entstehung und -Entwicklung jener Institutionen, die ber ein besonders hohes -Steuerungspotential verfgen - die politischen Zentralorgane -bzw., wie Elias mit Weber formuliert: die Monopolorganisationen -physischer Gewaltsamkeit. -S -SIn dieser Vorentscheidung auf analytischer Ebene liegt die -Wurzel der regulativen Idee von Elias' Zivilisationstheorie, der -"Vermutung..., daá der Aufbau des 'zivilisierten' Verhaltens -aufs engste mit der Organisierung der abendl„ndischen -Gesellschaften in der Form von 'Staaten' zusammenh„ngt (I, -LXXVI). Je fortgeschrittener in einem bestimmten Gebiet die -Staatsbildung, desto fortgeschrittener auch der Prozeá der -Zivilisation; je unentwickelter andererseits die -Zentralisierung, desto unentwickelter die Sitten, desto -unvollendeter "jene Nivellierung und Angleichung der -gesellschaftlichen Standarde (...), die fr diesen ganzen -Zivilisationsprozeá charakteristisch ist" (II, 433). - Deutschland, das seit dem sp„ten Mittelalter keinen Fortschritt -im Ausbau seiner zentralstaatlichen Institutionen mehr erlebte, -ist aus diesem Grund fr die Untersuchung des -Zivilisationsprozesses weniger geeignet als etwa Frankreich, in -dem diese Institutionen eine kontinuierliche Verst„rkung -erfuhren3. -S -SDen Ausbau des Zentralstaates in Frankreich unterteilt Elias in -drei Etappen. Die erste Etappe f„llt zusammen mit der Bildung -ritterlicher H”fe zu Beginn des Hochmittelalters, welche die bis -dahin in der weltlichen Herrenschicht dominierende Integration -qua Kampf durch eine friedlichere und best„ndigere Integration -ersetzen. Auf diese 'ritterlich-h”fische' Ordnung folgt im 16. -Jh. die zweite Etappe, die 'h”fisch-absolutistische -Gesellschaft', die wohl im sozialen Aufbau noch an die -st„ndische Gliederung des Mittelalters anknpft, auf politischer -Ebene aber insofern eine Žnderung herbeifhrt, als sie die -physische Gewalt in einer Monopolinstanz konzentriert. Die alte -Kriegerelite wird nunmehr entmilitarisiert und in einen Hofadel -verwandelt, was wiederum auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene -die Bildung l„ngerer und komplexerer Interdependenzketten -erm”glicht. Die funktionale Differenzierung beschleunigt sich -und l„át neue, auf Beruf und produktiver Leistung beruhende -Eliten entstehen, die ihrerseits nach Partizipation an den -Entscheidungen des obersten Koordinations- und -Regulierungsorgans streben. -S -SAus dieser Entwicklung geht - nach der Zwischenstufe einer -'erweiterten h”fischen Gesellschaft', in der h”fisch- -aristokratische und h”fisch-brgerliche Kreise miteinander -verkehren - das dritte und bisher letzte Stadium hervor: der -brgerliche Nationalstaat. In ihm erreichen die Funktionsteilung -und die allgemeine Interdependenz eine bis dahin unvorstellbare -Dichte. Zugleich ist die Vernetzung soweit vorangeschritten, daá -die private Monopolisierung der mit der Zentralposition -verbundenen Chancen nicht l„nger perpetuierbar ist. Das -Privatmonopol einzelner, schreibt Elias, vergesellschaftet sich -und wird "zu einer Funktion des interdependenten -Menschengeflechts als eines Ganzen", zu einem "”ffentlichen" -Monopol (II, 157). Darber hinaus zeichnen sich bereits Ans„tze -zu einer vierten, endgltig letzten Phase der Gesamtentwicklung -ab: -S -S"Man sieht die ersten Umrisse eines erdumfassenden Spannungssystems von -Staatenbnden, von berstaatlichen Einheiten verschiedener Art, Vorspiele von -Ausscheidungs- und Vormachtk„mpfen ber die ganze Erde hin, Voraussetzung fr -die Bildung eines irdischen Gewaltmonopols, eines politischen -Zentralinstituts der Erde und damit auch fr deren Pazifizierung" (II, 452). -S -SDen hier nur knapp skizzierten Stadien der Zentralisierung -ordnet Elias nun verschiedene Verhaltensmodelle oder -schemata -zu, die gleichsam den subjektiven Niederschlag dieses Prozesses -verk”rpern. Der polyzentrischen Struktur des Mittelalters -entspricht das Schema der courtoisie, das sich an den groáen -ritterlichen Feudalh”fen bildet (I, 79, 136; II, 96ff., 109ff., -354ff.). Seine Merkmale sind: eine gewisse M„áigung der Affekte, -eine, freilich noch sehr begrenzte, Aufwertung derjenigen, die -nicht ber Gewaltmittel verfgen (vor allem der Frauen), die -Ausbildung h”fischer Manieren, die das gesellige Verhalten bei -Tisch, beim Spiel oder im Turnier regeln, die Orientierung an -ritterlichen Tugenden, wie sie vor allem von der Kirche (miles -christianus-Ideal), aber auch von der weltlichen Dichtung -propagiert werden (Artusepik)4. -S -SW„hrend dieses Schema den Individuen jedoch noch „uáerlich -bleibt und auáerhalb des Interaktionszentrums 'Hof' rasch seine -Wirkung verliert, verdichtet sich die soziale Kontrolle mit dem -šbergang zu einer monozentrischen, auf dem Gewaltmonopol -beruhenden Konfiguration. Anstelle der bloá intermittierenden, -nur einen kleinen Teil der ritterlichen Existenz erfassenden -courtoisie tritt jetzt ein neues Schema der Affektregulierung, -das Elias im Anschluá an die Manierenschriften von Erasmus, -della Casa, La Salle u.a. als civilit‚ bezeichnet (I, 65ff., -89f., 136f.). Der durch die politische, soziale und -wirtschaftliche Entwicklung in seiner Herrschaftsposition -erschtterte Adel versucht in dieser Phase, seinen Platz an der -Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie durch einen verst„rkten -Einsatz von Distinktionsstrategien zu behaupten. Ein strenger -Verhaltenscode entsteht, der mehr und mehr den gesamten Habitus -umfaát. Die h”fische Interaktion, vor allem das Essen und die -Konversation, wird stark ritualisiert, wie Elias anschaulich an -der Geschichte des Messer- und Gabelrituals demonstriert. Die -Kleidung wird bewuát als Unterscheidungs- und Prestigemittel -eingesetzt, ebenso die Gestik und der sprachliche Ausdruck. -Fragen des guten Benehmens und des richtigen Geschmacks werden -zu Fragen, die ber den Platz in der Rangordnung entscheiden -k”nnen; Takt, Delikatesse und Stil zu Formen, von denen das -soziale šberleben abh„ngen kann. Selbst- und Fremdbeobachtung -erreichen eine bis dahin unbekannte Intensit„t, die -psychologische Kriegfhrung wird zur unentbehrlichen Waffe in -der Prestigekonkurrenz. -S -SAuch dieses neue, im Vergleich zur courtoisie ungleich strengere Schema der Affektmodellierung ist jedoch nach Elias in -der Psychostruktur noch nicht sehr fest verankert. Die Tabus und Rituale des h”fischen Lebens treten dem einzelnen wohl -als klar umrissene Imperative entgegen, die ihn zu einer permanenten šberwachung seiner Affekte und Triebregungen -veranlassen. Diese aber erfolgt haupts„chlich ber eine bewuáte Selbststeuerung, psychoanalytisch gesprochen ber -Ich-Leistungen (Vowinckel 1983, 196). Der Hofmann muá, wie bei Castiglione nachzulesen, seine unterschiedlichen -F„higkeiten so ausbalancieren, daá er zu einer Art vollkommenen Gesamtkunstwerks wird; er muá, wie bei Gracian, -seine Leidenschaften bewuát domestizieren, jedoch nicht, um sie abzut”ten, sondern um sie im geeignetsten Moment -zu befriedigen (ebd. 95). Die soziale Kontrolle vollzieht sich deshalb noch prim„r ber die Vermittlung des Ichs, das sich -den Zw„ngen der sozialen Umwelt anpaát, aber keineswegs v”llig ausliefert. Sie bleibt dem einzelnen „uáerlich, wirkt -"noch nicht als automatisch funktionierender Selbstzwang, als Gewohnheit, die bis zu gewissen Grenzen auch -funktioniert, wenn der Mensch allein ist; sondern man legt sich hier zun„chst immer jemandem andern gegenber, also -bewuáter aus gesellschaftlichen Grnden, Triebverzicht und Zurckhaltung auf. Und die Art der Zurckhaltung, wie ihr -Maá entsprechen hier der sozialen Stellung dessen oder derer, denen gegenber er sie sich auferlegt" (I, 186). Im -Stadium der civilit‚ ist die gesellschaftliche Verflechtung schon so stark, um die einzelnen zur Anpassung zu zwingen, -aber noch nicht stark genug, um die Einzelheit als solche zu negieren und in einen 'Verkehrsknotenpunkt des -Allgemeinen' (Horkheimer/Adorno) zu verwandeln. -S -SWesentlich weiter in dieser Richtung geht das Schema der -civilisation, das in der zweiten H„lfte des 18. Jhs. die -civilit‚ abl”st (I, 47ff.). Getragen von den Reformgruppen des -Ancien R‚gime - dem Beamtentum und den Spitzen des Brgertums - -zielt dieses Schema auf eine Universalisierung und -Stabilisierung der mit der civilit‚ bereits erreichten -Sittenverfeinerung und Rationalit„t. Die Universalisierung -impliziert die Ausdehnung der Vernunft auf die Gesetze und -Institutionen des Landes sowie auf die Sitten der gesamten -Nation. Elias spricht von einer Einschmelzung von -Verhaltensweisen der funktional oberen Schichten in das der -aufsteigenden unteren und rckt diesen Vorgang in die N„he von -Kolonisationsprozessen. So wie im 19. Jh. die abendl„ndischen -Nationen die auáereurop„ische Welt unterworfen und okzidentalen -Denk- und Verhaltensmustern assimiliert h„tten, seien zuvor im -Abendland selbst die Unter- und Mittelschichten den Standards -der Oberschichten unterworfen und assimiliert worden (II, 341, -346, 350, 420f.) -S -SDie Stabilisierung impliziert die Verfestigung der zivilisierten -Verhaltensformen zu einem 'Panzer', der die ganze Pers”nlichkeit -und jede ihrer Žuáerungen umschlieát (I, 332). Dies wird durch -eine bereits in der frhesten Kindheit einsetzende -Konditionierung erreicht, die darauf hinarbeitet, daá sich im -einzelnen "gleichsam als eine Relaisstation der -gesellschaftlichen Standarde, eine automatische -Selbstberwachung der Triebe im Sinne der jeweiligen -gesellschaftsblichen Schemata und Modelle, eine 'Vernunft', ein -differenziertes und stabileres 'šber-Ich' herausbildet, und daá -ein Teil der zurckgehaltenen Triebregungen und Neigungen ihm -berhaupt nicht mehr unmittelbar zum Bewuátsein kommt" (II, -329). In diesem Sinne erfllt das šber-Ich in der brgerlichen -Gesellschaft die Steuerungsfunktionen, die in der h”fischen -Gesellschaft noch dem Ich vorbehalten waren. -S -SElias bersieht nicht die Unterschiede zwischen diesen beiden -Formen der Steuerung. Im Rahmen seiner Konstruktion eines -kontinuierlich verlaufenden Zivilisationsprozesses interpretiert -er ihre Abfolge jedoch prim„r als eine Steigerung der sozialen -und psychischen Integration durch Tieferlegung der -Kontrollmechanismen. Jene Zw„nge, die im Schema der courtoisie -und der civilit‚ vielfach nur als „uáere Schranke, als -Fremdzwang wirkten, werden jetzt verinnerlicht, mit der -Perspektive, daá dadurch der Fremdzwang zunehmend entbehrlich -wird und irgendwann einmal ganz verschwinden kann (1983, 123f.). -Wie diese, freilich erst nach Vollendung der Pazifizierung auf -Weltebene denkbare, neue Form der Selbststeuerung beschaffen -sein k”nnte, verr„t Elias nicht. Daá die Entwicklung in diese -Richtung geht, erscheint ihm aber als ebenso ausgemacht wie die -Tendenz zur šberwindung des brgerlichen Nationalstaates (1987, -224f.). Sind einmal die zwischenstaatlichen Spannungen -beseitigt, so die an Kants Vision vom 'Ewigen Frieden' -erinnernde Schluápassage des Zivilisationsbuches, kann sich die -Regelung der sozialen Beziehungen auf das rein sachlich -Notwendige beschr„nken, und k”nnen sich die Spannungen und -Widersprche auch in den Menschen selbst mildern. Dann erst -braucht es nicht mehr die Ausnahme, sondern -S -S"kann es die Regel sein, daá der einzelne Mensch jenes optimale Gleichgewicht seiner Seele findet, das wir so oft mit -groáen Worten, wie 'Glck' und 'Freiheit' beschw”ren: ein dauerhaftes Gleichgewicht oder gar den Einklang zwischen -seinen gesellschaftlichen Aufgaben, zwischen den gesamten Anforderungen seiner sozialen Existenz auf der einen Seite -und seinen pers”nlichen Neigungen und Bedrfnissen auf der anderen" (II, 454. Hervorh. i.O. gestr.). -S -SDie groáe Linie ist damit klar. Zivilisation ist fr Elias ein -Prozeá, in dessen Verlauf sich immer strengere Schemata der -Selbstkontrolle herausbilden und sowohl immer weitere -Bev”lkerungskreise ergreifen als auch psychostrukturell immer -tiefer gelagert werden. Dieser Prozeá ist die subjektive Seite -eines gesamtgesellschaftlichen Differenzierungs- und -Integrationsvorgangs, der zu einer immer perfekteren Kontrolle -der Gesellschaft ber die Naturbedingungen ihres šberlebens wie -ber die Bedingungen des sozialen Zusammenlebens fhrt5. Elias -verschweigt nicht den Preis, den die Individuen dafr zahlen -mssen: die permanente Konditionierung, die Verdr„ngung und -An„sthesierung von Triebregungen, den Aufbau von inneren -Žngsten, die Wahrscheinlichkeit der neurotischen Erkrankung. -Insgesamt sieht er aber diese Kosten mehr als aufgewogen durch -die Distanzierungs- und Steuerungsgewinne, die dem einzelnen -sowohl als der Gesellschaft in diesem Prozeá zuwachsen. Etwas -vereinfacht l„át sich dieser Prozeá in dem folgenden Schema -darstellen: -S -S -SÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ -S -AABSoziogenese Ritterlich H”fisch- Brgerlich ' Welt'- - h”fische absolu- indu- gesell- - Gesell- tistische strielle schaft - schaft Gesell- Gesell- - schaft schaft - -ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ - -Steuerungs- Feudalhof Absoluti- National- Weltstaat -Zentrum stischer Staat - Staat -ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ - -Verhaltens- courtoisie civilit‚ civilisa- Weltzivi- -Code tion lisation -ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ - -Psychogenese Es/Ich Ich-Domi- šber-Ich- Gleichge- - (undiffe- nanz Dominanz wicht von - ziert) Ich, Es, - šber-Ich -ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ - -PA -II -S -S -AAF 1. Auch der voreingenommene Betrachter wird zugestehen, daá Elias' -Rekonstruktion des Zivilisationsprozesses groáe St„rken hat. Der -figurationssoziologische Ansatz tr„gt politischen, ”konomischen und -psychologischen Faktoren gleichermaáen Rechnung und gelangt damit zu -einem breit angelegten Panorama der zivilisatorischen Entwicklung. Die -konstitutive Rolle der H”fe in der ritterlich-feudalen und -absolutistischen Gesellschaft wird einleuchtend begrndet, die Bildung -von Gewalt- und Abgabenmonopolen schlssig nachgezeichnet; lediglich -die Rolle der Religion wird zu wenig beachtet, was m”glicherweise bei -vergleichenden Untersuchungen ein Nachteil sein k”nnte. Zu den -Glanzstcken des Buches geh”rt die Herausarbeitung des Parallelismus -von Soziogenese und Psychogenese, mit der gleichsam eine Brcke -zwischen der Herrschaftssoziologie Webers, der Differenzierungstheorie -in der Tradition Durkheims und Spencers und der Freudschen -Psychoanalyse geschlagen wird. - - Dennoch dr„ngen sich bei einer genaueren Betrachtung drei Einw„nde -auf, die zwar aus unterschiedlichen theoretischen Zusammenh„ngen -stammen, gleichwohl miteinander kompatibel sind6. - - Der erste Einwand ergibt sich aus der dialektischen Theorie und -richtet sich gegen den soziogenetischen Strang der -Zivilisationstheorie. Elias, so erscheint es aus dieser Sicht, hat nur -eine unzureichende Vorstellung von den Integrationsproblemen, die mit -einem bestimmten Grad der Funktionsdifferenzierung auftreten. Seine -These, daá die Entwicklung zur modernen Gesellschaft von einer immer -"strafferen Regulierung und šberwachung des gesamten -gesellschaftlichen Verkehrs von stabilen Zentralen" aus begleitet sei -(II, 227), bersieht, daá ein durch kapitalistische Warenproduktion -bestimmtes System nicht direkt durch die Vorgaben eines planenden -Zentrums, sondern nur indirekt durch die Vermittlung des Marktes -gesteuert wird. Das, was ihre Arbeiten gesellschaftlich gelten, -erfahren die - individuellen oder korporativen - Produzenten immer nur -post festum, in der Best„tigung ihrer Produkte als Wertgr”áen, die -erst nach Abschluá der Produktion, im Austausch, m”glich ist. Hier -jedoch gilt, - - "daá die unabh„ngig voneinander betriebenen, aber als naturwchsige Glieder der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit -allseitig voneinander abh„ngigen Privatarbeiten fortw„hrend auf ihr gesellschaftlich proportionelles Maá reduziert werden, weil -sich in den zuf„lligen und stets schwankenden Austauschverh„ltnissen ihrer Produkte die zu deren Produktion gesellschaftlich -notwendige Arbeitszeit als regelndes Naturgesetz gewaltsam durchsetzt, wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus -ber dem Kopf zusammenpurzelt" (Marx, MEW 23, 89). -AAF - Unter diesen Umst„nden ist es eine sehr verkrzte -Betrachtungsweise, wenn man, wie Elias, Unberechenbarkeit und Willkr -prim„r in der physischen Gewaltsamkeit lokalisiert und aus der -unbestreitbaren Tatsache ihrer Kasernierung im modernen Staat auf eine -Zunahme der gesamtgesellschaftlichen Stabilit„t und Kalkulierbarkeit -schlieát. Auch und gerade nach der Bildung von Gewaltmonopolen auf dem -Territorium einzelner 'Staatsgesellschaften' bleibt mit dem nationalen -Binnenmarkt und dem Weltmarkt eine Dimension des Zufalls und der -Anarchie, die sich individuellen Handlungskalklen grunds„tzlich -entzieht. Und obschon dies keineswegs bedeutet, daá es die brgerlich- -industrielle Gesellschaft nicht zu Einheit und Integration zu bringen -vermag, heiát es doch immerhin, daá sich diese Einheit und Integration -"nur a posteriori als innre, stumme, im Barometerwechsel der -Marktpreise wahrnehmbare, die regellose Willkr der Warenproduzenten -berw„ltigende Naturnotwendigkeit" durchsetzt. Elias hat recht, wenn -er darauf hinweist, daá die Kasernierung der politischen Gewalt einen -wichtigen Schritt zur šberwindung des Naturzustands darstellt. Er -vergiát jedoch hinzuzufgen, daá sich dieser Naturzustand unter -brgerlichen Produktionsbedingungen in anderer Form wiederherstellt: -gew„hrleistet doch die Konkurrenz die Existenz der Individuen nur auf -die Weise, "wie auch im Tierreich das bellum omnium contra omnes die -Existenzbedingungen aller Arten mehr oder minder erh„lt" (ebd. 377). - - Diese šberlegung zwingt dazu, einen der Eckpfeiler von Elias' -Konstruktion zu problematisieren: die Idee eines Kontinuums der -Vergesellschaftung, das sich von der ritterlich-h”fischen ber die -h”fisch-absolutistische bis hin zur brgerlich-industriellen -Gesellschaft erstreckt. Wohl l„át sich die Entwicklung von den -feudalen Minneh”fen zu den Residenzen des Barockzeitalters unter dem -Blickwinkel einer Verdichtung und Intensivierung h”fischen Lebens -begreifen, und kann die Ausbildung einer 'guten Gesellschaft' verfolgt -werden, deren Ausl„ufer bis in die brgerlichen Salons des 19. Jhs. -reichen. Diese Art der sozialen Verknpfung, die im wesentlichen auf -Interaktion, d.h. auf Kommunikation unter Anwesenden beruht, muá indes -strikt von dem Vergesellschaftungsmodus getrennt werden, der fr eine -entfaltete Marktgesellschaft typisch ist. Vergesellschaftung ber den -Markt ist eine paradoxe Form von Vergesellschaftung. Sie erzeugt auf -der einen Seite, wie Elias richtig gesehen hat, ein hochkomplexes -System von Interdependenzen, in dem die Individuen so stark vernetzt -sind wie niemals zuvor in der Geschichte. Auf der anderen Seite aber -treibt sie durch die Forcierung der Konkurrenz und durch die -Universalisierung der brgerlichen Rechtsprinzipien den -Vereinzelungsprozeá in einer historisch ebenfalls beispiellosen Weise -voran. Markt, das kann man nicht nachdrcklich genug hervorheben, -aggregiert nicht nur, er disaggregiert auch; schafft nicht nur neue -Verflechtungen, sondern negiert immer auch die Verflechtungen, die er -selbst erzeugt hat. - - Das l„át sich bereits am Schicksal der kleinsten sozialen Einheit -zeigen, in der Elias mit Recht das Konditionierungsinstrument der -brgerlichen Gesellschaft par excellence sieht: der Kleinfamilie. -Selbst ein Produkt des modernen Differenzierungsprozesses, in dessen -Verlauf die produktive Lohnarbeit vorrangig den m„nnlichen -Erwachsenen, die nichtproduktive Subsistenzarbeit einschlieálich der -Kindererziehung dagegen den Frauen zugewiesen wurde, befindet sich -dieser Familientypus heute durch die rechtliche und zunehmend auch -faktische Gleichstellung der Frauen in einer fortschreitenden Erosion. -Die Individuen werden aus den bis dahin gltigen, quasist„ndischen -Vorgaben des Geschlechts herausgel”st und gezwungen, sich selbst zum -Zentrum ihres eigenen Lebens zu machen. Die fr die Moderne typische -Temporalisierung erfaát auch die Ehe und unterwirft sie den Rhythmen -der 'seriellen Monogamie' (Shorter). Die Familie wird zur -'Verhandlungsfamilie auf Zeit' (Beck), deren Mitglieder einen -st„ndigen Kampf um den Ausgleich zwischen beruflichen und emotionalen -Interessen ausfechten mssen. Die Fragmentierung und Atomisierung -ergreift damit unwiderruflich auch jenen Bereich, der noch dem frhen, -puritanischen Brgertum als ein so sicheres Fundament gegolten hatte, -daá es von ihm her die gesamte Gesellschaft erneuern zu k”nnen -geglaubt hatte. - - "In dem zu Ende gedachten Marktmodell der Moderne wird die familien- und ehelose Gesellschaft unterstellt. Jeder muá -selbst„ndig, frei fr die Erfordernisse des Marktes sein, um seine ”konomische Existenz zu sichern. Das Marktsubjekt ist in letzter -Konsequenz das alleinstehende, nicht partnerschafts-, ehe- oder familien'behinderte' Individuum. Entsprechend ist die -durchgesetzte Marktgesellschaft auch eine kinderlose Gesellschaft - es sei denn, die Kinder wachsen bei mobilen, -alleinerziehenden V„tern und Mttern auf" (Beck 1986, 191). -AAF - Man muá nur einen Blick auf die Geburtenrate in der Bundesrepublik -werfen, um sich vom Realit„tsgehalt dieser šberlegungen zu berzeugen. - - Žhnliche Dekompositionserscheinungen zeigen sich auch an -komplexeren sozialen Aggregaten, die einmal die Struktur der -brgerlichen Industriegesellschaft pr„gten. Insbesondere der -Klassenbegriff, der sich noch im 19. Jh. brgerlichen und -sozialistischen Theoretikern gleichermaáen aufdr„ngte, hat in den -fortgeschrittenen kapitalistischen L„ndern seine Bedeutung fr die -Bildung kollektiver Identit„ten fast v”llig verloren. "Der -unermeáliche Druck der Herrschaft", so hat Adorno dies bereits vor -mehr als vierzig Jahren formuliert, "hat die Massen so dissoziiert, -daá noch die negative Einheit des Unterdrcktseins zerrissen wird, die -im neunzehnten Jahrhundert sie zur Klasse macht" (Adorno, GS 8,377). -Nicht daá der Gegenstand des Begriffs - die objektive Bndelung von -Ungleichverteilungen - damit verschwunden w„re: soziale Ungleichheiten -haben nicht ab-, sondern zugenommen. Aber die Aufl”sung -klassenspezifischer Lebensformen durch die Erh”hung des -gesamtgesellschaftlichen Konsumniveaus, der Rckgang des -Besch„ftigtenanteils im industriellen Sektor, der - in den USA -besonders drastische - Bedeutungsverlust der Gewerkschaften, die -allgemeine Schrumpfung der 'Erwerbsarbeitsgesellschaft' (Beck) in den -hochindustrialisierten L„ndern, die Bew„ltigung der -Massenarbeitslosigkeit in Form von Unterbesch„ftigung und -lebensphasenspezifischer Verteilung der knapper gewordenen Lohnarbeit -- dies alles hat zu einer Erosion der im Klassenbegriff immer -mitgedachten kollektiven Identit„t gefhrt, durch welche die -Individuen in zunehmendem Maáe auf sich selbst zurckgeworfen werden. -Soziale Klassen, urteilt Luhmann zutreffend, sind heute Schichten, -"die darauf verzichten mssen, Interaktion zu regulieren" (Luhmann -1985c, 131; zur Diskussion ber den Klassenbegriff vgl. auch Ritsert -1987). - - Vielleicht muá man noch einen Schritt weitergehen und von einer -Erosion der fr die soziale Identit„tsbildung konstitutiven Sph„re der -™ffentlichkeit schlechthin sprechen. Fr Elias steht eine derartige -M”glichkeit ganz auáer Betracht, obwohl der Verfall der aus dem 19. -Jh. berkommenen Formen von ™ffentlichkeit zu den Kardinalthemen der -Weimarer Republik geh”rte (Schmitt 1979a): der die Bildung von -Gewaltmonopolen begleitende Prozeá der sozialen Verflechtung macht es -der Zivilisationstheorie zufolge an einem bestimmten Punkt der -Entwicklung unausweichlich, die privaten Verfgungschancen ber die -politischen und wirtschaftlichen Apparate aufzuheben und die -Privatmononopole in ”ffentliche Monopole umzuwandeln (II, 148ff., -438ff.). Aus heutiger Sicht ist die Moderne jedoch nicht nur durch -eine Erweiterung des ™ffentlichen auf Kosten des Privaten -gekennzeichnet, sondern ebenso durch eine Privatisierung des -™ffentlichen, durch die wesentliche Merkmale von ™ffentlichkeit -zerst”rt werden. Dies gilt, worauf schon Habermas hingewiesen hat, fr -den Aufstieg der Verb„nde und der Massenmedien, die die kritische -Publizit„t durch eine manipulativ erzeugte verdr„ngen (Habermas 1968). -Es gilt aber auch in dem umfassenderen Sinne einer šberlagerung und -Modifizierung spezifisch ”ffentlicher Denk- und Verhaltensmodelle -durch die private Vorstellungswelt, wie sie Richard Sennett in seinem -Buch ber das Verschwinden des Public Man darstellt. Die moderne -Gesellschaft erscheint danach nicht als eine zivilisierte, durch -Selbstdistanz und rationale Interessenverfolgung bestimmte Vereinigung -von Menschen, sondern im Gegenteil als ein Ensemble 'destruktiver -Gemeinschaften', in denen manche sogar eine Wiederkehr der -Stammesverb„nde zu entdecken glauben7.In der 'intimen Gesellschaft' -der Gegenwart, so Sennett, haben die Menschen die F„higkeit verloren, -”ffentlich, d.h. unter Absehung von ihrer je besonderen Person, zu -handeln. Die soziale Interaktion schrumpft zu einem bloáen Medium des -Selbstausdrucks und der Selbstvergewisserung, die Aktivit„t zu einer -nicht endenden Suche nach narziátischen Gratifikationen, die sich -nicht zuletzt im Streben nach Identifikation mit grandiosen -'Kollektivpers”nlichkeiten' realisiert (Sennett 1983, 251ff.). Auch -wenn Sennetts Ursachenerforschung mit dem Hinweis auf Erscheinungen -wie S„kularismus und Symbolismus etwas blaá ausf„llt und in ihren -historischen Partien nicht durchweg zu berzeugen vermag, sollte die -Erfahrung mit den Massenbewegungen dieses Jahrhunderts Anlaá genug -sein, seine Hypothesen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen8. - - Die Entwicklung der modernen Gesellschaft, dies kann als Resmee -des 'dialektischen' Einwands gegen die Zivilisationstheorie -festgehalten werden, l„át sich nicht einfach unter dem Gesichtspunkt -einer st„ndigen Ausdehnung der sozialen Verflechtung begreifen, die -Konkurrenz nicht bloá als Medium, das die Bildung immer umfassenderer -und h”herstufiger Aggregate vorantreibt. Vielmehr ist auch das -Gegenteil zu beobachten. Soziale Verknpfungen, die mit der -brgerlichen Gesellschaft entstanden sind, werden dekomponiert, -Solidarit„tsbeziehungen ausgednnt oder ganz gesprengt. -Marktvergesellschaftung bedeutet Steigerung der Interdependenz und -Atomisierung des Sozialen, Vernetzung und Negation aller Bindungen - -asoziale Sozialit„t. Sie forciert die Differenzierung und zerst”rt -doch zugleich durch die universale Vergleichbarkeit aller Arbeiten im -Tauschwert die Bedingungen der M”glichkeit von Differenz. Sie erzwingt -eine immer dichter werdende Integration der Gesellschaft und -verhindert doch, daá daraus ein gesellschaftliches Subjekt entsteht. -Die Integration vollzieht sich hinter dem Rcken der handelnden -Individuen und macht sich in einer Form geltend, die unmittelbar -betrachtet als das Gegenteil aller Integration erscheint. Durch ihre -einseitige Fixierung auf Synthese, die Regressionen zwar nicht -ausschlieát, aber eher als zufalls- denn als systemgeneriert versteht -(1987, 184), verstellt sich die Zivilisationstheorie die Einsicht in -den Umstand, daá die Logik der Vergesellschaftung auch eine 'Logik des -Zerfalls' (Adorno) ist. Sie f„llt damit noch hinter den -Reflexionsstand der „lteren Soziologie von Comte bis Durkheim zurck, -der bei allem Vertrauen in die Integrationskraft des Staates oder die -solidarit„tsstiftenden Wirkungen der Arbeitsteilung die negative Seite -der funktionalen Differenzierung nie ganz aus dem Blickfeld geriet. -Bedenkt man, daá 'šber den Prozeá der Zivilisation' in unmittelbarer -Zeitgenossenschaft mit der gr”áten Krise der modernen -Weltwirtschaftsordnung entstand, kann man sich ber diesen -Reflexionsverlust nicht genug wundern. - - - - 2. Diese Kritik wird durch den zweiten Einwand erh„rtet, der sich -aus dem Gang der psychoanalytischen Theoriebildung ableiten l„át. Die -Integration Freudscher Begriffe, insbesondere des Strukturmodells des -psychischen Apparats, geh”rt zweifellos zu den starken Seiten der -Zivilisationstheorie, erm”glicht sie es doch Elias, auf -psychogenetischer Ebene die Unterschiede zwischen brgerlichen und -vorbrgerlichen Formen weitaus genauer zu erfassen, als es ihm auf -soziogenetischer Ebene gelingt. So arbeitet Elias pr„zise den Wechsel -in der Konditionierungsinstanz heraus - den šbergang von der -”ffentlich-h”fischen zur privat-familialen Form der -Affektmodellierung. So erkennt er richtig den Wechsel in der -Konditionierungsmethode - die Umwandlung von Fremdzwang in Selbstzwang -via Verinnerlichung und Identifikation. Und so vermag er schlieálich -auch deutlich zu machen, zu welch neuartigem Ergebnis diese -Ver„nderungen fhren: einem Sozialcharakter, der durch eine bisher -nicht dagewesene Differenzierung zwischen Ich- und šber-Ich-Funktionen -auf der einen und Triebfunktionen auf der anderen Seite gekennzeichnet -ist (vgl. II, 390f.; 1987, 85). - - Diese Einsichten fhren Elias jedoch nicht zu einer Revision -seiner These vom zivilisatorischen Kontinuum. Im Gegenteil. Wie der -brgerliche Nationalstaat ihm nur als Steigerungsform der mit dem -Absolutismus bereits erreichten Zentralisierung gilt, so erscheint ihm -auch das brgerliche Schema der Affektregulierung letztlich nur als -Fortfhrung und Verdichtung des h”fischen Schemas, was nicht nur in -expliziten Formulierungen, sondern weit mehr noch stilistisch in der -h„ufigen Verwendung des Komparativs seinen Ausdruck findet: so etwa, -wenn Elias vom "šbergang zu einem 'rationaleren' Verhalten und Denken, -ebenso wie (dem) zu einer st„rkeren Selbstkontrolle" spricht (II, -394), wenn er den "Zwang zu einer differenzierteren -Selbstdisziplinierung, zu einer festeren šber-Ich-Bildung" heraushebt -(II, 351), die Ausbildung einer "stabilere(n), zum guten Teil -automatisch arbeitende(n) Selbstkontrollapparatur" vermerkt (II, 320) -oder die Durchsetzung eines "affektneutraleren" Gesamtverhaltens -behauptet (II, 373f.). Gewiá: der brgerliche Sozialcharakter ist -anders als der aristokratische. Aber fr Elias ist er dies vor allem -im Sinne eines Mehr an Kontroll- und Steuerungskapazit„ten, welche im -aristokratischen Charakter in nuce bereits angelegt waren. Und er -besitzt dieses Mehr haupts„chlich deshalb, weil die brgerliche, -familial vermittelte Erziehung einen erfolgreichen Weg gefunden hat, -um die soziale Kontrolle in das Individuum hineinzuverlagern: die -Verinnerlichung. - - Aus psychoanalytischer Sicht kann man diese Auffassung nur als -sehr selektiv bezeichnen (Lasch 1985, 712ff.). Daá die Verinnerlichung -ein bedeutendes Mittel der zivilisatorischen bzw. kulturellen -Entwicklung ist, die Voraussetzung dafr, daá aus Kulturgegnern -Kulturtr„ger werden (Freud IX, 145), ist zwar ein Grundmotiv Freuds, -der in seinen Arbeiten h„ufig die disziplinierenden und -sozialisierenden Funktionen des šber-Ichs hervorgehoben hat: das šber- -Ich ist die Basis der Religion, der Moral und des sozialen Empfindens, -es ist der "Tr„ger der Tradition, all der zeitbest„ndigen Wertungen, -die sich auf diesem Wege ber Generationen fortgepflanzt haben" (Freud -I, 505), es tritt dem Individuum als ein kategorischer Imperativ -entgegen und bewirkt dadurch jene Umwandlung, durch die es erst -moralisch und sozial wird (Freud III, 315; IX, 145). Im Gegensatz zu -Elias sieht Freud in diesem Mechanismus jedoch nicht erst eine -Errungenschaft der Neuzeit; darber hinaus macht er klar, daá es sich -um eine h”chst ambivalente Einrichtung handelt. Das šber-Ich ist -n„mlich nicht nur, wie Elias meint, ein "Abdruck der Gesellschaft im -Innern" (I, 173), es ist gleichzeitig "der Erbe des ™dipuskomplexes -und somit Ausdruck der m„chtigsten Regungen und wichtigsten -Libidoschicksale des Es. Durch seine Aufrichtung hat sich das Ich des -™dipuskomplexes bem„chtigt und gleichzeitig sich selbst dem Es -unterworfen. W„hrend das Ich wesentlich Repr„sentant der Auáenwelt, -der Realit„t ist, tritt ihm das šber-Ich als Anwalt der Innenwelt, des -Es gegenber" (Freud III, 3O3). - - Diese Aussage bedarf einer kurzen Erl„uterung. Freud teilt mit -Elias die Auffassung, daá das šber-Ich im einzelnen die -gesellschaftliche Allgemeinheit vertritt und damit als Conditio sine -qua non der Zivilisation bzw. der Kultur fungiert. W„hrend Elias -jedoch dazu neigt, die Aufrichtung dieses šber-Ichs eher -behavioristisch als Ergebnis von Konditionierungsvorg„ngen anzusehen, -eine triebtheoretische Begrndung jedenfalls nicht gibt9, kreisen -Freuds Bemhungen gerade um diese letztere. Das Soziale, so sein -Gedanke, kann nur dann im einzelnen seinen Niederschlag finden, wenn -es sich mit bestimmten Triebregungen legiert und in der Trieb”konomie -selbst einen Sttzpunkt findet. Dies geschieht nach Freud prim„r in -der ”dipalen Phase. Das Kind muá auf dieser Stufe seiner Entwicklung -auf die intensiven Liebes- und Feindseligkeitswnsche gegenber seinen -Eltern vezichten, und es l”st diese Aufgabe durch Identifizierung, -durch Neusch”pfung des aufgegebenen Objekts in seinem Innern (Freud I, -502). Teile der libidin”sen Energien flieáen dem 'Ich-Ideal' zu, -dessen Definition bei Freud allerdings starken Schwankungen unterliegt -(vgl. Chasseguet-Smirgel 1981, 215ff.); Teile der aggressiven -Energien, namentlich die Kastrations- und Todeswnsche gegen den -”dipalen Rivalen, dem Gewissen und dem Schuldgefhl, den wichtigsten -Komponenten des šber-Ichs (Freud III, 304). Die sozialisierende -Leistung des šber-Ichs ruht somit trieb”konomisch gesehen auf einem -asozialen, ja antisozialen Fundament: der Aggression, die gleichsam -nur von auáen nach innen umgelenkt wird. - - Diese Zusammenzwingung zweier entgegengesetzter Tendenzen fhrt -nach Freud zu einer „uáerst labilen Konstellation. Schon in 'Das Ich -und das Es' notiert er, daá je mehr ein Mensch seine Aggression nach -auáen einschr„nke, er desto aggressiver und strenger in seinem šber- -Ich werde. Das šber-Ich werde 'hypermoralisch' und wende sich mit der -gleichen Grausamkeit gegen das Ich wie in anderen Konflikten das Es -(Freud III, 320f.). Was hier noch rein individualpsychologisch als -Neigung zur Zwangsneurose oder zur Melancholie diagnostiziert wird, -wird sp„ter zu einer These ber die Pathologie der kulturellen -Gemeinschaften erweitert. Der Preis fr den Kulturfortschritt, heiát -es in 'Das Unbehagen in der Kultur', liege in der "Glckseinbuáe durch -die Erh”hung des Schuldgefhls" (Freud IX, 26O). Bereits in der -Familie sei das Zusammenleben nur m”glich durch den Verzicht auf die -”dipalen Bedrfnisse und durch die Einsetzung des Gewissens. Jede -Erweiterung der sozialen Verb„nde setze diesen Konflikt fort und habe -eine weitere Steigerung des Schuldgefhls zur Folge. Der Kulturprozeá -gehorcht einer unheilvollen Mechanik. Je mehr im Laufe der -Vergesellschaftung die unmittelbare Aggression zwischen den Individuen -abgebaut wird, desto mehr baut sie sich in den Individuen auf. Je -geringer die Macht der Triebe und Affekte im sozialen Verkehr, desto -gr”áer die 'gesellschaftliche Produktion von Unbewuátheit' (Erdheim) -und der Druck des Verdr„ngten auf das Ich (vgl. Freud IX, 258f.). Daá -der Mensch jemals jenes "optimale Gleichgewicht seiner Seele" finden -k”nnte, wie Elias dies fr den vollendeten Zivilisationsprozeá in -Aussicht stellt, muá nach Freud als eine naive Utopie angesehen -werden. - - Es ist bekannt, daá Freud trotz dieser dsteren Perspektive dem -Ich noch gengend Kraft zutraute, um - notfalls mit Untersttzung der -Psychoanalyse - der Wiederkehr des Verdr„ngten standzuhalten. Und es -ist auch bekannt, worauf sich dieses Vertrauen grndete: auf die -Annahme, daá das šber-Ich der Erbe des ™dipuskomplexes sei und "erst -nach der Erledigung desselben" eingesetzt werde (Freud 1964, 85): in -einem Stadium mithin, in dem die psychosexuelle Entwicklung und die -Ich-Reifung bereits ein gewisses Niveau erreicht haben. Der Einbruch -des Sozialen, so kann man zugespitzt formulieren, erfolgt im -Freudschen Modell auf einer Stufe, auf der das Ich bereits eine solche -St„rke erreicht hat, daá es seine unterschiedlichen Phantasien, -Wnsche und Objektbeziehungen zu einem koh„renten Funktionssystem zu -integrieren vermag (vgl. Jacobson 1978, 136ff.) - - Dieses Modell ist durch den Fortschritt der psychoanalytischen -Erkenntnis nach Freud sowohl auf individual- wie auf -sozialpsychologischer Ebene relativiert worden. Auf -individualpsychologischer Ebene erhellten die wie immer auch -unterschiedlichen und z.T. gegens„tzlichen Forschungen der Englischen -Schule, der genetischen oder strukturalistischen Schule und der -Narziámus-Theorie die grundlegende Bedeutung, die der pr„”dipalen -Entwicklung im Rahmen des Sozialisationsvorgangs zukommt. Melanie -Klein, Ernest Jones u.a. entdeckten die archaischen Vorstufen des -šber-Ichs, die weniger durch Introjektionen der „uáeren Realit„t als -vielmehr durch Einverleibungen vor allem der destruktiv-sadistischen -Projektionen des Kleinkindes bestimmt sind (vgl. Klein 1928/1985; -1973, 21, 157ff.; Jones 1978). Ren‚ Spitz, Margaret S. Mahler u.a. -arbeiteten die konstitutive Funktion der Mutter-Kind-Dyade bzw. -Symbiose sowie des Losl”sungs- und Individuationsvorgangs heraus und -dokumentierten die vielf„ltigen pathogenen Wirkungen, die ein -psychotoxisches oder unzureichendes Verhalten der Mutter auf die -Psyche des heranwachsenden Kindes haben kann (vgl. Spitz 1967; Mahler -1972, 1978). Autoren wie Kohut und Kernberg endlich erkl„rten die -zunehmende Zahl von Charakterst”rungen mit einer mangelhaften Abl”sung -der narziátischen Energien von archaischen Objekten wie dem Gr”áen- -Selbst und den idealisierten Eltern-Imagines (Kohut 1976; Kernberg -1978). Freuds Vorstellungen erwiesen sich vor diesem Hintergrund nicht -als falsch, wohl aber als zu stark auf die v„terliche Intervention in -der ”dipalen Phase fixiert. - - Noch weiter relativiert wurden diese Vorstellungen durch die -psychoanalytisch orientierte Sozialpsychologie, die mit plausiblen -Argumenten auf den Klassencharakter und die Historizit„t der von Freud -beschriebenen ”dipalen Konfiguration hinwies. Klassencharakter: denn -diese Konfiguration, die durch die Intensit„t der Mutter-Kind-Symbiose -sowie durch die Sprengung derselben durch den verbietenden und Distanz -zum Lustprinzip erzwingenden Vater bestimmt ist, spiegelt eindeutig -die Zw„nge der brgerlichen Kleinfamilie mit ihrer scharfen -Rollentrennung. Historizit„t: denn dieser Familientypus kann -angesichts ver„nderter Arbeitsbedingungen und -Geschlechtsrollenzuweisungen als kulturell nicht mehr so bestimmend -wie noch zu Freuds Zeiten angesehen werden. - - Dafr sind viele Ursachen verantwortlich, die hier nur angedeutet -werden k”nnen: die 'Entwertung all der Eigenschaften, die einmal die -Vaterkultur getragen haben' (Mitscherlich), in erster Linie der -individuellen Arbeitserfahrung und des familialen Besitzes von -Produktionsmitteln; die Entstehung eines nivellierten Gesamtarbeiters -(Marx), in dem die Proletarisierung Massenschicksal ist; die -Ausdifferenzierung und Entkoppelung vormals in der Familie -zusammengefaáter Lebenslagen; die 'Polizierung' der Familie durch -brokratische Regelung und Verrechtlichung; schlieálich die -'Sozialisierung' der Elternfunktion durch Massenmedien, peer groups -und Therapeuten. Das Stadium der 'individualistischen -Vergesellschaftung' (Adorno), in dem sich Sozialisation ber die -Identifikation mit einer zugleich bedrohlichen und idealisierten -Person vollzog, scheint vorber zu sein. "Die unterdrckende -Trieborganisation scheint kollektiv, und das Ich durch ein ganzes -System extrafamilialer Einrichtungen und deren Vertreter vorzeitig -sozialisiert zu sein" (Marcuse 1967, 98; vgl. Mitscherlich 1968, -185ff., 310ff.; Lasch 1986, 179ff.). - - Daá Marcuse hier von vorzeitiger Sozialisierung spricht, meint -nicht mehr und nicht weniger, als daá der Zugriff des Ganzen auf das -Individuum zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem der psychosexuelle -Reifungsprozeá noch nicht zur Herausbildung eines stabilen und -koh„renten Ichs gefhrt hat. Zahlreiche Diagnosen stimmen darin -berein, daá unter den gegenw„rtigen Bedingungen des abwesenden Vaters -ein groáer Teil der psychischen Energien an pr„”dipale Objekte -gebunden bleibt, so daá fr den Aufbau und die Besetzung reifer Ich- -und šber-Ich-Strukturen nur ein vermindertes Quantum zur Verfgung -steht. Die Folge ist, daá die frhkindliche Entwicklung gar nicht mehr -bis zum entscheidenden ”dipalen Konflikt gelangt, was wiederum -zugleich bedeutet, daá die pr„”dipalen, archaischen Anteile des šber- -Ichs gegenber den ”dipalen ein šbergewicht erlangen. - - "So haben wir heute das folgende Problem: die hemmende, kontrollierende und leitende Funktion des šberichs, die heute -weitgehend mit der des Ichs zusammenf„llt, ist durch die Schw„che der Eltern, die nachgiebige Erziehung und das -gesellschaftliche Klima abgeschw„cht. Die sexuellen und aggressiven Triebe halten sich immer weniger an Regeln. Aber wir haben -immer noch das strengere šberich aus der frhen Kindheit, das in der Tiefe des Individuums fortlebt. Daraus resultieren Unruhe, -Unbehagen, depressive Verstimmungen und Sucht nach Ersatzbefriedigungen"10. -AAF - Auch fr die Psyche gilt damit, was wir bereits fr die -soziogenetische Ebene festgestellt haben: daá Vergesellschaftung unter -Marktbedingungen ein h”chst paradoxer Vorgang ist. Verglichen mit -Freuds Zeiten ist das Netz des Sozialen engmaschiger und st„rker -geworden und hat l„ngst auch den privaten Schonraum der Familie -erfaát, in dem Elias noch eine Enklave des gesellschaftlich nicht -Geformten sah (I, 226f., 247, 259). Diese Expansion des Sozialen aber -geht keineswegs einher mit einer kontinuierlich zunehmenden -'Individualisierung' oder gar 'Massenindividualisierung' (1987, 273, -242), sondern macht Individuierung zu einer immer schwerer zu -bew„ltigenden Aufgabe. Durch den Fortfall jener Faktoren, die in der -brgerlichen Familie eine sukzessive Einschr„nkung und Frustrierung -der archaischen Wnsche und Phantasien durchsetzten, wird die Macht -des Unbewuáten gest„rkt; damit aber die Macht einer Instanz, die, im -Gegensatz zu den Annahmen eines C.G. Jung, keine h”here Kollektivit„t -verk”rpert, sondern deren Negation: die aus der gesellschaftlichen -Kommunikation ausgeschlossene private Symbolwelt der von ihren -pr„”dipalen Objekten beherrschten Individuen (vgl. Lorenzer 1970, 92, -97). Zivilisation, die einmal aus der Domestizierung des Archaischen -entsprang, schl„gt damit in ihr Gegenteil um: in die Wiedererzeugung -des Archaischen "in der Zivilisation durch die Zivilisation selbst" -(Adorno 1971, 42). Es spricht gegen die Zivilisationstheorie von -Elias, daá sie noch nicht einmal die M”glichkeit einer derartigen -Entwicklung er”rtert11. - - - - 3. Der letzte hier zu diskutierende Einwand stammt aus der -Systemtheorie und besagt, daá Elias dem Unterschied zwischen -Interaktions-, Organisations- und Gesellschaftssystemen nicht gengend -Rechnung tr„gt. Interaktionssysteme sind, nach der Definition -Luhmanns, dadurch bestimmt, daá Anwesende sich wechselseitig -wahrnehmen und auf dieser Grundlage miteinander kommunizieren. Wegen -dieser Bindung an die konkrete Pr„senz von Personen k”nnen sie weder -in ihren internen noch in ihren externen Beziehungen sonderlich hohe -Komplexit„t erreichen, eine Beschr„nkung, die noch dadurch verst„rkt -wird, daá die Erfordernisse der thematischen Konzentration und der -linearen Sequenz der Beitr„ge sehr zeitraubend sind. - -Organisationssysteme erm”glichen dagegen eine h”here sachliche und -zeitliche Generalisierung, weil sie auf Mitgliedschaftsregeln -aufbauen. Auf der Basis solcher Regeln ist es m”glich, hochgradig -knstliche Verhaltensweisen dauerhaft zu reproduzieren, die sich durch -ein hohes Maá an Motivgeneralisierung und Verhaltensspezifikation -auszeichnen. - Der Begriff des Gesellschaftssystems schlieálich zielt -auf die umfassendste Form von Kommunikation: das Sozialsystem par -excellence, das als Bedingung aller anderen sozialen Systeme fungiert -(damit auch aller Interaktions- und Organisationssysteme). Es ist -nicht einfach die Summe aller Organisationen und Interaktionen, -sondern ein System h”herer Ordnung. Es schlieát neben Interaktionen -auch interaktionsfreie Handlungen wie z.B. schriftliche Kommunikation -ein, grenzt das Soziale vom Nichtsozialen ab und erm”glicht die -Ausdifferenzierung von Subsystemen, die auf bestimmte, nur ihnen -zurechenbare Funktionen spezialisiert sind (Luhmann 1974, 143; 1982, -11f.). - - Mit dieser Unterscheidung verbindet Luhmann eine evolution„re -Perspektive. Obwohl keine Gesellschaft jemals ganz in Interaktionen -aufgeht, gilt doch fr archaische Gesellschaften, in denen die -Funktionsdifferenzierung nur wenig entwickelt ist, daá sie -interaktionsnah gebildet werden (Luhmann 1985, 576). Auch in den -vormodernen Hochkulturen spielen Interaktionssysteme noch eine -fhrende Rolle, wenngleich wichtige Funktionen bereits durch -Organisationen erledigt werden: das Prinzip der Stratifikation, nach -dem diese Gesellschaften gegliedert sind, hat zur Folge, daá die -Gesellschaft als Ganze durch das Kontaktnetz der Oberschicht -repr„sentiert und symbolisiert wird. Oberschichteninteraktion kann -deshalb als Integrationmodus stratifizierter Gesellschaften angesehen -werden (Luhmann 1980, 84). - - In der modernen Gesellschaft dagegen, die auf voll durchgefhrter -funktionaler Differenzierung beruht, kommt dem Interaktionssystem -keine integrative Aufgabe mehr zu. Wohl bleibt Interaktion eine -Basisbedingung von Gesellschaft, die sich ja schlieálich durch -soziales Handeln konstituiert. Doch ist die Gesellschaft mit der -Delegation grundlegender Funktionen an Subsysteme, mit der Entstehung -ausgedehnter Organisationssysteme und nicht zuletzt mit der -Erweiterung zur Weltgesellschaft so komplex und berpers”nlich -geworden, daá sie sich durch Interaktion nicht mehr repr„sentieren, -geschweige denn bew„ltigen l„át. - - "Die Gesellschaft ist, obwohl weitgehend aus Interaktionen bestehend, fr Interaktion unzug„nglich geworden. Keine -Interaktion, wie immer hochgestellt die beteiligten Personen sein m”gen, kann in Anspruch nehmen, repr„sentativ zu sein fr -Gesellschaft. Es gibt infolgedessen keine 'gute Gesellschaft' mehr. Die in der Interaktion zug„nglichen Erfahrungsr„ume vermitteln -nicht mehr das gesellschaftlich notwendige Wissen, sie fhren wohlm”glich systematisch in die Irre. Auch die Interaktionsfelder, die -sich unter irgendwelchen Gesichtspunkten zusammenfgen und aggregieren lassen, lenken die Aufmerksamkeit „uáerstenfalls auf -Funktionssysteme, vielleicht auch auf regionale Abgrenzungen (Nationen), nicht aber auf das umfassende System -gesellschaftlicher Kommunikation" (Luhmann 1985, 585). -AAF - Im gleichen Maáe, wie die Interaktion an gesamtgesellschaftlicher -Relevanz verliert, schiebt sich die Organisation in den Vordergrund. -Dieselben Prozesse, die zur Auseinanderziehung der Systemebenen von -Gesellschaft und Interaktion fhren - die Ausdifferenzierung und -durchgehende Monetarisierung der Gesellschaft, die Verrechtlichung der -Erhaltungs- und Fortsetzungsbedingungen t„glicher Lebensfhrung, die -wachsende Bedeutung von Schulerziehung und Berufswahl fr die -individuelle Biographie (Luhmann 1981, 360f.) - begnstigen nach -Luhmann eine massenhaft-spontane 'Autokatalyse' von Organisationen und -eine entsprechende Verallgemeinerung der diesem Systemtypus eigenen -Besonderheiten: der Engfhrung von Kommunikation auf Entscheidungen -und Verknpfungen von Entscheidungen; der Bindung an Weisungsketten, -Žmterhierarchien und Kontrollmechanismen; der Unterwerfung unter -programmierte Ziele und Strategien; der Entlastung von moralischen -Erw„gungen und gesamtgesellschaftlichen Reflexionen. - - Allerdings bedeutet diese unbestreitbare Expansion von -Organisationen und organisationsspezifischen Verhaltensmustern nicht, -daá sich die Gesellschaft in ein einheitliches Organisationssystem -verwandelt. Die Gesellschaft konstituiert sich heute als -Weltgesellschaft und bersteigt schon allein dadurch den Horizont des -Organisierbaren. Auch innerhalb der einzelnen Funktionsbereiche ist -die Komplexit„t so sehr angewachsen, daá die Aufgaben der Wirtschaft -oder der Erziehung durch eine einzige Organisation nicht bew„ltigt -werden k”nnten. Selbst wenn es z.B. gel„nge, Produktionsorganisationen -durch eine weltweite Planung zu integrieren, k”nnten gleichwohl -Produktions- und Konsumentscheidungen nicht zu einer einzigen -Organisation zusammengeschlossen werden (Luhmann 1982, 15). -Organisierte Sozialsysteme m”gen der Rahmen sein, in dem sich ein -groáer, wenn nicht der gr”áte Teil des sozialen Alltagshandelns -vollzieht. Zu einer Megaorganisation, in der die Unterscheidung von -Gesellschaftssystem und Organisationssystem hinf„llig wrde, fgen sie -sich nicht. - - Im Lichte dieser Unterscheidungen liegt der Grundmangel der -Zivilisationstheorie in der Totalisierung von Verhaltensformen, die -fr Interaktionssysteme typisch sind. Diese Totalisierung ist -historisch gesehen nicht v”llig falsch. Sie kann sich darauf berufen, -daá unter den Bedingungen stratifikatorischer Differenzierung in der -Tat ein spezifisches Interaktionssystem - der Hof - -Integrationsaufgaben erfllte und insofern von -gesamtgesellschaftlicher Relevanz war. Elias beschr„nkt die Gltigkeit -der Zivilisationstheorie jedoch ausdrcklich nicht auf diese Phase, -sondern faát auch die der funktionalen Differenzierung und den -organisierten Sozialsystemen gem„áen neuen Verhaltensmuster als -Manifestation des Zivilisierungsprozesses auf, obgleich er sehr wohl -einr„umt, daá das Schema der nichth”fischen mittelst„ndischen -Zivilisationslinie von dem der h”fischen verschieden ist, und obgleich -er erkennt, daá die 'guten Gesellschaften', die nach der h”fischen -kommen, "nicht mehr im entferntesten die gleiche formgebende Kraft" -haben (II, 416; 1975, 144f., 172ff.). Der Prozeá der Zivilisation, -lautet eine mehrfach wiederholte Kernthese, vollzieht sich "ohne -Bruch", "in einer immer intensiveren Ausbreitungsbewegung", die mit -der Bildung eines h”fischen Sozialcharakters beginnt und - vorerst - -mit einem von diesem abgeleiteten Nationalcharakter endet (I, 43f.). - - Die Behauptung aber, daá die "h”fisch-aristokratische -Menschenmodellierung (...) in dieser oder jener Form in die -berufsbrgerliche ein(mndet) und (...) in ihr aufgehoben -weitergetragen (wird)" (II, 418), wird der im Begriff der 'Aufhebung' -liegenden Dialektik nicht gerecht. Gewiá gibt es eine Aufhebung im -Sinne des Bewahrens und Fortfhrens, die sich in der šbernahme -bestimmter Mechanismen der Selbstkontrolle (Langsicht, -Affektbeherrschung) oder in Erscheinungen wie der 'Demokratisierung -der Literalit„t' (Goody/Watt) zeigt. Aufhebung aber meint auch stets - -und in diesem Falle mehr als alles andere - Negation, Auáer-Geltung- -Setzen, Beenden. So hat die Demokratisierung der Literalit„t, wie -Goody und Watt gezeigt haben, durchaus nicht nur zu einer kollektiven -Aneignung des kulturellen Erbes gefhrt, sondern auch dessen -Verbindlichkeit aufgel”st und dessen Homogenit„t zerst”rt12, und so -resultiert denn auch die Aufhebung des Privilegs nicht in der -Verallgemeinerung der in der Oberschicht geltenden Codes, sondern -allenfalls in deren Musealisierung. - - Luhmann zufolge ist diese Entwicklung unausweichlich, denn erstens -verliert die Oberschichteninteraktion mit zunehmender -Ausdifferenzierung von Subsystemen ihren Repr„sentationscharakter - -das Ganze l„át sich durch keinen Teil mehr darstellen, sondern ist nur -noch in den Teilen selbst pr„sent; und zweitens geht durch die -Radikalisierung der Funktionsdifferenzierung die Conditio sine qua non -h”fischer Interaktion verloren: die Verfgung ber ein ausreichendes -Quantum nichtfunktionsbezogener Zeit, alteurop„isch ausgedrckt: Muáe. -Nur eine Schicht, die ihr gesamtes Dasein 'máig' verbrachte, d.h. -nicht prim„r in den Aufgaben der Produktion und Reproduktion des -unmittelbaren Lebens aufging, konnte jene gesteigerte F„higkeit zur -Wahrnehmung des eigenen und des fremden Selbst ausbilden, von der das -Leben bei Hofe abhing; nur eine Schicht, die auf Repr„sentation des -Ganzen spezialisiert war, konnte sich auf die Stilisierung der -Umgangsformen, auf die Produktion und Interpretation jener Zeichen -konzentrieren, in denen sich Rang und Ehre, Achtung oder Miáachtung -dokumentierten. Wenn Zivilisation darin besteht, daá man dem Umweg vor -der Abkrzung, der indirekten Aktion vor der direkten den Vorzug gibt, -so setzt sie eine Ordnung voraus, die wenigstens ber ein Gut im -šberfluá verfgt: Zeit. - - Organisierte Sozialsysteme indes, wie sie in der -berufsbrgerlichen Gesellschaft dominieren, beruhen auf der -systematischen Verknappung von Zeit. In ihnen geht es, wie man nicht -nachdrcklich genug hervorheben kann, um Zeitgewinn und um die damit -verbundenen Konkurrenzvorteile gegenber anderen Organisationen: daher -die Verkrzung und Kanalisierung der Kommunikation, die simultane -Erledigung von Aufgaben durch Arbeitsteilung, die Entlastung der -Operationen von der zeitraubenden Notwendigkeit, fr jeden Einzelfall -natrlich gewachsene Motive oder moralischen Konsens zu beschaffen13. -Es ist klar, daá nur eine derartige ™konomisierung der Zeit die -Organisationen in die Lage versetzt, die Flle der ins Unendliche -gestiegenen Anforderungen zu bew„ltigen. Ebenso klar ist aber, daá die -'Temporalisierung von Komplexit„t' nur im Gegenzug gegen die fr die -traditionellen Oberschichten typischen Formen der Zeitverwendung -durchgesetzt werden kann - und damit auch im Gegenzug gegen die -civilisation. Wo die Knappheit der Zeit und die Vordringlichkeit des -Befristeten (Luhmann) regiert, wird Achtungskommunikation alten Stils -zum Luxus, der nur noch auáerhalb der organisierten Sozialsysteme (und -hier oft noch nicht einmal gegen Geld) zu haben ist. Gepflegte -Geselligkeit und galante Konversation, Zivilisierung der Gesten und -der Sprache, Takt und Respekt, alle diese Formen erweisen sich heute -als Oberschichtenph„nomene, die "nach der Aufl”sung der -stratifizierten Gesellschaftsordnung jedenfalls nicht als -Kultiviertheitserwartung fortgesetzt werden"14. - - Nicht daá sie v”llig verschw„nden. Distinktionsstrategien spielen -auch heute noch eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben, vom -ehemaligen Adel ber die Bildungseliten bis hinab zur Unterwelt -(Girtler 1989). Aber der ubiquit„re Zeitdruck erzwingt doch eine so -unbersehbare Reduktion und Minimierung aller Schn”rkel und Floskeln, -eine solche Raffung aller umst„ndlichen Vermittlungen, daá sich der -inter- und intraorganisatorische Kommunikationsstil mehr und mehr -jener zeitgen”ssischen Architektur angleicht, die das Ornament zum -Verbrechen erkl„rte (A.Loos). Zeit”konomie und Zivilisation schlieáen -einander aus. Wer diesen Gegensatz verleugnet und auch fr die -Gegenwart noch am Zivilisationsbegriff festhalten will, muá daraus -alle Inhalte tilgen, die einmal mit Zivilisiertheit verbunden waren. - - - - - - - - - - -Anh„ngern nicht g„nzlich entgangen. Besonders Cas Wouters hat sich -ihnen gestellt und einen Trend zur Informalisierung diagnostiziert, -den er auf Ver„nderungen in der Machtbalance zwischen den sozialen -Klassen, den Generationen und den Geschlechtern zurckfhrt (Wouters -1979; 1986). Elias hat dann diese Diagnose aufgegriffen und alle -Versuche abgewiesen, daraus eine Falsifizierung der -Zivilisationstheorie ablesen zu wollen. Die Informalisierung, so seine -These, sei im Gegenteil ein Beleg fr die Intensivierung des -Zivilisationsprozesses, weil sie mit einer "Zunahme des -gesellschaftlichen Drucks zur Selbstregulierung" einhergehe (Elias -1989, 60). Dem ist zweierlei entgegenzuhalten. Elias und Wouters haben -sicher recht, wenn sie in der Informalisierung nicht einfach einen -Rckfall in Chaos und Regellosigkeit sehen wollen. Selbstverst„ndlich -ist die moderne Gesellschaft, bei aller Lockerung von Konventionen und -Standards, durch ein sehr hohes Maá an Regulierung gekennzeichnet. -Nur: diese Regulierung ist ein Effekt der organisierten Sozialsysteme, -die strukturell in keinerlei Beziehungen zu den Interaktionssystemen -der h”fischen Gesellschaft stehen. Der in ihnen endemische -Rationalisierungszwang drfte weit mehr als alle Ver„nderungen in den -Machtbalancen zwischen verschiedenen sozialen Gruppen dazu beigetragen -haben, daá die berkommenen Interaktionsrituale nach und nach ber -Bord geworfen wurden. Zweitens aber kann die Informalisierung auch -deswegen keine Intensivierung des Zivilisationsprozesses sein, weil -die partielle Entstrukturierung der „uáeren Beziehungen mitnichten -durch Strukturgewinne im Innern der Subjekte kompensiert wird. Die -"vorzeitige" Sozialisation, so haben wir im vorigen Abschnitt gesehen, -fhrt gerade nicht auf eine "h”here Ebene des Bewuátseins und -wahrscheinlich auch eine h”here Ebene der Selbststeuerung" (Wouters -1979, 294), sondern zu einer Schw„chung des Ichs und einer -Entstrukturierung des šber-Ichs. Weit davon entfernt, ber die von den -Zivilisationstheoretikern supponierte Souver„nit„t zu verfgen, die es -ihm erlaubte, rigide Kontrollen in bestimmte Bereiche zu lockern, -scheint das Subjekt eher zum Zerfall zu tendieren: zur Spaltung in ein -uneigentliches Selbst, das sich den externen Funktionsimperativen der -organisierten Sozialsysteme anpaát, und in ein eigentliches Selbst, -das sich in den Intermundien dieser Systeme entfaltet und berall -dort, wo es auf keine Schranken mehr st”át, den Impulsen seiner -jeweiligen emotionalen Befindlichkeit folgt (Gerhards 1988, 237f.). -Wie dnn dabei die Linie ist, die die psychische von der physischen -Inkontinenz trennt, weiá jeder, der die ”ffentlichen Verkehrsmittel in -Groást„dten benutzt. - - - - - - - - - - -eine h”fische Zivilisation im Abendland gab und daá Norbert Elias ihr -Theoretiker ist. Ich bezweifle auch nicht, daá diese h”fische -Zivilisation in einigen L„ndern wie Frankreich auf die aufsteigenden -brgerlichen Schichten abgef„rbt und deren nationalen Habitus gepr„gt -hat, wiewohl man hinzufgen sollte, daá dies historisch gesehen eher -die Ausnahme als die Regel war. Das Brgertum ist eine sehr -abendl„ndische Erscheinung, und selbst innerhalb des Abendlandes gibt -es zahlreiche F„lle, in denen es sich dem Einfluá des Hofes entzog. -Der Hoffnung des Liberalismus, die Brger m”chten sich die Manieren -der guten Gesellschaft aneignen, w„hrend die 'historischen Klassen' im -Verdienen tchtiger werden sollten, hielt schon Karl Kraus entgegen, -daá "aller Wahrscheinlichkeit nach schlieálich die historischen -Klassen ohne irdische Gter und mit schlechten Manieren, die -vordringenden Schichten aber mit zweifachem Besitzstand die -Gesellschaft repr„sentieren werden" (Kraus 1916, 7). Schlieálich ist -auch unbestritten, daá es in der Neuzeit eine weitausgreifende -Affektmodellierung gegeben hat, in die immer weitere Schichten -einbezogen wurden. - - -"evolution„r wirkende Kontinuit„t des Zivilisationsbegriffs" behauptet -und die Geschichte der h”fischen Affektmodellierung zur "Vorgeschichte -der Modernisierung", gar zur "Vorgeschichte des modernen -Sozialcharakters" erkl„rt (Kuzmics 1989, 82, 89f.). Eine derart -notwendige Beziehung, wie sie hier unterstellt wird, existiert nicht. -Es gibt sie historisch nicht, weil die Geschichte zahlreiche h”fische -Gesellschaften kennt, die sich nicht zu berufsbrgerlichen -Gesellschaften entwickelt, sondern stattdessen in -Kriegergesellschaften zurckverwandelt haben - Japan nach der Heian- -Žra ist hierfr vielleicht das beste Beispiel; der eigentliche -Durchbruch zur berufsbrgerlichen Gesellschaft erfolgte dagegen in -L„ndern, in denen nach Elias' eigener Einsicht der Hof nur eine -geringe oder gar keine Rolle spielte - England und den USA (1975, 104, -147f.). Es gibt eine solche notwendige Beziehung aber auch nicht im -logisch-strukturellen Sinne, weil zwischen der Affektmodellierung, wie -sie fr Interaktionssysteme typisch ist, und derjenigen, wie sie -Organisationssysteme fordern, ein Hiatus klafft. Mit Robert Muchembled -ist davon auszugehen, daá die fr die h”fische Welt typische -Verfeinerung der Sitten vor allem die Funktion einer Abgrenzung und -Distanzierung der Oberschichtenkommunikation von anderen -Kommunikationsformen hatte und Muster entwickelte, die sich nur um den -Preis des L„cherlichen, Parvenuhaften von anderen Schichten kopieren -lieáen - schon deshalb, weil keine dieser Schichten ber den -erforderlichen Abstand zur Welt des Geldes und des 'Berufs' verfgte. -Der Zwang zur Langsicht, die Schemata der Verhaltensregulierung und - -kontrolle, die fr diese Schichten maágeblich sind, resultieren aus -den Zw„ngen dieser Welt, nicht aus den Vorgaben der -Oberschichtenkommunikation; Zivilisierung ist keine Bewegung von oben -nach unten, die immer noch andauert, sondern eine Bewegung, die die -Kluft zwischen oben und unten zu zementieren trachtet: - - -Mechanismus zur Nivellierung der Unterschiede. Er bringt im Gegenteil verschiedenartige Wesen hervor, die auf verschiedenen -Stufen der soziokulturellen Hierarchie angesiedelt sind. Diese Menschen - das gilt selbst noch fr das Ende des Ancien R‚gime - sind -durchaus nicht aus einem Stck gemacht, sondern fgen sich in Gesellschaftsschichten ein, die unterschiedliche Verhaltensstr„nge -und gegens„tzliche ”konomische Entwicklungen beerben. Mit anderen Worten, nichts w„re verfehlter, als die Entwicklung der -Mentalit„ten vom ausgehenden Mittelalter bis zur Revolution als eine Art unbestimmten Gesamtfortschritt darzustellen, dem sich die -einzelnen Gruppen dann mehr oder weniger vollkommen anpaáten" (Muchembled 1990, 184). - - -Rhythmus durch die Ausdifferenzierung neuer, eigengesetzlicher -Funktionssysteme und Organisationen bestimmt wird. Jeder dieser Schbe -ist, psychogenetisch gesehen, mit einer Schw„chung, wenn nicht sogar -mit einem Abbau der bis dahin dominierenden Instanzen verbunden. Das -brgerliche Ich ist, als psychische Instanz, schw„cher als das -h”fische, weil es nicht nur mit dem Es und der Auáenwelt, sondern auch -mit einem šber-Ich zu rechnen hat, das vom Individuum eine -Staatsf”rmigkeit seiner Gesinnungen, nicht bloá seiner „uáeren -Handlungen verlangt (Vowinckel 1983, 150). Das nachbrgerliche Ich ist -noch schw„cher, weil es nicht mehr auf dem Weg einer Identifikation -mit dem Aggressor - dem ”dipalen šber-Ich -St„rke gewinnen kann, -vielmehr schutzlos und unvermittelt der Gewalt pr„”dipaler, -archaischer Konfigurationen ausgeliefert ist, die den Anspruch auf -Grandiosit„t und Omnipotenz erheben. Mit jedem neuen Schub in der -Entwicklung der Sozialkontrolle erh„lt somit das Ich neue und stets -m„chtigere Gegner, die seine Souver„nit„t fortw„hrend einschr„nken - -und damit seine F„higkeit zu dem, was Elias mit Recht als -Wesensmerkmale des zivilisierten Habitus herausstellt: Selbstdistanz, -Selbstkontrolle, Takt, 'taking the role of the other', das Spiel mit -dem Schein und nicht zuletzt auch die Technik der Simulation, die dem -protestantischen Kleinbrger als Unaufrichtigkeit erscheinen mag, in -Wirklichkeit aber die F„higkeit bedeutet, die anderen mit der Last des -eigenen Selbst zu verschonen (Sennett 1983, 299). - - -der Zivilisation. Sie verallgemeinert keineswegs die Formen, die in -der h”fischen Zivilisation auf einen kleinen Kreis von Privilegierten -beschr„nkt waren, sondern beseitigt mit dem Privileg auch diese -Formen. Sie fhrt nicht zu einer Anverwandlung der bisher -Ausgeschlossenen an die Ausschlieáenden, sondern umgekehrt zum -Vordringen des aus der Zivilisation Ausgeschlossenen. Seit dem 18. Jh. -ist die vorherrschende Tendenz in der Politik wie in der Kunst eine -nicht abreiáende Kette von Demaskierungen, Entlarvungen und -Enthllungen, in der eine Konvention und Tradition nach der anderen -demontiert wird und immer neue Schichten des Verdr„ngten ans Licht -gezogen werden; und wenn es eine Zeitlang so schien, als k”nnte mit -der Ausweitung des ”ffentlichen Erziehungswesens ein Gegengewicht -geschaffen werden, so ist dieses mittlerweile so stark segmentiert und -mit anderen Aufgaben berfrachtet, daá selbst der amerikanische -Pr„sident sich alarmiert zeigt. Die sprachlichen Ausdrucksformen der -Unterschichten, insbesondere die Koppelung von Sexualit„t und Gewalt, -sind l„ngst gesellschaftsf„hig geworden und machen, wie ein Blick in -den 'Anti-™dipus' zeigt, selbst vor dem wissenschaftlichen Diskurs -nicht mehr halt; die Distanzierung vom K”rper, die diesen zum Medium -der Demonstration festgefgter Konventionen machte, ist einer -aufdringlichen Thematisierung desselben gewichen, bei der der K”rper -zwar mit Signalen berladen und - wie in der Punk-Bewegung - in -extremer Weise stilisiert wird, jedoch nichts repr„sentiert und nichts -mehr mitzuteilen hat (Bette 1987; Georgieff 1987); und wer gezwungen -ist, sich am Straáenverkehr zu beteiligen, wird rasch feststellen -mssen, daá auch die Survival-Mentalit„t der Unterschichten sich -allgemeiner Anerkennung erfreut. Elias pflegt in seinen letzten -Arbeiten h„ufig auf die sinkenden Unfallziffern zu verweisen, um seine -These vom gestiegenen Selbstzwang zu erl„utern (1978, 22). Doch fnf -Minuten auf der Autobahn sollten eigentlich gengen, um sich davon zu -berzeugen, daá hier nicht die Zivilisation herrscht, sondern das -Gesetz des Dschungels. Nicht daá dort jeder Mensch jedem Menschen ein -Wolf w„re, das hatte schon Hobbes mit seinem bekannten Diktum nicht -gemeint. Es gibt auch heute unendlich viele Beispiele von -Zuvorkommenheit und Hilfsbereitschaft. Aber eine Welt, in der man bei -jedem Streit um eine Parklcke, bei jeder Beschwerde ber zu lauten -Partyl„rm damit rechnen muá, erschossen, erstochen oder -zusammengeschlagen zu werden, ist von der Zivilisation noch immer -genau so weit entfernt wie der von Hobbes beschriebene Kriegszustand, -"which is worst of all, continual fear, and danger of violent death; -and the life of man, solitary, poor, nasty, brutish, and short"15. - - -Leitbegriff der Zivilisationstheorie zu revidieren. Anstatt in ihm -nach dem Vorbild der franz”sischen Aufkl„rung zwei nur zuf„llig- -historisch verbundene Komplexe zusammenzuzwingen - die h”fischen -Interaktionsregeln und die Rationalit„tsstrukturen organisierter -Sozialsysteme - sollte man ihn wieder enger fassen und seiner -geschichtsphilosophischen Konnotationen entkleiden. Vielleicht hatte -Kant doch recht, als er vorschlug, den Zivilisationsbegriff auf -"Manieren, Artigkeit und eine gewisse Klugheit" zu beschr„nken, -vermittels welcher der Mensch 'gesellschaftsf„hig' werde - womit er -natrlich die 'gute Gesellschaft' meinte (Kant 1968, XII, 707). Eine -solche Eingrenzung h„tte jedenfalls den Vorzug, daá sie uns deutlicher -als Elias die Verg„nglichkeit der Bedingungen vor Augen fhrte, an die -Zivilisation nun einmal gebunden ist, und sie k”nnte es vielleicht -erm”glichen, die Theorie der Zivilisierung durch die l„ngst -berf„llige Theorie der Entzivilisierung zu erg„nzen. - - -keine Rcksicht halten, auch als bloáe Spiel-Form nicht. - Und ebenso schrumpft in einer Welt, die uns um Muáe und die anderen -Bedingungen des Privaten betrgt, die Subtilit„t unseres seelischen Privatlebens" (Anders 1986, 13). - - - - - - - - - - -Zivilisation, so w„re dazu kaum etwas geeigneter als das Konzept der -Disziplinargesellschaft, das Michel Foucault in den siebziger Jahren -entwickelt hat. Gewiá ist der Gegensatz nicht absolut. Beide Autoren -interessieren sich fr Prozesse der Normierung und Regulierung, beide -sehen eine enge Beziehung zwischen Individuierung und Subjektivierung -einerseits, sich verdichtenden Machtverh„ltnissen andererseits. -Foucault bezieht diese Entwicklungen jedoch nicht wie Elias auf ein -Zentrum, und er sieht sie auch nicht aus der Perspektive eines -zunehmenden Souver„nit„tsgewinns der (Welt-) Gesellschaft und des -einzelnen. Die moderne Gesellschaft gilt ihm als polyzentrisches -Geflecht von Disziplinarapparaten und die Individuierung als -Manifestation der Macht. Anstelle der Vision einer friedlichen -Kooperation steht bei ihm die eines 'verallgemeinerten Krieges' (1978, -40)16 , anstelle der Aufhebung willkrlicher Macht deren Verfestigung -zu 'Herrschaftszust„nden' (1985, 11). "Die Menschheit", so Foucaults -nietzscheanisches Credo, "schreitet nicht langsam von Kampf zu Kampf -bis zu einer universellen Gegenseitigkeit fort, worin die Regeln sich -fr immer dem Krieg substituieren; sie verankert alle ihre -Gewaltsamkeiten in Regelsystemen und bewegt sich von Herrschaft zu -Herrschaft" (1974, 95). - - -nicht mehr zu berblicken. Vieles davon ist Einfhrung oder Paraphrase -und wird so schnell vergessen werden, wie es geschrieben wurde17 . -Doch hat Foucault inzwischen auch ernstzunehmende Gespr„chspartner -gefunden, die so schwerwiegende Einw„nde gegen seinen Entwurf -formuliert haben, daá sich dessen einfache Fortschreibung oder -Kanonisierung verbietet. Ich werde zun„chst Foucaults Grundgedanken -knapp skizzieren, danach die wichtigsten Gegenargumente pr„sentieren -und anschlieáend er”rtern, inwieweit die Theorie der -Disziplinargesellschaft noch zu halten ist. - - - - - - - - - - -Genealogie der Disziplin religi”sen Faktoren ein erhebliches Gewicht -zu. Schon der vorchristliche, vor allem aber der christliche Orient -habe einen spezifischen, pastoralen Machttypus entworfen, dessen Pole -die Herde und der dieselbe zusammenhaltende Hirt oder Sch„fer seien; -diese Pastoralmacht habe sich dann vom 2. Jh. an ununterbrochen -verfeinert und sich mit der politischen Macht assoziiert, wodurch zwei -verschiedene Machttechniken miteinander verbunden worden seien: das -kirchliche Gest„ndnis- und Beichtritual und die Formulierung und -Vollstreckung des Gesetzes (1982, 17ff.). Aus dieser Kombination, die -zum erstenmal im Inquisitionsprozeá praktische Gestalt angenommen -habe, sei jene doppelte Bedeutung von 'Subjektivierung' entsprungen, -die seither das Abendland bestimmt habe: Subjektivierung im Sinne -einer Unterwerfung unter Kontrolle und Abh„ngigkeit und -Subjektivierung im Sinne einer Bindung an die eigene Identit„t qua -Bewuátsein und Selbsterkenntnis (1987, 247f.) - - -nur geringe Aufmerksamkeit. Weitaus intensiver befaát er sich dagegen -mit dem eigentlichen Formierungsstadium, das er auf das 17. und 18. -Jh. datiert. Zwar dominiert zu diesem Zeitpunkt mit der absoluten -Monarchie noch eine Form der Macht, "die wesentlich an der Absch”pfung -und am Tode orientiert war" (1977, 110) - eine Form, die sich -verfassungsrechtlich in der Souver„nit„t und der ihr -korrespondierenden Gesetzgebungskompetenz manifestiert, und die -strafrechtlich in den Riten und Marterzeremonien der -'Abschreckungsmacht' erscheint. Zur gleichen Zeit aber bereitet sich -gesamtgesellschaftlich ein Umbruch vor, in dessen Verlauf auch die -Macht eine tiefgreifende Transformation erf„hrt. Am Beispiel der -b„uerlichen Delinquenz zeigt Foucault, daá das klassische Zeitalter -der Schauplatz neuer Formen der Gesetzwidrigkeit ist, die sich nicht -mehr prim„r gegen die Rechte des Adels oder des K”nigs richten, -sondern gegen Gter; ein Wandel, mit dem die Bev”lkerung auf neue -Formen der Kapitalakkumulation, der Produktionsverh„ltnisse, der -Aneignungsstrukturen reagiert. Mit dem Anwachsen kapitalistischer -Produktionsapparate und dem demographischen Wachstumsschub des 18. -Jhs. verbreitern und vervielfachen sich die Konfliktlinien und lassen -dadurch die klassische, auf der Veranstaltung exemplarischer -Straffeste beruhende Souver„nit„ts- und Abschreckungsmacht zunehmend -unwirksam werden (1976, 110, 280). - - -engen Rahmen herausw„chst, in den sie durch die Institutionen der -Monarchie gebannt war, ist die Zeit, in der neue Verfahren und -Mechanismen der Macht auf den Plan treten; Verfahren, "die nicht mit -dem Recht, sondern mit der Technik arbeiten, nicht mit dem Gesetz, -sondern mit der Normalisierung, nicht mit der Strafe, sondern mit der -Kontrolle, und die sich auf Ebenen und in Formen vollziehen, die ber -den Staat und seine Apparate hinausgehen" (1977, 110f.). Welche -Verfahren sind hier gemeint? - - -Ancien R‚gime beginnen sich Forderungen der Aufkl„rer nach -Humanisierung des Strafrechts und ™konomisierung der Strafgewalt in -einer Reihe von Reformen geltend zu machen, die die Ersetzung der -alten '™konomie der Verausgabung und des Exzesses' durch eine -'™konomie der Kontinuit„t und der Dauer' erm”glichen. W„hrend die -absolutistische Souver„nit„ts-Macht mit ihrer Sprunghaftigkeit und -Regellosigkeit sowie der Weitmaschigkeit ihres Kontrollnetzes den -Gesetzwidrigkeiten der Untertanen weiten Raum lieá, bemhen sich die -Justizaufkl„rer darum, durch Milderung der Strafen, sorgf„ltigere -Kodifizierung und Rationalisierung der Gewaltausbung die Basis fr -einen neuen gesamtgesellschaftlichen Konsens hinsichtlich der -Strafgewalt zu schaffen, um eine wirksamere Verteidigung gegen einen -Gegner zu erm”glichen, "der jetzt raffinierter, aber auch verbreiteter -im gesellschaftlichen K”rper ist". Indem sie die Willkr des Souver„ns -anprangert, bereitet die Aufkl„rung zugleich den Boden fr ein neues, -perfekteres System der sozialen Kontrolle. Richter und Ankl„ger, -Verteidiger und Angeklagte werden in ein diskursives Gefge -eingeschlossen, dessen Sinn nicht in der schreckenerregenden -Wiederherstellung der Souver„nit„t, sondern in der -Wiederinkraftsetzung des Strafgesetzbuches bestehen soll (1976, 113, -141). - - -Definition schuldig bleibt, meint im wesentlichen folgendes: Auf der -einen Seite haben wir es mit einer Kodifizierung und Rationalisierung -zu tun, die den Untertanen zweifellos neue Sicherheiten bringt. Die -Macht wird an Regeln gebunden, das Individuum als Rechtssubjekt -anerkannt, die Strafe in ein Mittel verwandelt, das die -Rechtssubjektivit„t wiederherstellen soll. Auf der anderen Seite aber -wird gerade dadurch eine „uáerste Verfeinerung und Vervollkommnung der -Unterwerfung erm”glicht. Der Kodifizierung entspricht eine zunehmende -Individualisierung der Strafen und eine Objektivierung von Verbrechen -und Verbrecher. Das Rechtssubjekt wird Gegenstand einer -klassifizierenden und vergegenst„ndlichenden Betrachtungsweise, die -den einzelnen in ein komplexes Tableau justiziabler Eigenschaften und -Tatbest„nde einordnet. Er wird geprft, beurteilt, registriert, so daá -jede seiner Eigenschaften mittels einer Reihe von Codes und deren -Korrelierung dokumentierbar wird. Durch die vielf„ltigen Praktiken der -šberwachung und Kontrolle, der Einstufung und der Zuordnung bildet -sich, was Foucault als die andere, "dunkle" Seite des Rechtssubjekts -bezeichnet: das "Disziplinarindividuum", das von den neuen -Machttechniken fabriziert wird (1976, 396). - - -Strafjustiz. Foucault sprt sie auf in der neuen Einstellung der -Gesellschaft gegenber dem Wahnsinn, welcher ausgegrenzt, interniert -und in eine Form der Geisteskrankheit verwandelt wird, mit der die -Gesellschaft nur noch ber das abstrakte Medium der Psychiatrie -kommuniziert. Er entdeckt sie in der explosionsartigen Vermehrung der -Diskurse ber Sexualit„t, die zur Bildung eines gigantischen Registers -der Lste und Perversionen fhrt. Er lokalisiert sie im „rztlichen -Blick und in der wissenschaftlichen Kontrolle der Krankheiten und -Infektionen, in der administrativen Kontrolle der Heilmittel, der -Todesf„lle und Geburten, der Verstellungen und Abwesenheiten, -schlieálich in der milit„rischen Kontrolle der Deserteure, der -fiskalischen Kontrolle der Waren, der ”konomischen Planung der -Produktionsabl„ufe. In allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens -ist das klassische Zeitalter der Schauplatz einer unerh”rten -Verdichtung der Diskurse und Identifikationsmechanismen, die allesamt -nur das eine Ziel haben: die Herstellung des durchschaubaren und damit -kontrollierbaren Individuums. "Die 'Aufkl„rung', welche die Freiheiten -entdeckt hat", schreibt Foucault, "hat auch die Disziplinen erfunden" -(1976, 285). - - -eng aufgefaát werden. Sie darf, erstens, nicht allein auf die -Implementierung eines bestimmten Diskurstyps reduziert werden, denn -sie hat auch nicht-diskursive Wurzeln: Etwa die Mechanismen, die in -den Kl”stern und Kasernen, Manufakturen und Spit„lern, Kollegs und -Internaten entwickelt wurden. Sie darf, zweitens, nicht als Effekt -eines Zentrums, einer gesellschaftlichen Zentralinstanz oder einer -herrschenden Klasse, begriffen werden, da hiermit ihre pluraler, -multipler Charakter verfehlt wrde: die Disziplinargesellschaft ist -nicht das Ergebnis einer, sondern zahlreicher Projektionen - der -Projektion milit„rischer Methoden auf die Industrie; der -maschinenf”rmigen Funktionsweise auf die lebendige Arbeit; der -Gef„ngnisdisziplin auf die Gesellschaft (1976, 284). Und sie darf, -drittens, auch nicht als bloáes Verh„ltnis der Repression verstanden -werden, wie dies in der Logik des brgerlichen Legalismus oder der -marxistischen Auffassung liegt. Die Disziplinarmacht, sagt Foucault, -setzt zwar Unterwerfung voraus, sie parzelliert die Individuen, -klassifiziert sie und fgt sie in eine hierarchische Ordnung ein, die -durch pr„zise Befehlssysteme strukturiert ist. Sie ersch”pft sich -jedoch nicht darin, sondern produziert ihrerseits Individuen, die der -von ihr geschaffenen Ordnung gem„á sind. "Man muá aufh”ren, die -Wirkungen der Macht immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur -'ausschlieáen', 'unterdrcken', 'verdr„ngen', 'zensieren', -'abstrahieren', 'maskieren', 'verschleiern' wrde. In Wirklichkeit ist -die Macht produktiv; und sie produziert Gegenstandsbereiche und -Wahrheitsrituale: das Individuum und seine Erkenntnis sind Ergebnisse -dieser Produktion" (1976, 250). - - -Macht in der modernen Form des Gef„ngnisses, wie sie seit 1830 unter -dem Einfluá von Benthams 'Panopticon' (1787) Gestalt gewinnt. Als eine -Institution, deren Aufgabe sich keineswegs darauf beschr„nkt, den -Freiheitsentzug zu organisieren, vielmehr von Anfang an darin besteht, -"Transformationen an den Individuen vorzunehmen" (1976, 317), -verk”rpert das Gef„ngnis gleichsam die Elementarform der -Disziplinargesellschaft, „hnlich wie fr Marx die Ware als -Elementarform der brgerlichen Gesellschaft fungiert. Das Gef„ngnis -ist zugleich Kaserne und Schule, Werkstatt und Spital; es unterdrckt -die gesellschaftlich unerwnschten Eigenschaften und modelliert die -erwnschten. Sein Produkt sind Individuen, "die nach den allgemeinen -Normen einer industriellen Gesellschaft mechanisiert sind" (1976, -310). Als ein vollkommener Disziplinarapparat erfaát es s„mtliche -Aspekte des Individuums: seine physische Erscheinung wie seine -moralische Einstellung, seine Arbeitsneigung wie sein -Alltagsverhalten; und alle diese Manifestationen werden nicht nur -kontrolliert und reglementiert, sondern von Grund auf reformiert, bis -sie den geltenden Standards entsprechen. Das 'Kerkersystem', das -Foucault zufolge um 1840, dem Er”ffnungsjahr der Jugendstrafanstalt -von Mettray, vollst„ndig ausgebildet ist, enth„lt in gebndelter und -konzentrierter Form all jene Mechanismen der Normalisierung und -Disziplinierung, die seither zu Strukturmerkmalen der -Disziplinargesellschaft geworden sind. - - -Ausdehnung und Erweiterung: vom 'Kerker-System' der Gef„ngnisse und -geschlossenen Anstalten zu dem, was Foucault den 'Kerker-Archipel' -bzw. das 'groáe Kerker-Kontinuum' nennt (1976, 382f.). Vermittelt ber -zahlreiche Sttzpunkte - die Waisenh„user, die Asyle fr 'gefallene -M„dchen', die Lehrlingsheime, die korrespondierenden Einrichtungen wie -Wohlfahrtsgesellschaften, Sittlichkeitsvereine, Arbeitersiedlungen und - Wohnheime - breitet sich das panoptische Schema ber die gesamte -Gesellschaft aus und berzieht alle sozialen Bereiche mit dem groáen -Kerker-Netz, dessen prim„re Funktion in einer alles umfassenden -Normierung besteht. Dies sicher nicht ohne Widerstand. Wo Macht ist, -sagt Foucault, ist auch Widerstand, und er fgt hinzu: wenn es -Machtbeziehungen gibt, so berhaupt nur deshalb, weil es Freiheit -gibt, (1977, 116; 1985, 2O). Aber dieser Widerstand ist keine Mauer, -kein Block, der der Disziplinierung Grenzen setzt; er ist selbst eine -Manifestation von Macht, eine Art Antik”rper, der die Disziplinarmacht -attackiert und zu Mutationen und Metamorphosen n”tigt. Um die -Widerst„nde zu berwinden, geht die Disziplin von dem starren, -statischen Tableau des klassischen Zeitalters zu neuen, flexibleren -Formen der Regulierung ber, deren Hauptziel in einer Steigerung der -Funktionen liegt; und dieses Ziel wird zunehmend nicht nur mittels der -rigiden Anpassung der Individuen an die Norm erreicht, sondern -ebensosehr durch Anpassung der Norm an die individuellen Bedingungen -durch die Verfahren der modernen Humanwissenschaften: - - -Beziehungen ihre Vollendung: Diese verl„uft von der Teilung der Welt zur Herstellung der Welt; diese wiederum vom Traum einer -mechanischen Imitation der Welt (durch Gesetze) zu dem einer Erzeugung von Organismen, von der Objektivierung der Welt auf -die Individuierung der Menschen. Der Akzent der Individuierung selbst wird dabei von der objektivierenden Kontrolle der Einzelnen -zur subjektivierenden Selbststeuerung und zur Manipulation von Gruppen verlagert. Der Ver„nderung der Gegenstandsbereiche -entspricht die der Machttechniken, die Entwicklung von der Gewaltrationalit„t zur Testwissenschaft" (Dauk 1989, 131). - - -Subsumtion der Gesellschaft oder eines Teils derselben unter ein vorab -feststehendes Schema, sondern weit eher der Zirkel von Manipulation -und rckwirkendem Bedrfnis, wie ihn Horkheimer und Adorno in der -'Dialektik der Aufkl„rung' entfalten. Foucault hat von der Dialektik, -insbesondere von Hegel, nicht viel gehalten (Knzel 1985). Seine These -indes, daá in der Geschichte der Disziplinierung ein Wechsel von -subsumtionslogischen Praktiken zu netzf”rmigen und zirkul„ren -Strukturen zu beobachten ist, vollzieht in etwas roheren Begriffen den -šbergang von der Transzendentalit„t zur Totalit„t, wie ihn Hegel -gegenber Kant, wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen, -vollzogen hat. Wie wir sehen werden, rhren die Schw„chen der Theorie -der Disziplinargesellschaft zu einem nicht geringen Teil aus der -Weigerung Foucaults, daraus die n”tigen kategorialen Konsequenzen zu -ziehen. - - - - - - - - - - -hervorgerufen hat, empfiehlt es sich, noch fr einen Augenblick bei -den Beziehungen zu verweilen, die sich zu „hnlich gelagerten -Bestrebungen in der modernen Soziologie ergeben. Foucaults Analyse -erinnert an manchen Stellen an Max Weber, der in der Disziplin eine -Schlsselkategorie der modernen Gesellschaft gesehen hatte - der -brokratischen Amtsdisziplin, der Parteidisziplin, der Disziplin des -Massenheeres, der Arbeitsdisziplin und nicht zuletzt der religi”sen -Disziplin der 'methodischen Lebensfhrung'. Sie weist, etwa in der -Behandlung der Manufaktur, Berhrungspunkte zu Marx auf, ferner zu -Elias, zu Oestreichs Theorie der 'Sozialdisziplinierung' und nicht -zuletzt zum kritischen Marxismus von Luk cs bis Adorno, dessen -Zentralthema die Beziehung zwischen Warenform, Rationalisierung und -Disziplinierung war18. - - -teils schlicht aus Unkenntnis, wie er selbstkritisch mit Bezug auf die -Kritische Theorie gesteht (1983), teils in bewuáter Abgrenzung von -einer Diskurstradition, die ihm allzusehr von der Obsession einer -'globalen Geschichte' geschlagen zu sein scheint, d.h. dem -Unterfangen, den Gesamtzusammenhang einer Epoche oder einer -Gesellschaft aus einer zentralen Struktur abzuleiten. Nach seiner -šberzeugung ist die Annahme, daá sich innerhalb einer Gesellschaft ein -System homogener Beziehungen feststellen l„át, ein Netz von -Kausalit„ten, das eine Zurckfhrung der verschiedenen Elemente auf -ein verborgenes Zentrum gestatte, pure Ideologie, eine Illusion, in -der sich der 'transzendentale Narziámus' des abendl„ndischen Denkens -spiegelt: der Glaube an die Stifterfunktion eines souver„nen Subjekts -und an die Garantie, "daá alles, was ihm entgangen ist, ihm -wiedergegeben werden kann" (1973, 23). So stark ist Foucaults -antithetische Fixierung auf diesen Subjektivismus, daá er die -M”glichkeit einer nichtsubjektivistischen, um eine Theorie der -gesellschaftlichen Synthesis zentrierten 'globalen Geschichte', wie -sie in den oben erw„hnten Arbeiten durchaus angelegt ist, an keiner -Stelle in Erw„gung zieht. - - -zu fllen. Macht, im Nietzscheschen Sinne eines lebensphilosophisch- -ontologisch verstandenen 'Willens zur Macht', avanciert fr ihn zum -Universalschlssel fr alle gesellschaftlichen und geistigen -Ph„nomene. Auf ihr beruhen die Beziehungen zwischen den Geschlechtern -ebenso wie die zwischen den Generationen, die Beziehungen innerhalb -einer Institution wie die zwischen Institutionen im ganzen, die -Beziehungen zwischen Individuen wie die zwischen Gruppen und Klassen. -Das Individuum selbst ist, wie gezeigt, ein Produkt der Macht, "eine -Form der Individuation der Disziplin" (1982, 3). Das gleiche gilt fr -die modernen, um das Individuum zentrierten Diskurse der -Humanwissenschaften, wie fr den wissenschaftlichen Diskurs -schlechthin. Man msse, so verkndet Foucault, einer Denktradition -entsagen, derzufolge es Wissen nur dort geben k”nne, wo die -Machtverh„ltnisse suspendiert seien. "Eher ist wohl anzunehmen, daá -die Macht Wissen hervorbringt (und nicht bloá f”rdert, anwendet, -ausnutzt); daá Macht und Wissen einander unmittelbar einschlieáen; daá -es keine Machtbeziehungen gibt, ohne daá sich ein entsprechendes -Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig -Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert" (1976, 39). Wie in der -idealistischen Philosophie und ihren sp„tromantischen Wurmforts„tzen -die ganze Welt als Geist oder Wille gedacht wird, so enthllt sich -auch bei Foucault das Sein als Manifestation eines einzigen Prinzips, -das in unterschiedlichen Aggregatzust„nden auftritt: in reiner, -bewegter Form als "immerw„hrende Schlacht", als Strom von Kr„ften und -Gegenkr„ften; und in erstarrter, blockierter Form, in der sich die -Macht zur 'Herrschaft' verfestigt hat (ebd. 38; 1985, 11). Man fhlt -sich an die Metaphysik Heraklits erinnert - freilich an eine Version, -in der der Logos nicht l„nger Harmonie stiftet, sondern selbst zu -einer Funktion des Kampfes geworden ist. - - -Konzept der Disziplinargesellschaft angreifbar gemacht. Die Kritik -richtet sich vor allem gegen den Reduktionismus, der dieses Konzept -durchzieht. Die Machttheorie, lautet ein erster Einwand, l”se die -eigensinnige Entwicklungslogik rechtlicher und moralischer Normen in -die blindzuf„llige Evolution von Gewaltverh„ltnissen auf und bergehe -damit "die unverkennbaren Gewinne an Liberalit„t und - Rechtssicherheit", die doch nicht zuletzt auf straf- und -strafprozeárechtlichem Gebiet evident seien19. Sie reduziere, so der -zweite Einwand, die komplexen Vorg„nge der Sozialisation und -Individuation in behavioristischer Manier auf eine Folge von -unentwegten Konditionierungen und setze Individualit„t zu einer "durch -Auáenreize produzierte(n), mit beliebig manipulierbaren -Vorstellungsinhalten belegte(n) Innenwelt" herab; damit werde der -Gewinn an Freiheit und Ausdrucksm”glichkeit verspielt, den die -"Etablierung und Verinnerlichung der subjektiven Natur" gebracht habe -(Honneth 1985, 210; Habermas 1985, 337, 342; Turner 1987, 233, 238). -Ein dritter Einwand zielt auf die machttheoretische Aufl”sung der -Geltungsproblematik. Foucault, so Honneth, stelle sich nicht der -Frage, wie denn die bloá unter dem Gesichtspunkt sozialer -Machtgewinnung entwickelten Diskurse in ganz anderen -Handlungskontexten, etwa dem der technischen Beherrschung von -Naturprozessen, von Erfolg gekr”nt sein k”nnten 20. Daá die -vollst„ndige Leugnung universalistischer Geltungsansprche im Ergebnis -auf ein "relativistisches Selbstdementi" auch der Machttheorie -hinauslaufe, hat Habermas in einer scharfsinnigen Argumentation -dargelegt (Habermas 1985, 327; Fink-Eitel 1980, 67f.; Bambach 1984; -Taylor 1984). Weder fr die Eigenart normativer noch fr diejenige -kognitiver Mechanismen, so l„át sich die Kritik resmieren, hat die -Machttheorie einen angemessenen Raum. Sie ist deshalb ungeeignet, die -Komplexit„t moderner Gesellschaften zu erfassen. - - -Mechanismen zuerst zu sprechen, so ist Foucault zwar zuzugeben, daá -eine ganze Reihe von Diskursen in der frhen Neuzeit mit politischen -Vorzeichen ins Dasein tritt und somit durchaus einer -machttheoretischen Interpretation entgegenkommt. Es gibt in der Tat -eine politische Anatomie und eine politische Technologie, wie ja auch -bekanntlich die ™konomie sich zun„chst als politische ™konomie -begreift und offen die enge Verzahnung von Herrschaftsinteressen und -Wirtschaftsordnung einbekennt. Alle diese Diskursformationen -verweisen, wie unschwer zu sehen ist, auf die Intensivierung der -politischen Rationalisierung, welche durch die Entstehung eines -europ„ischen Staaten- und Weltsystems seit dem 16. Jh. ausgel”st wurde -und namentlich in einigen kontinental-europ„ischen L„ndern zu einer -weitreichenden Militarisierung und Brokratisierung fhrte, aus der -der well-ordered police state des 17. und 18. Jhs. mit seiner Politik -der Sozialdisziplinierung hervorging (Raeff 1983; Rassem 1983; Schulze -1987). - - -vermittelte politische Rationalisierung und deren Ausgreifen auf die -unterschiedlichsten Lebensbereiche beschreibt, ist ihm nicht zu -widersprechen. Die Machttheorie zielt indes darber hinaus und setzt -sich dadurch der Kritik aus. Wenn es n„mlich einen herausragenden Zug -in der Entwicklung seit dem 19. Jh. gibt, dann den, daá sowohl die -Gesellschaft als auch die Wissenschaft immer weniger durch ihr -politisches Vorzeichen bestimmt sind und sich stattdessen in Formen -abstrakt und anonym gewordener Verh„ltnisse realisieren, die sich mit -dem Begriff der Macht nur mehr um den Preis einer Contradictio in -adiecto bezeichnen lassen. Die unterschiedslose Subsumtion der -politisch strukturierten Gesellschaft des Ancien R‚gime und der -modernen kapitalistischen Gesellschaft unter einen Begriff der Macht, -der von Foucault selbst als "Fortsetzung des Krieges mit anderen -Mitteln", als eine Form "kriegerischer Herrschaft " und als -"verallgemeinerter Krieg" (1978, 71, 40; 1976, 38, 217) definiert -wird, verdeckt die grundlegende Tatsache, daá die heutige Welt, wie -Marx es ausgedrckt hat, eine Welt der sachlichen -Abh„ngigkeitsverh„ltnisse im Gegensatz zu den pers”nlichen ist, eine -Welt, in der die Individuen "von Abstraktionen beherrscht werden, -w„hrend sie frher voneinander abhingen" (Marx 1974, 81f.). - - -Gesellschaft, der sich nach Marx bekanntlich so sehr anonymisiert, daá -selbst der Kapitalist im Zuge der Entwicklung zum Aktienkapital als -berflssige Person aus dem Produktionsprozeá verschwindet. Er gilt in -noch eminenterem Sinne fr Wissenschaft und Technik, die mit -Willenskategorien nicht mehr begriffen werden k”nnen. Wissenschaft und -Technik gehorchen keinem einzigen der Kriterien, die Foucault fr die -Macht anfhrt. Sie sind weder relational noch intentional, noch -partikular-interessengebunden, noch milit„risch-kriegerisch, obwohl -ihnen diese Dimensionen sekund„r durchaus zukommen k”nnen. Ihre -Kriterien sind ausnahmslose Geltung (solange keine Falsifizierung -vorliegt), absolute Notwendigkeit, durchgehende rationale -Gesetzm„áigkeit und Autonomie im Sinne der Kontrolle ber ihre -Voraussetzungen. Wissenschaft und Technik sind keine Funktion der -Macht, sie ersetzen vielmehr das Gefge wechselnder -Willensverh„ltnisse durch ein System, das selbstreferentiell und -'autopoietisch' (Luhmann) prozediert, d.h. nur solche Elemente -verwendet, die innerhalb des Systems selbst konstituiert werden. Ein -solches Verst„ndnis schlieát nicht aus, die Autopoiesis von -Wissenschaft und Technik ihrerseits als gesellschaftlich produziert -und durch die herrschende gesellschaftliche Struktur vermittelt zu -begreifen; wohl aber, sie wie Foucault auf ein bloáes Machtspiel zu -reduzieren. - - -Hinblick auf normative Mechanismen. Zwar fehlt der Begriff der 'Norm' -durchaus nicht in Foucaults Arbeiten, wie dies ja auch bei -Untersuchungen, die mit dem Strafsystem zu tun haben, kaum zu -vermeiden ist. Wie Canguilhem jedoch, auf dessen Vorarbeiten er sich -explizit beruft, versteht Foucault diesen Begriff ausschlieálich im -Sinne der modernen Industrienormen, als ein Richtmaá, das dazu dient, -"einem Daseienden, Gegebenen eine Forderung aufzuzwingen, von der aus -sich Vielfalt und Disparatheit dieses Gegebenen als ein nicht bloá -fremdes, sondern feindliches Unbestimmtes darstellen" (Canguilhem -1977, 163). Die Macht der Norm kommt nach diesem Verst„ndnis vor allem -in der Disziplin zum Ausdruck, in den verschiedenen Techniken der -Normierung und Normalisierung, die die Individuen einem System -zwanghaft fixierter Verhaltensschemata unterwerfen und dadurch -Stabilit„t und Homogenit„t des Herrschaftsgefges sichern. -"Disziplinarische Normalisierung", sagt Foucault, "ist der Entwurf -eines optimalen Modelles, die Operation der Disziplin besteht darin, -die Leute an dieses Modell anzupassen" (1982, 8). - - -einf„ngt, die in den herk”mmlichen Ideen- und Rechtsgeschichten -notorisch unterbelichtet bleiben; der Stellenwert, der ihnen in einer -nichtreduktionistischen Theorie der Rationalisierung zukommt, wird -noch zu er”rtern sein. Nicht weniger evident ist indes, daá es nur -einen Ausschnitt aus jenem breiten Spektrum von Formierungs- und -Kontrollmechanismen erfaát, wie es lange vor Foucault eindrucksvoll -von Kant skizziert worden ist. In seiner Vorlesung ber P„dagogik -(1803), die Foucault bei seiner Arbeit an der šbersetzung der -'Anthropologie in pragmatischer Hinsicht' sicher nicht entgangen sein -wird21, schr„nkt Kant die Disziplin auf die Rolle eines bloá negativen -Fundaments ein: Fundament, weil die Disziplin oder Zucht die Tierheit -in die Menschheit umwandle und verhte, daá die Individuen durch ihre -animalischen Antriebe von ihrer menschlichen Bestimmung abgelenkt -wrden; nur negativ, weil die Disziplin bloá Fehler verhindere, ohne -selbst eigene positive Ziele geben zu k”nnen. Neben dieser 'bloá -physischen' Erziehung durch Disziplinierung kennt Kant die praktische -Erziehung, die sich ihm als ein Bndel komplexer, neben dem „uáeren -Verhalten zunehmend auch das Innere erfassender Strategien darstellt: -als Kultivierung, die die n”tigen Fertigkeiten und Geschicklichkeiten -vermittelt; als Zivilisierung, die die fr den gesellschaftlichen -Verkehr unentbehrlichen Formen der Affektmodellierung und -Triebkontrolle bereitstellt; und als Moralisierung, die auf die -Unterwerfung der je subjektiven Zwecke und Motive unter -gesellschaftliche, d.h. universalistische Prinzipien zielt. "Der -Mensch soll nicht bloá zu allerlei Zwecken geschickt sein, sondern -auch die Gesinnung bekommen, daá er nur lauter gute Zwecke erw„hle. -Gute Zwecke sind diejenigen, die notwendigerweise von jedermann -gebilligt werden; und die auch zu gleicher Zeit jedermanns Zwecke sein -k”nnen" (Kant 1968, XII, 707). - - -anschlieáen: einmal, weil die Ethik, auf der sie beruht, die -Sozialisation in eine abstrakte Gesellschaft zum Telos hat (Adorno, GS -6, 211ff.), dann aber auch, weil der Disziplinbegriff mit seiner -Beschr„nkung auf rein negative Funktionen zu eng ist und Kants eigenen -Darlegungen nicht entspricht: Wenn es nicht nur eine Disziplin des -K”rpers und der Affekte, sondern auch eine Disziplin der reinen -Vernunft gibt, so sind zumindest die Grenzen zwischen Disziplinierung -und Kultivierung (im Sinne einer Ausbildung kognitiver F„higkeiten) -weit durchl„ssiger, als Kant wahrhaben will22. Gegenber Foucaults -extensivem Verst„ndnis von Disziplin indes, das auch noch -interaktionsbezogene und normative Mechanismen umfaát, ist Kants -Modell vorzuziehen, weil es die verschiedenen Dimensionen des modernen -Formierungsprozesses klarer differenziert: die nichtdiskursiven -Praktiken fr die Schaffung gehorsamer und gelehriger K”rper; die -Formung eines methodisch-disziplinierten wissenschaftlichen Verstandes -durch Schulung/Unterweisung, welche freilich auf den nichtdiskursiven -Praktiken des Drills und der Bestrafung aufbaut und sich nicht selten -darin ersch”pft, wie ein Blick in die Geschichte der 'Schwarzen -P„dagogik' lehrt (Rutschky 1977; Stone 1979, 115ff.; de Mause 1980, 66 -ff.); die mit dem Begriff der Zivilisierung umschriebene Sublimierung -von Interaktionsanforderungen, die fr das Leben bei Hofe oder in der -guten Gesellschaft erforderlich war; und jene singul„re, untrennbar -mit dem okzidentalen Brgertum verbundene Strategie der Moralisierung, -die das Prinzip des 'affektiven Individualismus' (Stone) mit der -Implantation eines 'vorhergehenden Gewissens' verkoppelte (Kittsteiner -1984). Erst diese letztere Strategie vollendet die šberwindung des -Naturzustands, weil allein sie in jene inneren Reservate vorzudringen -vermag, die sowohl der Disziplinierung als auch der Kultivierung und -Zivilisierung als bloá „uáerlichen Konditionierungsweisen unzug„nglich -bleiben. Kant hat daher in der Moralisierung das h”chste und zugleich -am schwersten erreichbare Ziel der Erziehung gesehen: - - -Artigkeit und Anst„ndigkeit. Aber, uns fr schon moralisiert zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralit„t geh”rt -noch zur Kultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sitten„hnliche in der Ehrliebe und der „uáeren Anst„ndigkeit -hinausl„uft, macht bloá die Zivilisierung aus. So lange aber Staaten alle ihre Kr„fte auf ihre eiteln und gewaltsamen -Erweiterungsabsichten verwenden, und so die langsame Bemhung der inneren Bildung der Denkungsart ihrer Brger unaufh”rlich -hemmen, ihnen selbst auch alle Untersttzung in dieser Absicht entziehen, ist nichts von dieser Art zu erwarten; weil dazu eine lange -innere Bearbeitung des gemeinen Wesens zur Bildung seiner Brger erfordert wird" (Kant 1968, XI, 44f.). - - -pauschalisierender Rede von Normierung/Normalisierung besteht darin, -daá es eine ganze Reihe von Forschungen zu integrieren vermag, von -denen Foucault nur am Rande oder gar nicht Notiz nimmt, obwohl sie -sein Thema unmittelbar berhren. Auf dem Gebiet der Disziplinierung -ist hier etwa an die verschiedenen relig”s-ethisch motivierten Formen -der Selbstdisziplin zu denken, wie sie in der frhen Neuzeit vom -Neostoizismus oder vom Puritanismus propagiert wurden -(Treiber/Steinert 1980, 90, 104ff.; Leites 1988); auf dem Gebiet der -Kultivierung an die Bedeutung der Alphabetisierung und -Literarisierung, die seit dem 16. Jh. einem stets wachsenden Teil der -Bev”lkerung Zugang zu einem der wichtigsten Machtmittel verschafften, -gleichzeitig aber auch die Basis staatlicher Herrschaft erweiterten -(Schenda 1981; Spittler 1980); auf dem Gebiet der Zivilisierung -natrlich an die Arbeiten von Norbert Elias ber die -Verhaltens„nderungen in den weltlichen Oberschichten des Abendlands, -die zum Vorbild fr zahlreiche weitere Untersuchungen geworden sind -(Gleichmann 1979, 1984; Krumrey 1984; Schr”ter 1985). Der Prozeá der -Moralisierung endlich ist zu wissenschaftlicher Prominenz -haupts„chlich im Zusammenhang mit den Diskussionen ber die -protestantische Ethik gelangt, doch war er damit mitnichten zuende: so -hat z.B. Wolfgang Dreáen die šberlegenheit der franz”sischen -Revolutionsarmeen gegenber dem Heer friderizianischer Pr„gung mit der -gr”áeren taktischen Beweglichkeit erkl„rt, welche das -Erziehungsprinzip der moralischen Selbstregulierung gegenber einer -bloá mechanischen Disziplin gew„hrt (Dreáen 1982, 266f.); ein anderes -Beispiel ist der auff„llige Rckgang der Verbrechensrate in der Zeit -zwischen ca. 1840 und 1930, der von manchen Autoren mit dem Hinweis -auf jene eigentmliche Intensivierung des Moralbewuátseins erkl„rt -wird, welche sich an so unterschiedlichen Ph„nomenen wie der aus der -evangelikalen Erweckungsbewegung hervorgegangenen Stadtmissionierung, -den philanthropisch inspirierten Reformen des Sozial- und -Erziehungswesens und der Ausbreitung des Temperenzlertums ablesen -lasse23. Ob diese Hypothese stimmt oder nicht - sie steht immerhin in -Widerspruch zu der von Durkheim anhand der kontr„r verlaufenden -Selbstmordkurve entwickelten Anomiethese -, ist eine Frage, die nur -empirisch entschieden werden kann. Daá sie berhaupt aufgestellt und -mit plausiblen Argumenten untermauert werden kann, ist allerdings ein -Indiz fr die Notwendigkeit, den kategorialen Rahmen nicht dadurch von -vornherein einzuschr„nken, daá man Moralisierung auf eine Variante der -Disziplinierung reduziert24. - - -muá, sieht nicht gnstig aus. Die Machttheorie, die das Konzept der -Disziplinargesellschaft tragen soll, vermag diese Aufgabe nicht zu -erfllen. Sie ist reduktionistisch und simplifizierend, sie produziert -Pseudoevidenzen und fhrt dazu, die Bewegung des Gedankens vorschnell -zu sistieren. Sie pr„sentiert sich als objektive Genealogie und ist -doch in Wahrheit reiner Subjektivismus, der alles, was ist, auf Wille -und Handlung zurckfhrt. Sie verspricht eine neue, -nichttotalisierende Geschichte und totalisiert doch selbst, nur sehr -viel schlechter als etwa Marx oder Hegel, indem sie alle Differenzen -in den allgemeinen Nebel der 'Macht' aufl”st. Auf dieser Grundlage ist -das Projekt einer Theorie der Disziplinargesellschaft undurchfhrbar. - - - - - - - - - - -in diese Richtung. Habermas, der sich gleichwohl von Foucaults -Analysen der kapillarischen Wirkungen der Disziplin fasziniert zeigt, -ist vom "Primat der Lebenswelt" gegenber den vermachteten und -disziplin„r organisierten Subsystemen der modernen Gesellschaft zu -tief berzeugt, als daá er mit der Diagnose eines 'Kerker-Kontinuums' -sich anfreunden k”nnte. Eine derartige Charakterisierung erscheint ihm -als unhaltbar, weil sie die Zweideutigkeit des -Modernisierungsprozesses, das Nebeneinander von pathologischen und -emanzipatorischen Zgen, unterschlage. Žhnlich sieht es Honneth: das -von Foucault entworfene "Zwangsmodell gesellschaftlicher Ordnung", das -im Ergebnis auf verblffende Weise mit Adornos Vision der verwalteten -Welt bereinstimme, sei unbrauchbar, weil in ihm die "normativen und -kulturellen Orientierungen der vergesellschafteten Subjekte" keinen -Anteil an der sozialen Integration h„tten25. - - -Disziplinargesellschaft so aktuell macht. Wie realit„tsnah Foucaults -Untersuchungen trotz ihrer theoretischen Schw„chen sind, zeigt sich -nirgends deutlicher als in dem Umstand, daá etwa Habermas in seinen -empirisch gerichteten Gegenwartsdiagnosen dem Konzept der -Disziplinargesellschaft erheblich n„her kommt, als es die theoretisch- -programmatische Distanzierung gestattet. Nicht anders als Foucault -konstatiert auch er eine "Ausdehnung und Verdichtung des monet„r- -brokratischen Komplexes", die zu einer Entm„chtigung des -kommunikativen Handelns fhre; nicht anders als der Theoretiker der -Macht-Wissen-Komplexe registriert auch er das "hypertrophe Wachstum -der mediengesteuerten Subsysteme, welches ein šbergreifen -administrativer und monet„rer Steuerungsmechanismen auf die Lebenswelt -zur Folge hat" (Habermas 1981, 516, 460, 489). Gewiá - Habermas geht -nicht so weit, auch im Individuum ein bloáes Korrelat von -Machttechniken zu sehen. Daá die gesellschaftliche Ordnung der Moderne -aber auf weite Strecken von nichtnormativen Praktiken regiert wird, -r„umt auch er ein: "Indem sich die Subsysteme Wirtschaft und Staat -ber die Medien Geld und Macht aus einem in den Horizont der -Lebenswelt eingelassenen Institutionensystem ausdifferenzieren, -entstehen formal organisierte Handlungsbereiche, die nicht mehr ber -den Mechanismus der Verst„ndigung integriert werden, die sich von -lebensweltlichen Kontexten abstoáen und zu einer Art normfreier -Sozialit„t gerinnen" (ebda; 455). Als deskriptiver Begriff ist das -Konzept der Disziplinargesellschaft also offenbar doch nicht v”llig -unbrauchbar; und es gewinnt noch an šberzeugungskraft, wenn man sieht, -wie blaá und leer der von Habermas als Konterkategorie eingefhrte -Begriff der Lebenswelt letztlich bleibt. - - -ist zu negieren, soweit es sich zur Totalit„t aufspreizt und sich als -Aussage ber das Ganze der modernen Gesellschaft pr„sentiert, wie dies -in der Redeweise vom "Kerker-Gewebe der Gesellschaft" oder vom -"verallgemeinerte(n) Kerkersystem, das in die Tiefe des -Gesellschaftsk”rpers hineinwirkt" (1976, 392, 390), geschieht. Die -Gesellschaft ist kein Gef„ngnis und die Vernunft nicht die Folter. -Festzuhalten aber ist das Konzept, insofern es das Faktum registriert, -daá die Disziplin den brigen von Kant herausgearbeiteten -Formierungsmechanismen eindeutig den Rang abgelaufen hat. So entpuppt -sich beispielsweise ein erheblicher Teil der von Elias unter dem Titel -'Zivilisierung' beschriebenen Konditionierungsvorg„nge (etwa des -Sexualverhaltens oder der Reinlichkeitsdressur) bei n„herem Hinsehen -als eine Variante der Disziplinierung, wohingegen die typischen -Manifestationen von Zivilisation (im Sinne z.B. des Raffinements der -Konversation, der Steigerung der Distinktionsf„higkeit oder einfach -des schonenden und taktvollen Umgangs miteinander) ihren sozialen -Tr„ger - die h”fische Aristokratie und das noch halb aristokratische -Brgertum des 18. und 19. Jhs. - nicht berlebt haben. Daá h”fische -Interaktionsformen ohne wesentlichen Kontinuit„tsbruch von der -industriellen Gesellschaft bernommen und zu konstitutiven Merkmalen -bestimmter Nationalcharaktere erhoben worden seien - diese seine -Zentralthese belegt Elias nicht, und sie leuchtet auch nicht ein vor -dem Hintergrund einer Konfiguration, die nicht mehr wie die h”fische -Gesellschaft von einer ™konomie der Verschwendung gepr„gt ist, sondern -von einer '™konomie der Zeit' (Marx), die die Zivilisationskurve des -Essens auf das Niveau von fast food und die der Erotik auf dasjenige -von quickies herabgedrckt hat. Wie weiter oben gezeigt, gewinnen denn -auch seit einiger Zeit Theorien an Plausibilit„t, die die Epoche in -geradem Gegensatz zu Elias im Zeichen einer s„kularen Entzivilisierung -sehen. - - -ab. Nicht daá moralische Codierungen an Prominenz verl”ren oder keinen -Einfluá auf Interaktionen und Entscheidungen mehr ausbten. Ganz im -Gegenteil. Der moralische Protest beispielweise (um nur eine der -vielf„ltigen Erscheinungsformen des Moralischen herauszugreifen) -verfgt heute ber ein so ausgedehntes Themenreservoir und ein so -breites Rekrutierungsfeld, daá seine Regenerationsf„higkeit auf -l„ngere Zeit gesichert ist. Es gibt immer wieder eine neue Diktatur, -auf die sich pl”tzlich die Aufmerksamkeit richtet, immer wieder eine -neue Dummheit irgendwelcher Exekutiven, an der sich die Flamme der -Emp”rung entznden kann. Im Zeitalter des Satellitenfunks w„chst die -Zahl der Ungerechtigkeiten mit den im Einsatz befindlichen -Nachrichtenj„gern und fhrt dem Dauerprotest immer neue Motive zu. - - -auch der brgerlichen P„dagogik des 19. Jhs. vorschwebte, mssen diese -Erscheinungsformen strikt getrennt werden. Die brgerlich- -protestantische Moralisierung zielte auf Formung des Ungeformten, auf -Domestizierung jenes in den unauslotbaren Tiefen der Seele noch -fortwirkenden Naturzustandes, der auf staatlich-juridischer Ebene mit -dem Abschluá des Gesellschaftsvertrages berwunden worden war. Ihr -Erziehungsmodell war jener von Riesman treffend beschriebene -innengeleitete Charakter, der sich an die Signale eines frhzeitig -internalisierten seelischen Kreiselkompasses gebunden fhlte und -dergestalt individuelle Autonomie mit gesellschaftlicher, -prinzipiengesteuerter Orientierung verband. - - -die Grundlage entzogen. Schon Freud registrierte, daá nur eine -Minderheit ber ein steuerndes und lenkendes Gewissen verfgte, -w„hrend die Mehrzahl davon nur ein bescheidenes Maá mitbekommen habe -(Freud I; 500); „hnlicher Ansicht war Max Weber, fr den das -'stahlharte Geh„use' des Kapitalismus l„ngst ohne die Verinnerlichung -einer spezifischen Berufsethik funktionierte, oder Georg Simmel, fr -den die Moderne eine Individualisierung wie noch zu Rembrandts oder -Shakespeares Zeiten ausschloá; die heutigen Individuen, meinte Simmel, -seien "nichts als die Oszillationen in einer heraklitischen Welt, zu -deren Totalit„t sie die Zugeh”rigkeit nur um den Preis gewinnen, -jegliche Substanz und Lebenseinheit dem bloáen Jetzt des absoluten -Werdens preiszugeben" (Simmel 1919, 138). Nicht anders sahen es sp„ter -so gegens„tzliche Autoren wie Adorno, von dessen Auffassung noch -ausfhrlicher die Rede sein wird, und Arnold Gehlen, fr den die -Moderne einerseits durch 'Schnittpunktexistenzen', andererseits durch -eine ungemeine Ausdehnung der Willkr bestimmt war. Gerade weil die -Individuen in einer von Automatismen und Schematismen gepr„gten Welt -nichts Wirkliches mehr ver„ndern k”nnten, so Gehlens These, strzten -sie sich in einen ungehemmten Subjektivismus, eine -'Moralhypertrophie', die ebenso exaltiert wie folgenlos sei26. Daá -eine derart zum Mittel des pers”nlichen Ausdrucks gewordene Moral noch -als 'Schrittmacher der sozialen Evolution' (Habermas) fungieren -k”nnte, erscheint unwahrscheinlich, was freilich politische und -soziale Folgen des expressiven Moralismus keineswegs ausschlieát. Im -Hinblick auf die Gesamtgesellschaft jedenfalls drfte die Vermutung -Luhmanns realistischer sein, daá "die Dominanz funktionaler -Differenzierung, wenn und soweit sie sich als Formprinzip der -Gesellschaft durchsetzt, die Moral evolution„r abh„ngt und ideologisch -wie motivational disprivilegiert"27. Das Ende der Moral ist damit -nicht erreicht. Wohl aber jener Moralisierung, von der noch Kant -tr„umte. - - -aus, die 'dunkle Kehrseite' der Moralisierung und Zivilisierung - die -Disziplin. Zu den klassischen totalen Institutionen - Kloster und -Kaserne - sind seit dem 19. Jh. zahllose andere hinzugekommen: -Institutionen der aufbewahrenden Frsorge wie Blinden- und -Altersheime, Waisenh„user und Armenasyle; der isolierenden Frsorge -wie Krankenh„user und Psychiatrien; der Einschlieáung und Absonderung -wie Zuchth„user, Gefangenen-, Konzentrations- und Arbeitslager. Durch -die Vermehrung und Expansion dieser Disziplinaranlagen verwandelt sich -die Gesellschaft nicht in ein Kerker-Kontinuum. Wie Goffman zu Recht -bemerkt, sind totale Institutionen weder mit der Arbeit-Lohn-Struktur -noch mit der familialen Gliederung, noch, wie man hinzufgen kann, mit -der auf Konkurrenz gegrndeten Organisation des politischen Systems -vereinbar (Goffman 1972, 22ff.). Unverkennbar ist jedoch, daá -disziplin„re Mechanismen auch in den offenen, durch freie -Mitgliedschaft gekennzeichneten Institutionen eine dominierende Rolle -spielen. Disziplin„r organisiert, sogar mit einem eigenen -Disziplinarrecht ausgestattet, ist der gesamte Staatsapparat mit -seinem stehenden und seinem sitzenden Heer. Disziplin„r organisiert -sind die privaten gewerblichen Betriebe, wovon schon ein einziger -Blick in eine Fabrikhalle oder ein Groáraumbro zeugt -(Treiber/Steinert 1980; Fritz 1982) - ganz zu schweigen von den rasch -expandierenden mikroelektronischen Personalinformationssystemen, die -Zugang, Leistung und Kommunikation innerhalb der Betriebe einer -lckenlosen Kontrolle unterwerfen und, indem sie das Auge des Meisters -durch das zwingende Wissen des Computers ersetzen, eine neue Stufe in -der Evolution der Disziplin ankndigen: die Automatisierung der -Disziplin (Ortmann 1984, 107ff.; Poster 1984, 115). Der organisierte -Massensport, vom Volkslauf bis zum Werksfuáball, ist eine einzige -Disziplinaranlage (Rigauer 1982; Eichberg 1986, 185ff.); und ohne -Disziplin geht im modernen Massentourismus nichts. Auch in der -politischen Demokratie dominieren brokratische Apparate und -hierarchisch strukturierte Entscheidungsprozesse. Selbst die -Opposition gegen diese Apparate und die von ihnen erzwungene Disziplin -kommt nicht umhin, ihre Anh„nger zu reglementieren und dabei ihr -charismatisches Kapital aufzuzehren. Kein Zweifel: in einer -Gesellschaft, die den weitaus gr”áten Teil ihrer Funktionen ber -Organisationen abwickelt, ist Disziplin - die pauschale Anerkennung -und automatische Befolgung der Mitgliedschaftsregeln - zur Conditio -sine qua non geworden. Mit seiner berhmten Metapher vom 'stahlharten -Geh„use' hat Max Weber diese Entwicklung vor mehr als achtzig Jahren -antizipiert. - - -oder 'strategischen Spielen' (Foucault) zu tun, sondern ist eine Folge -von Systemprozessen, die sich jeder interaktionistischen Deutung -entziehen. Die moderne Gesellschaft ist das Ergebnis einer -weltgeschichtlich einzigartigen Desintegration, in deren Verlauf sich -der in den vormodernen Kulturen politisch oder religi”s eingekapselte -Modus der funktionalen Differenzierung verselbst„ndigte und zur -Evolution neuer, h”chst unwahrscheinlicher und riskanter Synthesen -trieb. Anstelle der autarken Lokalgesellschaften des Mittelalters trat -ein interdependentes Verflechtungssystem, das den gesellschaftlichen -Stoffwechsel mit der Natur von der Vermittlung durch die Zirkulation -von Waren abh„ngig machte; anstelle der direkten, familial, politisch- -herrschaftlich und religi”s begrndeten Bindungen eine indirekte -Synthese, in der die einzelnen ihre Verklammerung in das bergreifende -Verflechtungsnetz erst auf dem Markt erfuhren. - - -berzeugende Weise dargestellt. Er hat gezeigt, wie die Verdichtung -von funktionaler Differenzierung und Marktvergesellschaftung dazu -fhrte, daá sich das Wertgesetz als Prinzip der Systemintegration -durchsetzte, wie dieses Wertgesetz die Homogenisierung der -Einzelarbeiten durch Messung am Tauschwert, d.h. durch Relationierung -der in Zeitquanta ausgedrckten abstrakten Arbeit, bewerkstelligte; -wie diese Homogenisierung mit zunehmender Ausdehnung der Lohnarbeit -und fortschreitender Vergesellschaftung der Produktion mehr und mehr -in den Produktionsprozeá selbst verlagert wurde, indem die Funktionen -der lebendigen und der toten Arbeit (der Maschinerie) nach -einheitlichen Zeitmaást„ben koordiniert bzw., um einen Ausdruck Sohn- -Rethels aufzugreifen, 'kommensuriert' wurden; und wie dadurch die -abstrakte Zeit aus einem nur ideell gesetzten Maástab zum -beherrschenden Organisationsprinzip der ™konomie wird. Damit ist nicht -gesagt, daá die zeit”konomische Durchdringung sich in s„mtlichen -Produktionszweigen linear und simultan durchsetzt. Wie die kritische -Modifizierung der Thesen Sohn-Rethels durch die neueren Forschungen -des 'Instituts fr Sozialforschung' gezeigt hat, vollzieht sich die -zeit”konomische Rationalisierung in heterogenen Verlaufsformen, die -durch die variierenden Marktverh„ltnisse und durch branchenspezifische -Besonderheiten gepr„gt sind28. Der s„kulare Trend bleibt davon jedoch -unberhrt. Kapitalisierung bedeutet Objektivierung und Erweiterung der -zirkulationsbegrndeten Formen von Wissen, Kommunikation und -Organisation; dagegen Formalisierung und Entwertung aller -'naturwchsig'-spontanen Kompetenzen, Denk- und Erfahrungsmuster. -"™konomie der Zeit, darein l”st sich schlieálich alle ™konomie auf" -(Marx 1974, 89). - - -Foucault beschriebenen Verallgemeinerung der Disziplin zu suchen. -Natrlich beginnt die Geschichte der Disziplin nicht erst mit der -brgerlichen Gesellschaft und der fr sie typischen 'Herausl”sung' der -™konomie; und natrlich spielen auáer”konomische, insonderheit -politische Mechanismen wie die Konzentration der Verwaltungs- und -Kriegsbetriebsmittel im absolutistischen Staat eine nicht -wegzudenkende Rolle fr den šbergang von der bloáen 'Virtuosen-' zur -'Sozialdisziplinierung' (Treiber/Steinert 1980, 89; Dreyfus/Rabinow -1987, 165; Bauer/Matis 1988, 315ff.). W„hrend aber diese frhen Formen -der Disziplinierung des subjektiven Antriebs und der Gewalt nicht -entbehren k”nnen - die Menschen, schreibt Friedrich II. von Preuáen, -"bewegen sich, wenn man sie antreibt, und stehen still, wenn man nur -einen Augenblick aufh”rt, sie vorw„rts zu dr„ngen"(Hubatsch 1973, 234) -- kommt es zu einer Objektivierung und damit zu einer dauerhaften -Verallgemeinerung der Disziplin erst mit der Totalisierung der -abstrakten Arbeit und dem damit verbundenen Aufstieg der abstrakt- -linearen Zeit zur 'Systemzeit'29. Zeit”konomische Imperative fhren zu -einer Umstrukturierung des konstanten und einer tiefgreifenden -Ver„nderung des variablen Kapitals, welche vor allem die Zurichtung -der motorischen und sensomotorischen Bewegungsabl„ufe und die -Zurckdr„ngung des 'K”rper-Wissens' betrifft (B”hle 1989). -Zeitsparende Mechanismen sedimentieren sich im Aufbau der modernen -Groáorganisationen und stellen auch hier das Verhalten unter das -Diktat der Zeitdisziplin. Selbst scheinbar so eigenst„ndige Strukturen -wie die Prinzipien der vertikalen Kommunikation, der Rollentrennung -und der Entscheidung nach universalistischen Kriterien lassen sich -nach Luhmann unter dem Gesichtspunkt interpretieren, daá sie -langwierige interne und externe Kommunikationsprozesse abkrzen sollen -(Luhmann 1983, 15O). Es drfte nicht schwerfallen, auch im sogenannten -Freizeitbereich Formen zu identifizieren, die der ubiquit„ren -Temporalisierung Rechnung tragen und ihr ad„quate Rezeptions- und -Verhaltensstile etablieren (Film, Autokultur). Daá die -'Disziplinarzeit' auf die p„dagogische Praxis bergreift und hier zu -grundlegenden Umw„lzungen fhrt, indem sie z.B. die Ausbildungs- von -der Berufszeit l”st, hat Foucault gesehen, allerdings sogleich in den -Rahmen der Machttheorie gepreát: "Die Macht tritt der Zeit sehr nahe -und sichert sich ihre Kontrolle und ihre Ausnutzung" (1976, 206). In -Wirklichkeit verh„lt es sich genau umgekehrt: die Zeit wird nicht zu -einer Funktion der Macht, sondern die zur Systemzeit gewordene Zeit -produziert asymmetrische Handlungs- und Befehlsketten und generiert -damit Machtrelationen, die das Verhalten der einzelnen determinieren. - - - - - - - - - - -Einwand erhoben, sie stelle zu einseitig die Aspekte der -Herrschaftssicherung und Verdinglichung heraus und verfehle damit die -bei Foucault doch auch angelegte Einsicht, daá "jene Vorg„nge eines -organisierten Ausbaus der Sozialkontrolle stets in einem -lebensweltlichen Horizont von praktischen Konflikten um die -Legitimit„t sozialer Machtansprche verwirklicht sind" (Honneth 1989, -238). Diese Kritik ist nun ihrerseits von Einseitigkeiten nicht frei, -geht sie doch stillschweigend darber hinweg, daá ich von -institutionalisierter Sozialkontrolle allein im Hinblick auf -organisierte Sozialsysteme gesprochen und weder die M”glichkeit von -Widerstand noch von moralischen Orientierungen bestritten habe. -Gleichwohl trifft sie einen Punkt, der in meinen Ausfhrungen in der -Tat zu kurz kam. Auch organisierte Sozialsysteme lassen sich heute -zunehmend weniger nur aus der Perspektive des 'Kontroll-Paradigmas' -fassen, also jenes Interpretationsrasters, das vor allem die -Reglementierung des Erlebens und Handelns von Personen durch -Organisationen betont und Subjektivit„t auf eine bloáe -Ausfhrungsinstanz des Sozialsystems reduziert (Schimank 1986, 73). -Dieses Paradagma ist zwar nicht falsch, muá jedoch durch eine andere -Sichtweise erg„nzt werden, derzufolge Subjektivit„t nicht bloá auf den -Nachvollzug immer schon konstituierter sozialer Ordnungen beschr„nkt -ist, sondern diese, wenn schon nicht konstituiert, so doch -mitkonstituiert (ebd. 75). Daá fr Foucault erst beide Perspektiven -zusammen ein vollst„ndiges Bild ergeben, wurde am Ende des ersten -Abschnittes gezeigt; Foucault selbst hat es noch einmal in der -Einleitung zum zweiten Band der Histoire de la sexualit‚ -unterstrichen, in der er darauf verweist, "daá jede 'Moral' im weiten -Sinn die beiden angegebenen Aspekte enth„lt: den der Verhaltenscodes -und den der Subjektivierungsformen" (1986, 41). Honneth hat also -recht, auf eine angemessene Behandlung der letzteren zu dringen. Im -Gegensatz zu der weiteren von ihm vorgeschlagenen Interpretation, die -hierin eine St„rke der handlungs- gegenber den systemtheoretischen -Komponenten von Foucaults Analysen sieht, m”chte ich allerdings die -These vertreten, daá die Bercksichtigung der Subjektivit„t in -organisierten Sozialsystemen nur zu einer Flexibilisierung, nicht aber -zu einer Sprengung des Begriffs der Disziplinargesellschaft fhrt. - - -Komplexit„t nicht mehr den gleichen Erkl„rungswert beanspruchen kann -wie zu Beginn des Jahrhunderts, als Weber seine Brokratietheorie und -Taylor seine Methoden der wissenschaftlichen Arbeitsgestaltung und -Betriebsfhrung entwickelte, wird heute durch zahlreiche -Untersuchungen best„tigt, die einen Wandel der Institutionen zu -weniger hierarchischen, mehr informalen und kollegialen Strukturen -dokumentieren. Dies gilt etwa fr die Organisationssoziologie, die -seit l„ngerem das Zurcktreten der verfahrensorientiert-unpers”nlichen -Strukturen hinter dienstleistungsorientiert-pers”nlichen Formen -registriert und Human-Relations-Gesichtspunkte in den Vordergrund -stellt (Schluchter 1972, 140ff.; Hage 1980). Es gilt aber auch fr die -Industriesoziologie, die in wichtigen Bereichen eine Abkehr von den -bislang dominierenden tayloristischen Formen der Zeit”konomie -festgestellt hat (Kern/Schumann 1984; Bergmann u.a. 1986; Manske 1987; -Malsch 1987; Wuntsch 1988, 331ff.; Brandt 1990, 358ff.). Zwar hat sich -die Ankndigung einer 'Neoindustrialisierung', die eine Zurckdr„ngung -der Heteronomie von Industriearbeit erm”glichen und die -"Voraussetzungen fr kompetentes, selbstbewuátes Verhalten im -Arbeitsprozeá" schaffen sollte (Kern/Schumann 1984, 327; kritisch -hierzu: Schmiede/v. Greiff 1985), als berzogen erwiesen, doch gilt -dies ebenso fr die Annahme einer stetigen Steigerung der direkten -sozialen Kontrolle durch Dequalifizierung der Arbeitskraft einerseits, -Zentralisierung des Produktionswissens beim Management andererseits. -Neuere empirische Untersuchungen legen den Schluá nahe, daá die -tayloristischen und fordistischen Strategien der zeit”konomischen -Arbeitszerlegung nur fr bestimmte Sektoren der Massenproduktion -galten, w„hrend sie etwa in der kleinserigen, komplexen -Maschinenfertigung stets an den hohen Kosten scheiterten, die fr den -Aufbau leistungsf„higer Arbeitsvorbereitungsabteilungen n”tig gewesen -w„ren (Manske 1987, 170); sie zeigen zugleich, daá der Taylorismus als -das Mittel zur zentralistischen Kontrolle der Arbeitsausfhrung und -damit der Arbeiter berall dort seine Grenze findet, wo die -Besonderheiten von Materialien und Produkten sowie die Marktlage ein -hohes Maá an betrieblicher Flexibilit„t und Reaktionsf„higkeit -erfordern. Die von Sohn-Rethel (1972) und Bravermann (1977) ganz auf -der Linie von Marx und Weber beschriebene langfristige Tendenz einer -fortschreitenden Einschr„nkung bzw. Eliminierung der -Dispositionsspielr„ume wie auch der kognitiven Kompetenz der -Arbeitskr„fte h„tte von hier aus gesehen mit Gegentendenzen zu -rechnen, die anstelle der reinen Subsumtionslogik st„rker auf -indirekte, 'systemische' Kontrollen setzen (Baethge/Oberbeck 1986, 22; -Manske 1987, 175) und dabei die eindimensionalen, auf -'Fremdbeobachtung' und punktueller Disziplinierung beruhenden -tayloristischen Mechanismen durch neue, die 'Selbstbeobachtung' und -aktive Beteiligung des Personals akzentuierenden Strategien -substituierten (Malsch 1987). Ob sich damit, wie etwa Malsch glaubt, -die Chance einer kommunikativen Rationalisierung er”ffnet, mag -dahingestellt bleiben. Fest steht jedoch, daá das Kontroll-Paradigma -diesen Entwicklungen nur unzureichend Rechnung tr„gt. "Subjektivit„t", -so folgert Uwe Schimank, "ist in formalen Organisationen nicht nur -eine m”glichst weitgehend sozialem und technischem Reglement zu -unterwerfende, weil fr die organisatorische Ordnung gef„hrliche -St”rgr”áe; sondern Subjektivit„t ist eine wesentliche -Konstitutionsbedingung organisatorischer Ordnung gerade auch in -hochtechnisierten Produktionsorganisationen" (1986, 86). - - -Abschnitt skizzierten Argumentation erforderlich, stellen sie jedoch -nicht grunds„tzlich in Frage. Auch wenn die Bedienung der zunehmend -komplexer und st”ranf„lliger werdenden Produktionsanlagen heute eine -flexiblere Funktionsvermischung und eine erh”hte technisch- -wissenschaftliche Kompetenz des Personals verlangt (Wuntsch 1988, 28, -201); auch wenn die Belegschaften ein ganz neuartiges "Drohpotential -der Datenmanipulation und der Wissenszurckhaltung" erwerben (Malsch -1987, 79), folgt daraus doch nicht, daá die systemische Integration an -ihre Grenze st”át und eine neue Perspektive er”ffnet, die es -erm”glicht, die organisierten Sozialsysteme "als fragile Gebilde zu -durchschauen, die in ihrer Existenz vom moralischen Konsens aller -Beteiligten abh„ngig bleiben" (Honneth 1985, 334). Bei der -Subjektivit„t, die in organisierten und technisierten Systemen -operiert, handelt es sich zwar um selbstdeterminierte und insofern -zweifellos auch zu moralischen Orientierungen bef„higte personale -Systeme, doch ist gerade diese Kompetenz nicht gemeint, wenn von einem -Beitrag zu den Konstitutionsbedingungen die Rede ist. Gefragt sind -nicht die moralischen und expressiven, sondern die kognitiven und -technischen Kompetenzen, mithin jene F„higkeiten zu formaler -Rationalit„t, diskursiver Symbolisierung und streng linearer -Wahrnehmung, wie sie nur das im kantischen Sinne disziplinierte und -kultivierte Individuum besitzt. Gewiá geht das Individuum darin nicht -auf. Es verfgt, auch und gerade im Rahmen informatisierter -Produktionstechnologien, ber die F„higkeit, die durch die jeweilige -Technik gesetzten Grenzen sinnhaften Operierens zu berschreiten, es -akkumuliert ein Erfahrungswissen, das durch formalisiertes und -standardisiertes Planungswissen nie vollst„ndig ersetzt werden kann. -Dennoch handelt es sich um eine Erfahrung h”chst spezifischer Art: -nicht die spontane, 'naturwchsige' Erfahrung der konkreten Arbeit, -die eine Wechselbeziehung zwischen dem Arbeitenden, dem Werkzeug und -dem je besonderen Material unterstellt, sondern die domestizierte, -disziplinierte Erfahrung innerhalb eines vorstrukturierten technischen -'Ereignishorizonts', in dem sich die Aktivit„t des Subjekts weitgehend -auf die Selektion und Deutung der Zeichen beschr„nkt, die von den -Informationssystemen in šberflle geboten werden (Hartmann 1990, 42). -Erfahrung in diesem Kontext ist immer wissenschaftliche Erfahrung, -Produktion immer: Objektivation von Wissenschaft. Die Ver„nderung -besteht allenfalls darin, daá sich nunmehr nicht bloá die -Wissenschaftler und Ingenieure, sondern Teile der Arbeiterschaft -selbst in wissenschaftlicher Weise auf die Erfahrung bzw. die -Produktion beziehen und damit gleichsam von der passiven auf die -aktive Seite des Abstraktifizierungsprozesses rcken. - - -Unzul„nglichkeiten seiner Machttheorie, auch nicht sehen k”nnen. Er -hat aber immerhin etwas davon geahnt, wenn er von der "Ersetzung eines -juridischen und negativen Rasters durch ein technisches und -strategisches" spricht (1978, 105), wenn er auf neue Machtmechanismen -verweist, die nicht mehr mit dem Recht, sondern mit der Technik -arbeiten, wenn er betont, daá die Macht nicht mehr nur 'von oben', -sondern auch 'von unten', d.h. von den Subjekten selbst kommt (1977, -110, 115). Wenn die direkte Kontrolle … la Taylor berflssig wird, so -nicht, weil das System durch zunehmend autonomere, ihre Qualifikation -und ihre Intelligenz wiedergewinnende Subjekte in die Defensive -gedr„ngt wrde. Sondern genau umgekehrt: weil es, flexibler und -gleichsam dialektischer geworden, mit den Beitr„gen der Subjekte -selbst rechnen kann, die, vom wissenschaftlichen Code gepr„gt, die -permanente Optimierung des Systems zu ihre eigenen Sache gemacht -haben30. - - -Entwicklung sein, die Foucault unbeachtet gelassen hat, auf die ich -jedoch zum Schluá wenigstens hinweisen m”chte, weil eine Theorie der -Disziplinargesellschaft sie nicht ignorieren kann: die partielle -Entdisziplinierung, von der die fortgeschrittenen -Industriegesellschaften seit einiger Zeit heimgesucht werden. Die -allgemeine Erh”hung des Qualifikationsniveaus im Gefolge der -'Bildungsrevolution' (Parsons) hat zu einer Entwertung der unteren -Bildungsabschlsse gefhrt, die die Haupt- und Sonderschulabsolventen -in eine „hnliche Lage geraten l„át wie Analphabeten. Die Hauptschule, -so hat Ulrich Beck es formuliert (1986, 246), verwandelt sich mehr und -mehr in einen 'Aufbewahrungsort fr arbeitslose Jugendliche', dessen -Funktionsbestimmung sich in Richtung Besch„ftigungstherapie -verschiebt. Die Folge ist nicht nur eine anomische Reaktion der -betroffenen Jugendlichen, die sich etwa am Ph„nomen des ansteigenden -Vandalismus ablesen l„át, sondern eine tiefgreifende Entwertung der -Autorit„t der Schule und eine Erosion der von ihr vermittelten -Disziplin - vor allem in Groást„dten mit anhaltend hoher -Jugendarbeitslosigkeit und hohem Anteil von Angeh”rigen -diskriminierter Minderheiten. W„hrend sich die P„dagogik an Gymnasien -eher mit Problemen wie Ehrgeiz, Schulangst, bertriebene Anpassung und -Kontaktschwierigkeiten konfrontiert sieht, werden an Hauptschulen in -zunehmendem Maáe Verhaltensauff„lligkeiten wie Unkonzentriertheit, -Ungenauigkeit, Interessenmangel, verbale Aggression und Ungehorsam -gegen den Lehrer registriert (Bach 1987, 58 f.). Auch an den -Grundschulen mehren sich inzwischen die Unterrichtsst”rungen in Form -von šbermotorik, diffuser Aggression, ungerichtetem Agieren und -didaktisch-methodischer Unansprechbarkeit, so daá das Bildungsangebot -bei einem wachsenden Teil der Schler ins Leere st”át (Ziehe 1983; -Cloer 1982; ders. 1987; Winkel 1988). Wenn die Zeichen nicht trgen, -so scheint es sowohl der sekund„ren als offenbar bereits der prim„ren -Sozialisation in Teilen der Gesellschaft zusehends weniger zu -gelingen, jene innere Disziplin zu vermitteln, die nicht bloá fr das -Fortkommen, sondern schon fr das pure šberleben in einer -Disziplinargesellschaft unerl„álich ist. Welches immer die Ursachen -sein m”gen - Wohnverh„ltnisse, Arbeitslosigkeit, damit -zusammenh„ngende defizit„re familiale Kommunikation, nicht zuletzt -auch eine durch Fernsehkonsum ver„nderte Organisationsform der Sinne - -fest steht, daá man heute nicht mehr schlichtweg von einer -Verallgemeinerung der Disziplin, sondern allenfalls von einer -partiellen Erweiterung sprechen kann, bei der ganze Sektoren der -Gesellschaft als disziplin„re Brachen ausgespart bleiben. Je weiter -aber sich diese Brachen ausdehnen, desto dringlicher wird die Frage, -ob die von Foucault beschriebene Modernisierung und Humanisierung der -Disziplin, ihre Abkehr von einer bloáen 'Gewaltrationalit„t' (Dauk -1989, 131), nicht der Anfang eines Prozesses sein k”nnte, in dessen -Verlauf die Disziplinargesellschaft ihre eigenen Voraussetzungen -zerst”rt. Allein mit den von Foucault bereitgestellten Kategorien wird -diese Frage nicht zu beantworten sein. - - - - - - - - - - -der Auseinandersetzung mit Elias und Foucault deutlich, erfassen -wichtige Aspekte der modernen Gesellschaft. Fr eine Gesamtdiagnose -indes ist ihr Instrumentarium zu grob, ihr begrifflicher Zuschnitt zu -eng. Es ist deshalb an der Zeit, den Fokus zu erweitern und jene -beiden Theorien in den Blick zu nehmen, von denen wir uns in der -Kritik an Elias und Foucault vielfach leiten lieáen: die Kritische -Theorie und die Systemtheorie. - - -geschrieben worden: ber die unterschiedliche Auffassung von Handeln -und Kommunikation, von Wahrheit und Rationalit„t. Nur selten aber, und -dann gew”hnlich am Rande, hat die Debatte das eigentliche Thema -probandum berhrt, das zwischen beiden Theorien zur Verhandlung steht: -die moderne Gesellschaft und ihre Entwicklungstendenzen. Dabei ist -kein Feld von so zentraler Bedeutung wie dieses - stimmen doch beide -Theorien darin berein, daá die Zukunft der Soziologie wesentlich -davon abh„ngt, ob es ihr gelingt, einen Begriff ihres Gegenstandes - -der Gesellschaft - zu entwickeln. - - -Berhrungsangst zu sprechen. Vordringlicher ist es, sie zu -durchbrechen, indem man den Gegenstand selbst in den Mittelpunkt der -Er”rterungen rckt. Dies soll im folgenden in drei Schritten -geschehen. Im ersten Abschnitt werde ich die Aussagen beider Theorien -ber den Aufbau der modernen Gesellschaft vergleichen, die sich im -einen Fall um den Begriff der Totalit„t, im anderen Fall um den des -Systems zentrieren. Im zweiten Abschnitt sollen die wichtigsten Thesen -ber die Entwicklungstendenzen der modernen Gesellschaft -herausgestellt werden, wobei ich mich vorrangig auf die Frage -Differenzierung oder Entdifferenzierung konzentrieren werde. Der -letzte Abschnitt behandelt die M”glichkeit wechselseitiger -Lernprozesse beider Theorien im Horizont einer sich anbahnenden -Konvergenz von Kritik und Affirmation. Der Vergleich wird sich auf -Adorno und Luhmann als die beiden Autoren beschr„nken, bei denen die -Kritische Theorie und die Systemtheorie in ihrer 'Vollstufe' -entwickelt sind. - - - - - - - - - - -AAF 1. Jeder Anfang ist eine Vorentscheidung. Nach der Systemtheorie -ist mit Differenz zu beginnen, nach dialektischer Auffassung mit -Einheit. Folgte man der ersten Position, so w„re man in diesem Fall -schnell fertig. Man wrde zeigen, daá fr Luhmann Gesellschaft -Kommunikation ist und in dieser Eigenschaft sowohl das Ganze -verk”rpert als auch das Wahre einschlieát: die Gesamtheit der -Kommunikationen als Selektion aus der Gesamtheit aller anschluáf„higen -- in Luhmanns Terminologie: 'wahren' - Kommunikationen (1990, 533, -618f., 175)31. Auf der anderen Seite tauchte dann sogleich die Formel -vom Ganzen als dem Unwahren sowie Adornos 'Generalverdacht gegen -Kommunikation' auf (M”rchen 1981, 231). "Alles, was heutzutage -Kommunikation heiát, ausnahmslos, ist nur der L„rm, der die Stummheit -der Gebannten bert”nt" (GS 6, 341). Der Dialog w„re zuende, ehe er -berhaupt eingesetzt h„tte. - - Wir mssen also nach Art der Dialektik beginnen, mit Einheit statt -mit Differenz. Das ist weniger gewaltsam, als es nach dem ersten -Vorgepl„nkel den Anschein haben k”nnte, bestimmen doch Adorno wie -Luhmann die moderne Gesellschaft ganz konventionell, unter Rckgriff -auf den von Herbert Spencer in die Soziologie eingefhrten Begriff der -funktionalen Differenzierung. Die moderne Gesellschaft ist nach -Luhmann kein Organismus und kein Subjekt, sondern "dasjenige -Sozialsystem, das die letzterreichbare Form funktionaler -Differenzierung institutionalisiert" (1971, 15). "Modern society, -then, has to be described as a functionally differentiated system. -This is its main characteristic, the principle which generates its -structures" (1984, 64). - - Nicht anders sieht es Adorno. Gesellschaft, so verkndet er, sei -"ein Funktions- und kein Substanzbegriff" (GS 8, 349), Soziologie die -"Wissenschaft von den gesellschaftlichen Funktionen" (Adorno 1956, -23). W„hrend sich archaische Gesellschaften nicht zuletzt durch ihre -nur geringe Arbeitsteilung auszeichneten, habe sich die moderne -Gesellschaft zu einem gigantischen Interdependenzzusammenhang -entfaltet. - - "Mit Gesellschaft im pr„gnanten Sinn meint man eine Art Gefge zwischen Menschen, in dem alles und alle von allen -abh„ngen; in dem das Ganze sich erh„lt nur durch die Einheit der von s„mtlichen Mitgliedern erfllten Funktionen, und in dem -jedem Einzelnen grunds„tzlich eine solche Funktion zuf„llt, w„hrend zugleich jeder Einzelne durch seine Zugeh”rigkeit zu dem -totalen Gefge in weitem Maáe bestimmt wird" (ebd. 22; vgl. GS 8,10). -AAF - Fr Adorno ist mit dieser Bestimmung allerdings nur erst ein -Aspekt der modernen Gesellschaft getroffen. Der zweite fr ihn -wichtige Aspekt ist, daá Gesellschaft ebensosehr eine Relations-, ja -eine 'Vermittlungskategorie' sei (Adorno 1973, 36, 39). Was damit -gemeint ist, l„át sich durch eine Kontrastierung mit der -funktionalistischen Theorie der Systemdifferenzierung verdeutlichen. -Diese Theorie, die im brigen, wie das Beispiel Althusser zeigt, auch -in den Marxismus Eingang gefunden hat, geht davon aus, daá die moderne -Gesellschaft durch die Ausdifferenzierung relativ autonomer -Subsysteme, Ebenen oder Instanzen gekennzeichnet ist, welche innerhalb -des Gesamtsystems nebeneinander existieren. Parsons unterscheidet -dabei bekanntlich das politische, ”konomische, sozialkulturelle und -gemeinschaftliche System; Luhmann Teilsysteme fr Politik, Wirtschaft, -Recht, Erziehung, Religion und Wissenschaft; Althusser die politische, -”konomische und ideologische Ebene. Diese Differenzierung schlieát -nicht aus, daá zwischen den Subsystemen Beziehungen bestehen: bei -Parsons und Luhmann gibt es das Konzept der Interpenetration, bei -Althusser sogar das Prinzip der Determinierung in letzter Instanz -durch die ™konomie. Typisch aber ist, daá in all diesen Konzeptionen -(von deren Unterschieden hier abgesehen werden kann) die Beziehung -„uáerlicher Natur ist, eine bloáe Wechselwirkung zwischen ansonsten -getrennten und nach eigengesetzlichen Regeln prozessierenden Sph„ren. - - Adorno bestreitet keineswegs die Existenz solcher autonomer -Sph„ren. Die bliche Formel, mit der er Bereiche wie Kunst oder -Wissenschaft charakterisiert, lautet, sie seien autonom und fait -social zugleich (GS 7, 16; GS 8, 283). Damit ist jedoch auch gesagt, -daá die Theorie es bei der bloáen Feststellung der Autonomie nicht -belassen kann. Gerade als autonome sind die Teilsysteme vermittelt -durch die konstitutive Struktur der Gesellschaft, ihre objektive -'Wesensgleichheit' (Adorno 1973, 25), die in den Teilsystemen -erscheint und sie ipso facto als Schein, als Reflexionsbestimmung -durchschaubar macht. Was Adorno fr die Kunst notiert, gilt mutatis -mutandis auch fr die brigen Bereiche des gesellschaftlichen Ganzen: - - "Die Frage nach der Vermittlung von Geist und Gesellschaft reicht weit ber die Musik hinaus, wo man sie allzu leicht auf die -nach dem Verh„ltnis von Produktion und Rezeption einengt. Gelten drfte, daá jene Vermittlung nicht „uáerlich, in einem dritten -Medium zwischen Sache und Gesellschaft stattfinde, sondern innerhalb der Sache. Und zwar nach ihrer objektiven und subjektiven -Seite. Die gesellschaftliche Totalit„t hat in der Gestalt des Problems und der Einheit der knstlerischen L”sungen sich sedimentiert, ist -darin verschwunden. Weil in ihr Gesellschaft sich verkapselt hat, folgt sie, indem sie autonom sich entfaltet, auch der -gesellschaftlichen Dynamik, ohne auf sie hinzublicken, ohne direkt mit ihr zu kommunizieren" (GS 14, 409). -AAF - In der Bestimmung dieser Wesensgesetzlichkeit, die in den -Teilsystemen erscheint und diese dadurch als vermittelte konstituiert, -knpft Adorno an die klassische dialektische Theorie an, die die -moderne Gesellschaft als brgerliche verstand. Wie Marx, der den -Schlssel zu diesem System in der politischen ™konomie suchte, geht -auch Adorno vom "Primat der ™konomie" aus (GS 4, 125) und lokalisiert -hier den tragenden Lebensprozeá der Gesellschaft. Damit ist vor allem -die grundlegende Rolle angesprochen, die der gesellschaftlichen Arbeit -in der Moderne zukommt. Die sozialen Prozesse und Institutionen -existieren nicht aus eigener Kraft, sie sind "wesentlich -vergegenst„ndlichte Arbeit lebendiger Menschen"; selbst so subtile -Erscheinungen wie Kunst, Philosophie oder Kulturkritik sind vom -Arbeitsprozeá abh„ngig, "in dessen Schicksal verflochten" (GS 8, 17; -GS 10.1, 18). Ein berhistorisches Gesetz, wie es etwa Engels' Prinzip -der Determinierung in letzter Instanz aufstellt, ist damit nicht -behauptet, denn eine 'szientifische Invariantenlehre' lehnt Adorno ab. -Fr die moderne Gesellschaft allerdings gilt, daá sie die "Einheit der -durch ihre Arbeit das Leben der Gattung reproduzierenden Subjekte" ist -und daher prim„r als "Totalit„t der Arbeit" konzipiert werden muá (GS -5, 267, 269). "Soweit die Welt ein System bildet, wird sie dazu eben -durch die geschlossene Universalit„t von gesellschaftlicher Arbeit" -(ebd. 272). - - Von entscheidender Bedeutung ist nun allerdings, daá sich dieser -Primat der Produktion unter brgerlichen Produktionsbedingungen auf -eine h”chst paradoxe Weise „uáert: als Abstraktion der Produktion von -sich selbst. Konstitutiv fr den gesellschaftlichen Zusammenhang ist -nicht die lebendige Arbeit, auch nicht das konkrete Bedrfnis. -"Grundbestand der Gesellschaft an sich", "maágebende Struktur der -Gesellschaft" (GS 8, 13; GS 10.2, 745) ist vielmehr der Tausch, in dem -die konkreten Einzelarbeiten auf ihren gemeinsamen Nenner reduziert -werden - abstrakte Arbeit als Substanz des Wertes. Im Tausch, schreibt -Adorno, "nicht erst in der wissenschaftlichen Reflexion, wird objektiv -abstrahiert; wird abgesehen von der qualitativen Beschaffenheit der -Produzierenden und Konsumierenden, vom Modus der Produktion, sogar vom -Bedrfnis, das der gesellschaftliche Mechanismus beiher, als -Sekund„res befriedigt" (GS 8, 13). - - 'Tausch' in diesem Sinne meint mehr als eine ”konomische -Transaktion, meint mehr als den bloáen Besitzwechsel konkret- -ntzlicher Gegenst„nde. Der Begriff steht fr eine Gesamtverfassung, -in der der konkret-materielle Inhalt des gesellschaftlichen Lebens, -der Stoffwechselprozeá mit der Natur, und der soziale Zusammenhang -auseinandergetreten sind und sich zum Gegensatz verselbst„ndigt haben. -Ihre Einheit gewinnt die fragmentierte und atomisierte Gesellschaft -nur mehr auf einem Umweg, ber den Austausch; da aber nur Gleiches, -Vergleichbares, Žquivalentes getauscht werden kann, wechseln in der -Zirkulation nicht Gebrauchswerte den Besitzer, sondern Tauschwerte; -der Markt, so hat es Alfred Sohn-Rethel formuliert, dem Adorno -entscheidende Einsichten verdankt, ist ein "zeitlich und ”rtlich -bemessenes Vakuum an menschlichem Stoffwechsel mit der Natur" (Sohn- -Rethel 1972, 80). Das, was die Einheit herstellt, ist der Wert; der -Wert aber ist eine reine Abstraktion, etwas, in das 'kein Atom -Naturstoff' eingeht, eine 'bloá ideelle' oder 'nur gemeinte -Bestimmung' (MEW 23, 62; Marx 1974, 173). Brgerliche -Vergesellschaftung heiát dementsprechend abstrakte, reine -Vergesellschaftung, Integration durch eine Sph„re, die in der -traditionellen Metaphysik als 'Schein', in der idealistischen -Philosophie als 'Geist' bezeichnet wurde - eine Welt des Symbolischen, -der Stellvertretung, der Substitution, die alle Erscheinungsformen des -Sozialen, von der Zirkulation ber Recht und Staat bis zu den -subtileren Gestalten der Kunst, der Philosophie und der Wissenschaft, -strukturiert. - - "Den Vorwurf des Idealismus", schreibt Adorno, "hat nicht ein jeder zu frchten, der Begriffliches der gesellschaftlichen -Realit„t zurechnet...Mag man, gegenber der leibhaften Realit„t und allen handfesten Daten, dies begriffliche Wesen Schein -nennen, weil es beim Žquivalententausch mit rechten Dingen und doch nicht mit rechten Dingen zugeht: es ist doch kein Schein, -zu dem organisierende Wissenschaft die Realit„t sublimierte, sondern dieser immanent...Der Tauschwert, gegenber dem -Gebrauchswert ein bloá Gedachtes, herrscht ber das menschliche Bedrfnis und an seiner Stelle; der Schein ber die Wirklichkeit" -(GS 8, 209). -AAF - Diese Hervorhebung des Tauschverh„ltnisses ist von der -marxistischen Orthodoxie h„ufig als Rckfall in brgerliches Denken -kritisiert worden, als Unf„higkeit, ber den Standpunkt der -Zirkulation hinauszugehen. Der Vorwurf hat eine gewisse Berechtigung, -soweit er darauf zielt, daá Adorno nicht mit der gebotenen -Grndlichkeit auf die Einzelheiten der Marxschen Wertformanalyse -eingegangen ist und deren Begriffe oft nur metaphorisch gebraucht. In -ihrem Kern ist die Kritik jedoch unhaltbar: einmal, weil Adorno -keineswegs bei der Zirkulation stehenbleibt und sehr wohl auch die -entwickelteren Formen des Wertverh„ltnisses bis hin zur -Klassenstruktur im Blick hat32; zum anderen, weil sie die fundamentale -šbereinstimmung verdeckt, die hinsichtlich der strukturellen Bedeutung -der Zirkulation zwischen der Kritischen Theorie und der Kritik der -politischen ™konomie besteht. Auch im Kapital fungiert als -begrifflicher Ausgangspunkt nicht der Arbeitsprozeá oder ein wie immer -geartetes 'System der Bedrfnisse', sondern die Abstraktion von der -Produktion und vom Bedrfnis, wie sie sich in der Zirkulation, im -Austausch von Waren gem„á ihren Werten, tagt„glich vollzieht; und wenn -es ein Gliederungsprinzip gibt, einen Grundgedanken, um den sich das -System der politischen ™konomie organisiert, so ist er hier, in den -verschiedenen Metamorphosen dieser Fundamentalabstraktion zu suchen, -die vom einfachen Tausch ber den Geld- und Kapitalbegriff bis zu den -Oberfl„chenbestimmungen der 'trinitarischen Formel' reichen. Indem -Adorno diesen Gedanken, in wie metaphorischer Form auch immer, -festh„lt und zu der These zuspitzt, daá die Produktion nur -gegenstandskonstitutiv, nicht aber gesellschaftskonstitutiv ist, steht -er Marx n„her als alle postmarxschen Arbeitsmythologien, die die Rede -vom Scheincharakter der Zirkulation allzu w”rtlich, n„mlich -brgerlich-aufkl„rerisch nehmen. Die Einheit der brgerlichen -Gesellschaft ist keine Einheit der Arbeit, sondern eine des Wertes, -der Abstraktion von der Arbeit. - - Diese Einheit aber, und damit kehren wir zum Ausgangspunkt zurck, -existiert nicht unmittelbar, sondern nur als Prozeá, als "eine -Einheit, die sich durch den Trennungs-, durch den -Abstraktionsmechanismus hindurch berhaupt eigentlich erst vollzieht" -(Adorno 1973, 47). Die konstitutive Struktur, der Wert, ist keine -isolierte, unbewegliche Instanz, die auf andere Instanzen diese oder -jene Wirkung ausbt. Sie erzeugt vielmehr unabl„ssig neue Formen, in -denen sie sich zugleich manifestiert und verbirgt - so wie es Hegel -fr die Sph„ren des subjektiven, objektiven und absoluten Geistes -beschrieben hat, Marx fr die verschiedenen 'Verkn”cherungen' des -Mehrwerts vom Profit ber den Produktionspreis bis hin zu den -'mystischen' Formen von Zins, Arbeitslohn und Rente. Das Wesen muá -erscheinen; die Gesamtheit seiner Erscheinungen aber ist: das System. -Das System ist die dialektische Ordnung der Erscheinungsformen der -Struktur, die Struktur wiederum ist nichts anderes als das System, auf -seinen einfachsten und abstraktesten Ausdruck gebracht. Der hier von -Adorno anvisierte Theorietypus lieáe sich am angemessensten als eine -'strukturalistische Systemtheorie' charakterisieren, die die -Einsichten des Strukturalismus und der Systemtheorie aufnimmt, sie -aber dialektisiert und dadurch ihre Einseitigkeiten vermeidet. - - Es ist nur scheinbar ein Widerspruch hierzu, wenn Adorno an -anderer Stelle davon spricht, daá sich das dialektische Denken -zunehmend von der Systemform entfernen msse, oder wenn er die -negative Dialektik geradezu als 'Antisystem' definiert (GS 8, 308; GS -20.1, 165ff; GS 6, 10). Gewiá gibt es neben dem Schler Hegels und -Marxens auch den Schler Nietzsches und Benjamins, dessen -antisystematische Affekte sich methodisch in der Bevorzugung der -'Mikrologie' und des Aphorismus niederschlagen und mitunter in -emphatischen Bekenntnissen kulminieren wie demjenigen, daá der -wirklich freie Gedanke mit dem System unvereinbar sei (Adorno 1974, -266). Es w„re indes ein v”lliges Miáverst„ndnis von Adornos Position, -wenn man darin eine Absage an das systematische Denken oder gar eine -Leugnung des Systemcharakters der gesellschaftlichen Realit„t sehen -wollte. Daá die brgerliche Gesellschaft ein System ist, eine Einheit -also, die aus einem Punkt heraus erzeugt und nicht nur die „uáerliche -Ordnung eines vorgegebenen Stoffes ist, steht fr Adorno auáer Frage, -ebenso wie die Gltigkeit der Kategorien, mit denen Hegel und vor -allem Marx dieses System beschrieben haben. Anders w„re seine im -Positivismusstreit immer wieder ge„uáerte Mahnung unverst„ndlich, daá -die Soziologie ihr Objekt verfehle, wenn sie darauf verzichte, -"Gesellschaft als System" zu denken, wenn sie sich mit bloáen -Systematisierungen begnge, anstatt "das den Prozeduren und Daten -wissenschaftlicher Erkenntnis vorgeordnete System der Gesellschaft" zu -rekonstruieren (GS 8, 210, 356). Die Mikrologie setzt an jedem Punkt -die Gltigkeit der Marxschen Strukturanalysen voraus, sie ist m”glich -nur auf dem Boden des dialektischen Begriffs, auch wenn sie darauf -verzichtet, diesen im Einzelfall zu explizieren. Bei aller Kritik, die -Adorno an Hegels Identifikation des Systems mit dem absoluten Subjekt -gebt hat, hat er doch an der Notwendigkeit und Angemessenheit des -Systembegriffs zu keiner Zeit einen Zweifel gelassen: - - "Ist jenes Subjekt-Objekt, zu dem seine (scil. Hegels) Philosophie sich entwickelt, kein System des vers”hnten absoluten -Geistes, so erf„hrt der Geist doch die Welt als System. Sein Name trifft den unerbittlichen Zusammenschluá aller Teilmomente und -Teilakte der brgerlichen Gesellschaft durch das Tauschprinzip zu einem Ganzen genauer als irrationalere wie der des Lebens, -selbst wenn dieser der Irrationalit„t der Welt, ihrer Unvers”hntheit mit den vernnftigen Interessen einer ihrer selbst bewuáten -Menschheit, besser anstnde. Nur ist die Vernunft jenes Zusammenschlusses zur Totalit„t selber die Unvernunft, die Totalit„t des -Negativen" (GS 5, 324): eben die des Tauschs, der die Einzelnen einem ihnen fremden Gesetz unterwirft. -AAF - Daá diese Negativit„t das System, das sie konstituiert, zugleich -in den Untergang treibt, wird weiter unten darzustellen sein. - - - - 2. Der zentrale Stellenwert, den die dialektische Theorie dem -Systembegriff zuweist, hat ihr wenig Anerkennung bei derjenigen -Theorie eingetragen, die sich diesen Begriff fr ihre -Selbstbeschreibung zu eigen gemacht hat: der Systemtheorie. Vom -"ehrwrdige(n) Konzept der brgerlichen bzw. proletarischen, -wirtschaftlich konstituierten Gesellschaft" (1974, 217) spricht -Luhmann im gleichen Ton wie ein Raketenkonstrukteur von den Bemhungen -des Schneiders von Ulm; vom "negatorische(n) Apparat brgerlicher -Gesellschaftskritik im Sinne von Rousseau, Hegel oder Marx" (1979, -105) wie von einem berflssigen Ballast, dessen man sich tunlichst -entledigen sollte. Zwar konzediert Luhmann diesem Theorietypus das -"Erstgeburtsrecht als reflexive Theorie", doch bem„ngelt er -gleichzeitig "die eigentmliche Schmalspurigkeit, die zu geringe und -zu unbestimmte Komplexit„t, die Fixierung auf wenige Gesichtspunkte, -an die man mit vermeintlich eindeutigen Effekten Negationen anknpfen -kann" (1982, 193). - - Die Grnde fr diese absch„tzig-distanzierende Haltung sind rasch -benannt. Die Theorie der brgerlichen Gesellschaft, sowohl in ihrer -affirmativen als auch in ihrer kritischen Gestalt, ist nach Luhmann -die letzte in einer Serie von Selbstthematisierungen des -Gesellschaftssystems, die die Gesellschaft unzureichend, n„mlich auf -der Basis ontologischer und anthropologischer Pr„missen zu begreifen -versuchte. Im Gegensatz zu der bis auf Aristoteles zurckgehenden -'alteurop„ischen' Lehre, welche die Gesellschaft als societas civilis, -d.h. als prim„r politisch konstituierte Ordnung verstand, habe die -Theorie der brgerlichen Gesellschaft zwar neues Terrain betreten, -indem sie den Akzent auf das Wirtschaftssystem verlagert habe; doch -seien die anthropologisch-ontologischen Begrndungsmuster im Prinzip -beibehalten worden. Wie die Aristoteliker den Primat der Politik, -h„tten auch die brgerlichen Theoretiker den Primat der ™konomie mit -Naturbegriffen begrndet und ihre Gesellschaftskonzeption darauf -aufgebaut - wobei es nach Luhmann eine zweitrangige Frage ist, ob -diese Naturbegriffe naturrechtlicher oder materialistischer Provenienz -waren: beide Ans„tze h„tten die Gesellschaft als Aggregat von -natrlichen Bedrfnissen und Befriedigungsm”glichkeiten konzipiert und -die Teilsysteme auf dieses Kernsystem bezogen (1974, 142, 206). Marx -erscheint aus dieser Sicht gleichsam nur als Schluápunkt in der -Selbstthematisierung der brgerlichen Gesellschaft, sein Materialismus -nicht als Durchbruch zu einer neuen, die brgerliche Welt -transzendierenden Auffassung, sondern als brgerliche Philosophie par -excellence (1981, 235). Obwohl Luhmann nicht ausschlieát, daá von der -marxistisch-sozialistischen Selbstkritik der brgerlichen Gesellschaft -bestimmte politische Effekte ausgehen k”nnten, h„lt er deren Potential -doch fr ersch”pft. Ein wirkliches Verst„ndnis, das sich auf der H”he -der Zeit befindet, ist nach seiner šberzeugung weder von den -Apologeten der brgerlichen Gesellschaft zu erwarten noch von deren -Kritikern. Gefordert ist vielmehr eine grundlegende Neuorientierung, -die die Gesellschaftstheorie von anthropologischen und humanistischen -Pr„missen abkoppelt und auf ein anderes, die Eigenst„ndigkeit und -Eigenlogik des Sozialen bercksichtigendes Fundament stellt. - - Nun ist sicher nicht zu bestreiten, daá ontologische Motive in dem -von Luhmann inkriminierten Sinne eine wichtige Rolle in der -materialistischen Dialektik spielen: nicht bloá in den kruden -Varianten, die man in den Lehrbchern des real kaum noch existierenden -Sozialismus findet, sondern schon bei Marx, der seine -Revolutionstheorie vollst„ndig auf eine Ontologie der Arbeit grndet, -und auch bei Adorno, der im Gebrauchswert das "Ineffabile der Utopie" -sieht und seine Kritik am brgerlichen System auf die Idee eines -"Vorrangs des Objekts" sttzt (vgl. GS 6, 22, 184ff.). Was indes die -Darstellung dieses System betrifft, die Untersuchung seines inneren -Baus, so greift Luhmanns Kritik zu kurz. Weder Marx noch Adorno -benutzen Naturbegriffe oder ontologische Argumente. Vielmehr zeigen -sie pr„zise, daá die brgerliche Gesellschaft anstatt auf der -konkreten Arbeit oder dem Bedrfnis auf der Abstraktion von der Arbeit -und vom Bedrfnis beruht, auf Verh„ltnissen, die sich hinter dem -Rcken der handelnden Personen herausbilden und sich zu einem -hochkomplexen Gefge verdinglichter und subjektivierter Bestimmungen -entfalten. Daá Luhmann dies im brigen nicht ganz fremd ist, zeigt -sich an solchen Stellen, an denen er auf Marxsche Analysen (wie etwa -die des Geldes) rekurriert und ihnen "ihr volles Recht" bescheinigt -(1980, 253f.). - - Luhmanns Vorschlag, die Gesellschaft unter Absehung von allen -empirisch-materiellen Elementen zu definieren, kann man unter diesen -Umst„nden wohl kaum als die kopernikanische Revolution begreifen, als -die er ihn pr„sentiert. Weit davon entfernt, die dialektische Theorie -durch einen radikalen Paradigmenwechsel zu berholen, wiederholt er -lediglich (ohne allerdings die Begrndung mitzuvollziehen) deren -Einsicht, daá der gesellschaftliche Lebensprozeá unter brgerlichen -Produktionsbedingungen in doppelter Gestalt erscheint: als -gegenst„ndlich-materielle, aber private Produktion einerseits, als -gesellschaftlicher, aber immaterieller Zusammenhang andererseits. -Konkret und privat im Sinne von ungesellschaftlich, das sind nach -Luhmann die Individuen, die als autonome, 'autopoietische' Systeme -"auáerhalb aller sozialen Systeme" operieren und dabei, obwohl -wesentlich Bewuátsein, doch einen engen Bezug zum organisch- -materiellen Leben haben (1985, 359, 296f.). Die Gesellschaft hingegen -ist Kommunikation und nichts als Kommunikation. Sie konstituiert sich -zwar aus den Erwartungen und Kommunikationen psychischer Systeme, geht -aber in dieser ihrer Genesis nicht auf, bildet "eine freischwebend -konsolidierte Realit„t, ein sich selbst grndendes Unternehmen" (ebd. -173), eben 'reine' Kommunikation. - - "Ganz grob kann man das System der Gesellschaft charakterisieren als Gesamtheit der freinander zug„nglichen, -kommunikativ erreichbaren Erlebnisse und Handlungen. Kommunikation verwebt die Gesellschaft zur Einheit" (1981, 309). -AAF - Ersetzt man Kommunikation durch Zirkulation, so hat man exakt die -Marxsche These, nach der die brgerliche Gesellschaft ihre Einheit und -ihren Selbstbezug allein verm”ge der Ausdifferenzierung einer -eigenst„ndigen Sph„re der abstrakten Allgemeinheit neben und auáer der -empirisch-materiellen Dimension der Produktion und des Konsums -herzustellen vermag. - - Die eigentliche Differenz zwischen Systemtheorie und Dialektik -liegt deshalb nicht darin, daá die erstere Gesellschaft auf -Kommunikation reduziert und alle nichtkommunikativen Elemente, die mit -der Aneignung der Natur zusammenh„ngen, eskamotiert (so Ganámann -1986a, 148ff.). Daá in der brgerlichen Gesellschaft die in der -Produktion erfolgende Naturaneignung nicht unmittelbar -gesellschaftlich ist, es vielmehr erst durch die Vermittlung der -Zirkulation wird, ist schlieálich der Kardinaleinwand der Marxschen -Theorie gegen die Warenproduktion. Die Differenz liegt auf der -methodischen Ebene, in der Art und Anordnung der Kategorien, aus denen -das brgerliche System besteht. W„hrend fr die Kritische Theorie -Gesellschaft eine Vermittlungskategorie ist, die zwar nicht im -identischen Subjekt-Objekt, wohl aber in einer konstitutiven Struktur -(dem 'Wesensgesetz') grndet und von diesem 'inneren Kern' her -rekonstruiert werden muá, lehnt Luhmann einen solchen Ansatz ab. Da er -den Strukturbegriff nur in der Fassung kennt, wie er innerhalb der -funktionalistischen Tradition durch Parsons und Merton berliefert ist -- als Manifestation invarianter, nichtkontingenter Beziehungen -zwischen Elementen (1985, 377ff.) -, kann er der Struktur allenfalls -im Hinblick auf vormoderne Gesellschaften einen privilegierten Rang -zugestehen; fr die moderne Gesellschaft dagegen erscheint ihm die -Struktur, von dieser Pr„misse her durchaus konsequent, als gegenber -der Funktion von zweitrangiger Bedeutung. Die Einheit der modernen -Gesellschaft, so konstatiert er, existiere nur in der Differenz der -Funktionssysteme: - - "sie ist nichts anderes als deren wechselseitige Autonomie und Unsubstituierbarkeit. Sie ist nichts anderes als die Umsetzung -dieser Struktur in ein Miteinander von hochgetriebener Unabh„ngigkeit und Abh„ngigkeit. Sie ist, mit anderen Worten, die dadurch -entstandene, evolution„r h”chst unwahrscheinliche Komplexit„t" (1986, 216f.). -AAF - Diese Auffassung darf nun nicht so verstanden werden, als gebe es -nach Luhmann kein Gesamtsystem, als sei die Gesellschaft nichts weiter -als die Summe der von den Teilsystemen erfllten Funktionen. Auch -Luhmanns Entwurf bleibt insofern der Tradition -gesamtgesellschaftlicher Theorie verpflichtet, als in ihm der -Gesellschaftsbegriff Begrndungsfunktionen erfllt, "das heiát den -Horizont des M”glichen und Erwartbaren definiert und letzte -grundlegende Reduktionen einrichtet" (1974, 145). Diese -Begrndungsfunktion manifestiert sich erstens nach auáen, in der -Abgrenzung des Sozialen vom Nichtsozialen, die durch die -Unterscheidung von Kommunikation und Nichtkommunikation erreicht wird. -"Gesellschaft betreibt Kommunikation, und was immer Kommunikation -betreibt, ist Gesellschaft" (1985, 555). Sie manifestiert sich -zweitens in der internen Strukturierung, im Aufbau von Teilsystemen, -die auf bestimmte, nur ihnen zurechenbare Funktionen spezialisiert -sind. Und sie manifestiert sich drittens auch in einem Zugriff auf -diese Teilsysteme, der dafr sorgt, daá sich keines derselben auf -Kosten anderer Teilsysteme totalisiert: z.B. durch Einbau von -Beschr„nkungen in die Reflexionsstruktur der Teilsysteme (1977, 245). -Insofern kann auch Luhmann von der "Einheit der Gesellschaft" sprechen -und Dimensionen angeben, in denen diese Einheit sich zeigt (vgl. 1974, -147, 149; 1985, 37f.; 1986, 202, 205). - - Der Unterschied zur dialektischen Theorie liegt darin, daá diese -Einheit den Ph„nomenen „uáerlich bleibt, mit ihnen nicht vermittelt -ist. Gelangt fr Adorno die gesellschaftliche Determinierung in den -Ph„nomenen selbst zum Ausdruck, so daá die deutende Analyse das -Einzelne auf sein Allgemeines hin durchsichtig zu machen vermag, so -rutscht sie bei Luhmann gleichsam zwischen die Ph„nomene, in die -"Interdependenz und (den) Abstimmungszwang unter den Folgeproblemen -st„rkerer Differenzierung" (1974, 147). Die Teilsysteme sind in der -modernen Gesellschaft per definitionem nicht Manifestationen der -Gesamtgesellschaft bzw. der konstitutiven Struktur, sie sind -Manifestationen einer Funktion und damit gerade nicht des Ganzen; daá -sie gleichwohl einem bergeordneten Zusammenhang angeh”ren, zeigt sich -nicht in ihnen selbst, sondern nur in ihrer Umwelt, in der -Mannigfaltigkeit innergesellschaftlicher System-Umwelt-Differenzen. -Von hier aus wird die eigenwillige, der Auffassung Adornos kontr„r -entgegengesetzte Deutung verst„ndlich, die Luhmann dem -traditionsreichen Begriff der Integration verleiht: - - "Mit dem šbergang von segment„rer zu schichtenm„áiger und von schichtenm„áiger zu funktionaler Prim„rdifferenzierung -des Gesellschaftssystems „ndert sich die Zugriffsform des gesamtgesellschaftlichen Systems auf die Teilsysteme; sie verlagert sich -von den Strukturen der Teilsysteme auf ihre innergesellschaftliche Umwelt. Die Gesellschaft kann bei zunehmender Komplexit„t -immer weniger garantieren, daá alle Teilsysteme unter gleichen Strukturen gleichf”rmig operieren und sich aus diesem Grunde -nicht berm„áig belasten. Integration muá vielmehr dadurch vermittelt werden, daá alle Teilsysteme freinander -innergesellschaftliche Umwelt sind. Ein Teilsystem geh”rt dann weniger dadurch der Gesellschaft an, daá es in seiner Strukturwahl -sich nach den Erfordernissen, Werten oder gar Normen richtet, die fr alle Systeme gelten, sondern dadurch, daá es sich an einer -nichtbeliebig geordneten, als Gesellschaft garantierten und vorstrukturierten Umwelt auszurichten hat" (1977, 243f.). -AAF - Gegenber diesem Ansatz sind unterschiedliche Reaktionsformen -m”glich. Man kann ihn in toto zurckweisen und von auáen her, etwa vom -Standpunkt einer dialektisch-materialistischen Konzeption, monieren, -daá Luhmann der Oberfl„che der brgerlichen Gesellschaft verhaftet -bleibt und beispielsweise auáerstande ist, den Geldfetisch zu -durchschauen (Blanke/Jrgens/Kastendiek 1975, 381ff.; Giegel 1975, -96ff.; Ganámann 1986). Das mag zutreffen, endet aber in den meisten -F„llen mit einer Rehabilitation eben jener Philosophie der Arbeit, -deren mangelnde Tragf„higkeit Luhmann wohl zu Recht herausstellt. Man -kann ferner immanent-kritisch fragen, ob Luhmann sein eigenes -"postdialektisches Forschungsprogramm" realisiert und Analysen -entwickelt, aus denen hervorgeht, wie die Gesellschaft die ihr -zugewiesene Aufgabe der Einregulierung der innergesellschaftlichen -Umwelt erfllt; wobei man dann feststellen wird, daá sich der sonst so -beredte Autor an dieser 'theoriebautechnisch' so wichtigen -Scharnierstelle in Schweigen hllt. Jedenfalls hat Luhmann -bemerkenswert wenig Energie daran gesetzt, den "Leerplatz" zu fllen, -den er schon 1970 an der Stelle einer den heutigen Verh„ltnissen -angemessenen Theorie des Gesellschaftssystems entdeckte (1974, 152). +.\\\ WRITER 6 \\\
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+SDie Entwicklungskurve der Zivilisation.
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+SProduktive Disziplin. Foucaults Theorie der
+Disziplinargesellschaft
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+SAdorno, Luhmann: Die moderne Gesellschaft zwischen
+Selbstreferenz und Selbstdestruktion
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+S'Nicht der Anfang, das Ende tr„gt die Last'.
+SFriedrich Georg Jnger und die Perfektion der Technik
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+SDer Nihilismus der Geschwindigkeit.
+SZum Werk Paul Virilios
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+STechnik und Wissenschaft als Hierophanie
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+SG”tterd„mmerung
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+SVorwort
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+S... Wir ordnens. Es zerf„llt.
+S Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.
+S Rilke, Duineser Elegien
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+SDie Gegenwart, so versichert man uns seit einiger Zeit, stehe im
+Zeichen eines groáen Verschwindens. Die Metaerz„hlungen, welche
+die Spielregeln des modernen Wissens legitimierten, l”sten sich
+auf oder verl”ren an Glaubwrdigkeit; die Diskurse ber die
+Dialektik des Geistes, die Hermeneutik des Sinns oder die
+Emanzipation der Gattung enthllten sich als Fabeln, denen keine
+Funktion mehr zukomme (Lyotard 1986, 13f.). Die Fundamente der
+neuzeitlichen Metaphysik wrden brchig, das Ende des
+Humanismus, der Subjektivit„t, ja der Moderne schlechthin
+kndige sich an (Vattimo 1990, 52f.). Das Wissen selbst sprenge
+im Zuge seiner Entfaltung die vereinheitlichenden,
+universalisierenden, totalisierenden Ambitionen, mit denen es
+seit Descartes belastet sei. Relativit„tstheorie und
+Quantenphysik bewirkten eine Grundsatzrevision, eine "Mutation
+im Kern der Neuzeit", an der der Absolutheitsanspruch der alten
+Mathesis universalis zerbreche. Aufl”sung des Ganzen, Ende der
+Einheit, Obsoletheit der Totalit„t: "Absolutheit ist nur noch
+eine Idee, ein archimedischer Punkt ist undenkbar, das Operieren
+ohne letztes Fundament wird zur Grundsituation" (Welsch 1988,
+187).
+S
+SDem Verschwinden der Totalit„t, heiát es weiter, korrespondiert
+das Erscheinen der Pluralit„t, dem 'Koma der Moderne' (Matthieu)
+die Geburt der Postmoderne. Wo der szientifische Diskurs der
+Moderne nur den Kult einer monotheistischen Vernunft kannte,
+begreift sich der Postmodernismus als Anwalt des Polytheismus,
+als "Wahrer einer vielf„ltigen Wirklichkeit gegen ihre
+technologische Eintrbung" (ebd. 221 f.); wo einst die
+Monokultur eines technologischen Zeitalters sich ausbreitete,
+blht heute eine bunte Vielfalt von Horizonten, Lebenswelten,
+Wissensformen. Die Postmoderne 'verwindet' die Metaphysik
+(Vattimo 1990, 53); sie beharrt gegenber der homogenisierenden
+Gewalt des ”konomischen Diskurses auf der "Heterogenit„t der
+Satz-Regelsysteme und Diskursarten" (Lyotard 1987, 263) und
+zeigt sich aggressiv gegen jede Totalisierung. "Krieg dem
+Ganzen, zeugen wir fr das Nicht-Darstellbare, aktivieren wir
+die Widerstreite, retten wir die Ehre des Namens" (Lyotard 1988,
+203). Auch wenn in diesem Krieg noch einige Schlachten verloren
+gehen sollten, glaubt die Postmoderne die st„rkeren Bataillone
+auf ihrer Seite zu haben. Sie will gegenber Technik und
+™konomie das umfassendere Deutungsmuster sein und nicht nur die
+Entwicklungslogik des Wissens, sondern auch die der Gesellschaft
+fr sich haben (Welsch 1988, 218, 4). Das Verschwinden des
+Ganzen sei nicht mehr aufzuhalten, die Freisetzung der Teile
+unvermeidlich. "Die Postmoderne beginnt dort, wo das Ganze
+aufh”rt" (ebd. 39).
+S
+SNun gibt es wenig Grnde, die Moderne vor der Kritik zu
+schtzen. Die meisten der gegen sie vorgetragenen Gravamina
+bestehen zu Recht. Es gibt aber auch keinen Grund, sich einem
+Feldzug anzuschlieáen, der auf einer so fragwrdigen
+Lagebeurteilung wie der soeben skizzierten beruht. Zun„chst
+einmal ist v”llig ungekl„rt, um welche Art von Pluralit„t es
+sich handelt, die den Holismus der Moderne ersetzen soll: um
+eine Pluralit„t, die aus der Gleichzeitigkeit des
+Ungleichzeitigen resultiert, also lediglich ein Ensemble noch
+nicht vermittelter Vielheit ist; um die Differenzierungsprodukte
+einer Einheit, die noch im Auáersichsein bei sich selbst ist -
+Pluralit„t … la Hegel; oder um eine materiale, irreduzible
+Pluralit„t, an der jeder Homogenisierungsversuch scheitert. Nur
+diese letztere lieáe sich aussichtsreich mobilisieren, aber auch
+nur dann, wenn sie strategische Relevanz besitzt und nicht bloá
+marginaler Natur ist. Lyotards Eingest„ndnis, das einzige
+unberwindliche Hindernis fr die hegemonialen Tendenzen des
+”konomischen Diskurses liege in der Heterogenit„t der Satz-
+Regelsysteme, deutet jedoch genau in diese Richtung. Wer der
+zerst”rerischen Gewalt der Moderne nur S„tze entgegenzusetzen
+hat, hat ihr schon nichts mehr entgegenzusetzen.
+S
+SSchlieálich sind auch die Bundesgenossen, auf die sich der
+Postmodernismus glaubt sttzen zu k”nnen, alles andere als
+vertrauenerweckend. Es mag ja sein, daá mit den Innovationen von
+Einstein, Heisenberg und G”del der Totalit„tsanspruch der alten
+Mathesis universalis unhaltbar geworden ist. Aber erstens ist
+das mechanische Weltbild durch die neuere Physik nicht einfach
+widerlegt, sondern lediglich auf den mesokosmischen Bereich
+eingeschr„nkt worden. Und zweitens kann man den Vorstoá von
+Wissenschaft und Technik in den mikro- und makrokosmischen
+Bereich kaum als Beleg fr eine "Einschr„nkung des
+Monopolanspruchs der Wissenschaft" oder als Anzeichen fr eine
+Beendigung der "Hegemonie szientifischer Orientierung" nehmen
+(Welsch 1988, 188, 222). Die Flexibilisierung der Wissenschaft
+und die Erweiterung ihres Methodenarsenals begrnden ihre
+Expansion, nicht ihre Selbstlimitation.
+S
+SWie die Postmodernisten ihre eigenen St„rke bersch„tzen, so
+untersch„tzen sie die des Gegners. Die Rede von den groáen
+Erz„hlungen suggeriert, daá Totalit„t nichts weiter sei als eine
+"Anmaáung" (Lyotard 1988a, 213), eine falsche Darstellung der
+Welt, die sich jederzeit durch eine ad„quatere korrigieren
+lieáe; der Diskurs der Moderne erscheint so als das Ergebnis
+einer immer schon "illegitimen Erhebung eines in Wirklichkeit
+Partikularen zum vermeintlich Absoluten" (Welsch 1988, 5), als
+šbergriff, dem kritizistisch mit dem Hinweis auf die begrenzten
+Kompetenzen des Denkens zu begegnen ist. So ungef„hr
+argumentierten vor Jahrzehnten schon Popper und Albert, die sich
+weit mehr dafr interessierten, den Dialektikern totalit„re
+Ambitionen nachzuweisen, als den totalisierenden Tendenzen in
+der Wirklichkeit nachzugehen. Totalit„t ist aber keine Erfindung
+herrschschtiger Intellektueller, sondern eine Realit„t, die
+sich nicht einfach wegdekretieren l„át. Sie manifestiert sich in
+der Tendenz des Kapitals, "alle Elemente der Gesellschaft sich
+unterzuordnen oder die ihm noch fehlenden Organe aus ihr heraus
+zu schaffen" (Marx 1974, 189); sie zeigt sich in der
+Universalisierung und Globalisierung der dem Kapitalverh„ltnis
+eigenen Produktions- und Zirkulationsformen; und nicht zuletzt
+in der massiven Expansion der experimentellen Wissenschaften,
+die immer tiefer in die Infrastrukturen der Materie
+intervenieren und l„ngst keine Grenzen mehr kennen. Nicht daá
+dem Postmodernismus dies v”llig entginge. Aber die forcierte,
+wie immer auch inzwischen zurckgenommene oder relativierte
+Behauptung einer Postmoderne, eines Zustands also jenseits der
+fr die Moderne typischen Totalisierung, deutet auf eine
+Verharmlosung, die nicht anders als leichtfertig bezeichnet
+werden kann. Wer fr ein 'Denken des Genusses' eintritt (Vattimo
+1990, 192), mag dies tun, er drckt damit ohnehin nur die
+herrschende Orientierung aus. Er sollte aber nicht die Illusion
+verbreiten, es handle sich um mehr als den Genuá von
+Henkersmahlzeiten. Das Ende der Moderne wird nicht der Aufgang
+der Postmoderne sein, sondern das Ende der Welt, genauer: der
+bewohnbaren Welt.
+S
+SSo jedenfalls legt es die dialektische Denkbewegung nahe, die
+das Verh„ltnis von Erscheinen und Verschwinden ganz anders faát
+als der Postmodernismus. W„hrend der letztere das Signum der
+Epoche im Verschwinden der Einheit und im Erscheinen
+vermittlungsloser Vielfalt sieht, insistiert das dialektische
+Denken seit Hegel darauf, daá die unvermittelte Vielfalt
+verschwindet und von einer absoluten, in sich differenzierten
+Einheit abgel”st wird. Die Hegelsche Logik analysiert die
+Bewegung vom scheinenden zum erscheinenden Wesen, in deren
+Verlauf die dem Wesen eigenen Bestimmungen als reale und
+selbst„ndige Vermittlungen in die Existenz treten; die
+Geschichtsphilosophie bersetzt diesen Gedanken in einen
+historischen Prozeá, dessen markanteste Stationen das Erscheinen
+des G”ttlichen in Christo und die Realisierung der Vernunft im
+modernen Staate sind. Marx „uáerte hieran berechtigte Zweifel
+und verschob die wahre Vers”hnung auf den Sozialismus. Am
+Grundgedanken hielt er nichtsdestoweniger fest. Auch fr ihn ist
+die Heterogenit„t der modernen Gesellschaft - die 'Konkurrenz' -
+nichts Neues oder Eigenst„ndiges gegenber dem Wesen, sondern
+dessen Erscheinungsform. Denn das Wesen der modernen
+Gesellschaft - das Wertgesetz - besteht gerade darin, als
+Negation seiner selbst zu erscheinen, so daá der Erscheinung der
+Schein von Selbst„ndigkeit zukommt. "Innerhalb des
+Wertverh„ltnisses und des darin einbegriffenen Wertausdrucks
+gilt das abstrakt Allgemeine nicht als Eigenschaft des
+Konkreten, Sinnlich-Wirklichen, sondern umgekehrt das Sinnlich-
+Konkrete als bloáe Erscheinungs- oder bestimmte
+Verwirklichungsform des Abstrakt-Allgemeinen (...). Diese
+Verkehrung, wodurch das Sinnlich-Konkrete nur als
+Erscheinungsform des Abstrakt-Allgemeinen, nicht das Abstrakt-
+Allgemeine umgekehrt als Eigenschaft des Konkreten gilt,
+charakterisiert den Wertausdruck" (Marx 1867, 771).
+S
+SDiese Konzeption ist festzuhalten, weil sich nur mit ihrer Hilfe
+Einsicht in die komplizierte Architektur der modernen
+Gesellschaft gewinnen l„át. Sie ist aber zugleich zu
+modifizieren, weil Marx, darin ganz Kind des 19. Jhs., die
+selbstzerst”rischen Zge der Wertvergesellschaftung
+untersch„tzte. Gewiá, Marx sah genau, daá die kapitalistische
+Produktionsweise die "Springquellen allen Reichtums untergr„bt:
+die Erde und den Arbeiter" (MEW 23, 530). Er erkannte ferner mit
+einer Klarheit wie niemand vor ihm, welches selbstnegatorische
+Potential mit dem wachsenden Widerspruch zwischen notwendiger
+und berflssiger Arbeitszeit entsteht (Marx 1974, 592ff.).
+Indes war er felsenfest davon berzeugt, daá, wenn schon nicht
+das Kapital, so doch die Menschheit imstande sein wrde, sich
+wie Mnchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Der
+Speer, der die Wunde schlug - die Wissenschaft - galt ihm als
+poena et remedium peccati. Wenn die verwissenschaftlichte
+Produktion unter kapitalistischen Bedingungen den Stoffwechsel
+zwischen Mensch und Erde st”rte, so zwang sie doch zugleich
+"durch die Zerst”rung der bloá naturwchsig entstandnen Umst„nde
+jenes Stoffwechsels, ihn systematisch als regelndes Gesetz der
+gesellschaftlichen Produktion und in einer der vollen
+menschlichen Entwicklung ad„quaten Form herzustellen" (MEW 23,
+528). Wenn sie die Arbeitsmittel in "Unterjochungsmittel,
+Exploitationsmittel und Verarmungsmittel des Arbeiters"
+verwandelte und die "gesellschaftliche Kombination der
+Arbeitsprozesse als organisierte Unterdrckung seiner
+individuellen Lebendigkeit, Freiheit und Selbst„ndigkeit"
+betrieb (ebd. 528f.), so folgte sie damit nur einer geheimen
+Logik, die das, was sie den Individuen nahm, der Gattung in
+tausendfach vergrӇerter Form zurckerstattete. Fr Marx war die
+kapitalistische Modernisierung, wie fr die meisten brgerlichen
+Denker, ein antientropischer Prozeá, der, von partiellen
+Rckf„llen abgesehen, mit Naturnotwendigkeit zu h”heren
+Ordnungen fhrte - und zwar deshalb, weil sich hinter dem Wesen
+'Kapital' noch ein weit umfassenderes Wesen befand: die
+Menschheit. Was immer die Althusser-Schule an Gegenargumenten
+gebracht hat: Marx hat, soweit er Revolutionstheoretiker sein
+wollte, den anthropologischen Diskurs niemals verlassen.
+S
+SDer anthropologische Diskurs aber macht blind. Er zwingt dazu,
+die Bewegung des Scheins als eine Scheinbewegung anzusehen und
+die mit ihr verbundenen Zerst”rungen in Fortschritte umzudeuten.
+Erst wenn Klarheit darber besteht, daá das Kapitalverh„ltnis
+nicht das Werkzeug oder der Wegbereiter eines sich in der
+Geschichte entfaltenden Absolutums - der menschlichen Gattung -
+ist, sondern selbst das Absolute, erst dann werden die Folgen
+seiner Expansion als das erkennbar, was sie sind: Momente einer
+beispiellosen Verheerung und Verwstung, die zeitlich und
+r„umlich begrenzte Ordnungsgewinne mit einer Steigerung der
+Unordnung in der Umgebung erkauft. Erst dann kann aber auch
+deutlich werden, daá dieses Absolute - die von allen
+Umweltbezgen abgel”ste 'reine Gesellschaft' - nur auf Zeit
+existiert, da es im gleichen Maáe, in dem es sich ausdehnt, die
+Bedingungen seiner Existenz zerst”rt. Wir sind schon zu tief in
+diesen Prozeá verstrickt, um an seiner Grundrichtung noch etwas
+„ndern zu k”nnen. Das Bewuátsein darber, daá die Gesellschaft
+des Erscheinens in Wahrheit eine Gesellschaft des Verschwindens
+ist, k”nnte aber vielleicht dazu beitragen, das Tempo des
+Erscheinens (und damit auch: des Verschwindens) zu verlangsamen.
+Die Transformation der Anthropologie in Entropologie, wie sie
+Claude L‚vi-Strauss schon vor langer Zeit gefordert hat, w„re
+dazu ein erster Schritt:
+S
+S"Die Welt hat ohne den Menschen begonnen und wird ohne ihn enden. Die Institutionen, die Sitten und Gebr„uche, die
+ich mein Leben lang gesammelt und zu verstehen versucht habe, sind die verg„nglichen Blten einer Sch”pfung, im
+Verh„ltnis zu der sie keinen Sinn besitzen; sie erlauben bestenfalls der Menschheit, ihre Rolle im Rahmen dieser
+Sch”pfung zu spielen. Abgesehen davon, daá diese Rolle dem Menschen keinen unabh„ngigen Platz verschafft und
+daá sein berdies zum Scheitern verurteiltes Bemhen darin besteht, sich vergeblich gegen den universalen Verfall zu
+wehren, erscheint der Mensch selbst als Maschine - vollkommener vielleicht als die brigen -, die an der Aufl”sung einer
+ursprnglichen Ordnung arbeitet und damit die organisierte Materie in einen Zustand der Tr„gheit versetzt, der eines
+Tages endgltig sein wird. Seitdem der Mensch zu atmen und sich zu erhalten begonnen hat, seit der Entdeckung des
+Feuers bis zur Erfindung der atomaren Vorrichtungen, hat er - auáer wenn er sich fortgepflanzt hat - nichts anderes getan
+als Millionen von Strukturen zerst”rt, die niemals mehr integriert werden k”nnen ... Statt Anthropologie sollte es
+Entropologie heiáen, der Name einer Disziplin, die sich damit besch„ftigt, den Prozeá der Desintegration in seinen
+h”chsten Erscheinungsformen zu untersuchen" (L‚vi-Strauss 1970, 366f.).
+S
+SDie in diesem Band gesammelten Studien suchen die M”glickeit
+einer solchen dialektischen Entropologie auszuloten. Dies
+geschieht in einem eher indirekten Verfahren, das den neuerdings
+so gern erhobenen apokalyptischen Tonfall so weit wie m”glich zu
+temperieren bemht ist - nicht aus einer Skepsis gegen den
+apokalyptischen Gedanken als solchen (fr den die Kritiker in
+diesem Buch gengend Belege finden werden), sondern aus
+Abneigung gegen die wohlfeile Instrumentalisierung, die er in
+der Regel erf„hrt. Ist von der Apokalypse die Rede, so selten
+ohne den Verweis auf die Rettung, auf den neuen positiven
+Zustand, der durch allerlei Patentrezepte herbeigefhrt werden
+soll: durch weniger Konsum und mehr Spiritualit„t, weniger
+Wachstum und mehr Kommunikation mit dem Bruder Regenwurm: vom
+Erhabenen zum L„cherlichen, man weiá es, ist nur ein Schritt.
+Die Kritische Theorie hatte gute Grnde, als sie sich weigerte,
+positiv zu werden und statt dessen darauf bestand, das Gemeinte
+nur indirekt, auf dem Wege der Kritik, zur Sprache zu bringen.
+S
+SDie Kritik ist doppelgleisig angelegt. Auf der einen Seite
+verteidigt sie die Idee einer Gesellschaft des Verschwindens
+gegenber Konzeptionen, die den Prozeá der Modernisierung
+einseitig als Zivilisierung (Elias), als Disziplinierung
+(Foucault) oder als funktionale Differenzierung (Luhmann)
+darstellen. Auf der anderen Seite greift sie verwandte
+Intentionen auf und versucht sie weiterzuentwickeln: Adornos
+Logik des Zerfalls oder Virilios These vom Nihilismus der
+Geschwindigkeit. Hierzu geh”rt auch die Erinnerung an einen zu
+Unrecht vergessenen Autor, der als einer der ersten Technik und
+Entropie in Zusammenhang gebracht hat und deshalb als der
+'eigentliche Vater der ”kologischen Bewegung' (Mohler)
+bezeichnet worden ist - Friedrich Georg Jnger. Das Zentrum, um
+das die verschiedenen Studien kreisen, erschlieát sich am
+leichtesten ber den Essay 'Technik und Wissenschaft als
+Hierophanie'.
+S
+SPA
+SDie Entwicklungskurve der Zivilisation.
+SEine Auseinandersetzung mit Norbert Elias
+S
+S
+S
+S
+S
+S
+SDaá der historische Prozeá nicht bloá aus isolierten Ereignissen
+und Bruchstcken besteht, sondern einen bergreifenden Sinn zur
+Erscheinung bringt, geh”rt zu den id‚es directrices des
+abendl„ndischen Denkens. Wurde dieser Sinn unter der
+Vorherrschaft christlicher šberzeugungen lange Zeit als
+Heilsgeschehen bestimmt, so rckte mit der Aufkl„rung der
+Begriff der 'Zivilisation' in den Vordergrund. Mit ihm wurden
+zwei verschiedene Vorstellungen zusammengebracht: zum einen der
+Gedanke einer allm„hlichen Sittenverfeinerung - l'adoucissement
+des moeurs im Sinne Mirabeaus des Žlteren; zum andern der
+Gedanke eines stufenweise sich vollziehenden geistigen und
+materiellen Fortschritts, wie er etwa in Frankreich den
+Entwrfen Raynals und Condorcets, sp„ter den Theorien Saint-
+Simons, Comtes oder Guizots zugrundelag (Moras 1930). So sah es
+auch die englische Sozialphilosophie, die, nachdem sie noch im
+18. Jh. zwischen dem Fortschritt der H”flichkeit und
+Zivilisation und demjenigen der kommerziellen Knste
+unterschieden hatte (Ferguson 1986, 366), im 19. Jh. beide
+Linien zusammenzog und den Fortschritt der Zivilisation nunmehr
+im šbergang von kriegerischen, durch Zwang integrierten
+Gesellschaften zu industriell-gewerblichen Aggregaten sah, die
+einem Zustand dauernden Friedens entgegenstrebten (Spencer 1887,
+II, 124ff., 180). Nichts illustriert die šberzeugungskraft
+dieser Vorstellung besser als die Tatsache, daá selbst ein Marx,
+der die "tiefe Heuchelei der brgerlichen Zivilisation und die
+von ihr nicht zu trennende Barbarei" brandmarkte (MEW 9, 225),
+keine Schwierigkeiten hatte, vom "great civilizing influence of
+capital" zu sprechen und als dessen Hauptmerkmal die Umwandlung
+der Produktion in ein "System der allgemeinen Ntzlichkeit"
+herauszustellen, "als dessen Tr„ger die Wissenschaft selbst so
+gut erscheint wie alle physischen und geistigen Eigenschaften"
+(MEW 42, 323).
+S
+SIm 20. Jh. ist der Chor der Skeptiker, die diese
+Selbstbeglckwnschung der Moderne nicht mehr akzeptieren, immer
+lauter geworden. Die Bedenken richten sich, wie in anderen
+Texten dieses Bandes deutlich wird, gegen die objektiven Aspekte
+des sogenannten Zivilisationsprozesses, insbesondere gegen die
+Vorstellung einer kumulativen Steigerung von Reichtum und
+Ordnung. Sie richten sich aber auch, worauf im folgenden vor
+allem der Akzent gelegt wird, auf die subjektiven Aspekte, die
+Idee des perfectionn‚ment de l'homme (Condorcet). Stand die
+Kritische Theorie noch weitgehend allein, als sie in den
+vierziger und fnfziger Jahren im Verfall der Konventionen, im
+Absterben des zeremoniellen Moments und im Niedergang von
+H”flichkeit und Takt Indizien fr den "Zerfallscharakter der
+Zivilisation" ausmachte (vgl. Adorno, GS 4, 38ff.; ders. 1956,
+87), so mehren sich heute die Stimmen, die darin nicht bloá den
+Ausdruck einer elit„ren Kulturkritik sehen. So konstatiert
+Richard Sennett eine allgemeine Tendenz zur Zunahme von
+"Unzivilisiertheit", die sich in Distanzverlust,
+Selbstbezogenheit und einer alle sozialen Beziehungen
+berwuchernden "Tyrannei der Intimit„t" manifestiere (Sennett
+1983, 299). Neil Postman spricht vom "Verfall der civilit‚" und
+einer "allgemeinen Miáachtung der fr Zusammenknfte im
+”ffentlichen Raum geltenden Regeln und Rituale" (Postman 1983,
+151). In einem anderen vieldiskutierten Buch ist gar von einer
+"sterbenden Zivilisation" die Rede, in welcher das Leben immer
+barbarischer und kriegs„hnlicher werde (Lasch 1986, 261, 47).
+Paul Virilio endlich meint: "Das fortschreitende Verschwinden
+der H”flichkeit, die selber eine gespielte Aufnahme, einen
+Ersatz der primitiven Gastfreundschaft darstellte, „uáert sich
+heute in einer virilen Form von Kontakt, die man 'Offenheit'
+nennt, und mag letzten Endes zum gewohnheitsm„áigen Austausch
+schlechter Behandlung fhren" (Virilio 1978, 37).
+S
+SOb diese Diagnosen richtig sind, wird sich sicher nur in
+sorgf„ltigen empirischen Untersuchungen erweisen lassen. Bis
+dahin aber, und vielleicht als Vorbereitung dazu, mag es
+ntzlich sein, sich mit der Exposition zu befassen, die der
+Zivilisationsbegriff in der bislang grndlichsten Studie zu
+diesem Thema erfahren hat: Norbert Elias' Buch 'šber den Prozeá
+der Zivilisation'. Ich will im folgenden zun„chst die
+wichtigsten Argumente dieses Buches skizzieren und dann einige
+Einw„nde vorstellen, die sich heute, ein halbes Jahrhundert nach
+Erscheinen der ersten Auflage, aufdr„ngen. Abschlieáend m”chte
+ich die Frage er”rtern, ob der Zivilisationsbegriff in der ihm
+von Elias verliehenen Fassung ein Konzept ist, in dem sich die
+Problemlage der modernen Gesellschaft reflektieren l„át.
+S
+S
+S
+S
+S
+S
+AABI
+S
+S
+SElias' Untersuchung beginnt mit begriffsgeschichtlichen
+Erw„gungen. Zivilisation, so der erste Befund, bedeutet im
+deutschen Sprachraum etwas anderes als in Westeuropa, namentlich
+Frankreich und England. W„hrend der Begriff dort als Bezeichnung
+fr den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und
+geistigen Fortschritt insgesamt dient, hat er im Deutschen nur
+einen eingeschr„nkten Inhalt. Zivilisation ist hier ein Wert
+zweiten Ranges, eine Qualit„t, die sich lediglich auf das
+Žuáere, die Oberfl„che des Daseins bezieht. Die Bildung des
+Inneren dagegen, der Fortschritt auf geistigem und seelischem
+Gebiet, wird mit dem Begriff 'Kultur' belegt. Was in anderen
+L„ndern des Abendlands als einheitliche und kontinuierliche
+Bewegung erscheint, zerf„llt damit in Deutschland in zwei
+unterschiedliche Dimensionen, die sich zuweilen zum
+antithetischen Gegensatz versch„rfen. Der Westen, lautet ein
+wichtiger Glaubenssatz der deutschen Ideologie bis hin zu den
+'Ideen von 1914', habe nur Zivilisation, wohingegen es die
+Deutschen bis zur Kultur gebracht h„tten.
+S
+SDaá Elias sich dafr entscheidet, die deutsche Version als
+Ausnahme zu behandeln und nicht weiter zu verfolgen, h„ngt mit
+seinen Vorstellungen ber die in der gesellschaftlichen
+Entwicklung zu bew„ltigenden Aufgaben zusammen. Diese
+Vorstellungen sind deutlich von der Soziologie des 19. Jhs.,
+insbesondere von Comte und Spencer, beeinfluát. Wie der letztere
+sieht Elias die gesellschaftliche Entwicklung als Teil einer
+allgemeinen Evolution, die neben der berorganischen noch die
+organische und unorganische Entwicklung umfaát und durch das
+Wechselspiel von Differenzierung und Integration vorangetrieben
+wird. Wie der erstere identifiziert er die
+Funktionsdifferenzierung mit der wirtschaftlichen Berufsteilung,
+die koordinierenden und integrierenden Institutionen mit dem
+Staat1. Eine Hierarchie dieser beiden Dimensionen kennt Elias
+nicht. Fr ihn handelt es sich um prinzipiell gleichrangige
+Erscheinungen, die jeweils unterschiedliche Aspekte ein und
+desselben Substrats darstellen - der Gesellschaft. Da er indes
+den Integrationsinstanzen die F„higkeit zuspricht, die
+funktionsteiligen Prozesse "bis zu einem gewissen Grade (zu)
+steuern" (1971, 47)2, verschiebt sich der Fokus seiner Theorie
+stark auf die Integrationsebene, auf die Entstehung und
+Entwicklung jener Institutionen, die ber ein besonders hohes
+Steuerungspotential verfgen - die politischen Zentralorgane
+bzw., wie Elias mit Weber formuliert: die Monopolorganisationen
+physischer Gewaltsamkeit.
+S
+SIn dieser Vorentscheidung auf analytischer Ebene liegt die
+Wurzel der regulativen Idee von Elias' Zivilisationstheorie, der
+"Vermutung..., daá der Aufbau des 'zivilisierten' Verhaltens
+aufs engste mit der Organisierung der abendl„ndischen
+Gesellschaften in der Form von 'Staaten' zusammenh„ngt (I,
+LXXVI). Je fortgeschrittener in einem bestimmten Gebiet die
+Staatsbildung, desto fortgeschrittener auch der Prozeá der
+Zivilisation; je unentwickelter andererseits die
+Zentralisierung, desto unentwickelter die Sitten, desto
+unvollendeter "jene Nivellierung und Angleichung der
+gesellschaftlichen Standarde (...), die fr diesen ganzen
+Zivilisationsprozeá charakteristisch ist" (II, 433).
+ Deutschland, das seit dem sp„ten Mittelalter keinen Fortschritt
+im Ausbau seiner zentralstaatlichen Institutionen mehr erlebte,
+ist aus diesem Grund fr die Untersuchung des
+Zivilisationsprozesses weniger geeignet als etwa Frankreich, in
+dem diese Institutionen eine kontinuierliche Verst„rkung
+erfuhren3.
+S
+SDen Ausbau des Zentralstaates in Frankreich unterteilt Elias in
+drei Etappen. Die erste Etappe f„llt zusammen mit der Bildung
+ritterlicher H”fe zu Beginn des Hochmittelalters, welche die bis
+dahin in der weltlichen Herrenschicht dominierende Integration
+qua Kampf durch eine friedlichere und best„ndigere Integration
+ersetzen. Auf diese 'ritterlich-h”fische' Ordnung folgt im 16.
+Jh. die zweite Etappe, die 'h”fisch-absolutistische
+Gesellschaft', die wohl im sozialen Aufbau noch an die
+st„ndische Gliederung des Mittelalters anknpft, auf politischer
+Ebene aber insofern eine Žnderung herbeifhrt, als sie die
+physische Gewalt in einer Monopolinstanz konzentriert. Die alte
+Kriegerelite wird nunmehr entmilitarisiert und in einen Hofadel
+verwandelt, was wiederum auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene
+die Bildung l„ngerer und komplexerer Interdependenzketten
+erm”glicht. Die funktionale Differenzierung beschleunigt sich
+und l„át neue, auf Beruf und produktiver Leistung beruhende
+Eliten entstehen, die ihrerseits nach Partizipation an den
+Entscheidungen des obersten Koordinations- und
+Regulierungsorgans streben.
+S
+SAus dieser Entwicklung geht - nach der Zwischenstufe einer
+'erweiterten h”fischen Gesellschaft', in der h”fisch-
+aristokratische und h”fisch-brgerliche Kreise miteinander
+verkehren - das dritte und bisher letzte Stadium hervor: der
+brgerliche Nationalstaat. In ihm erreichen die Funktionsteilung
+und die allgemeine Interdependenz eine bis dahin unvorstellbare
+Dichte. Zugleich ist die Vernetzung soweit vorangeschritten, daá
+die private Monopolisierung der mit der Zentralposition
+verbundenen Chancen nicht l„nger perpetuierbar ist. Das
+Privatmonopol einzelner, schreibt Elias, vergesellschaftet sich
+und wird "zu einer Funktion des interdependenten
+Menschengeflechts als eines Ganzen", zu einem "”ffentlichen"
+Monopol (II, 157). Darber hinaus zeichnen sich bereits Ans„tze
+zu einer vierten, endgltig letzten Phase der Gesamtentwicklung
+ab:
+S
+S"Man sieht die ersten Umrisse eines erdumfassenden Spannungssystems von
+Staatenbnden, von berstaatlichen Einheiten verschiedener Art, Vorspiele von
+Ausscheidungs- und Vormachtk„mpfen ber die ganze Erde hin, Voraussetzung fr
+die Bildung eines irdischen Gewaltmonopols, eines politischen
+Zentralinstituts der Erde und damit auch fr deren Pazifizierung" (II, 452).
+S
+SDen hier nur knapp skizzierten Stadien der Zentralisierung
+ordnet Elias nun verschiedene Verhaltensmodelle oder -schemata
+zu, die gleichsam den subjektiven Niederschlag dieses Prozesses
+verk”rpern. Der polyzentrischen Struktur des Mittelalters
+entspricht das Schema der courtoisie, das sich an den groáen
+ritterlichen Feudalh”fen bildet (I, 79, 136; II, 96ff., 109ff.,
+354ff.). Seine Merkmale sind: eine gewisse M„áigung der Affekte,
+eine, freilich noch sehr begrenzte, Aufwertung derjenigen, die
+nicht ber Gewaltmittel verfgen (vor allem der Frauen), die
+Ausbildung h”fischer Manieren, die das gesellige Verhalten bei
+Tisch, beim Spiel oder im Turnier regeln, die Orientierung an
+ritterlichen Tugenden, wie sie vor allem von der Kirche (miles
+christianus-Ideal), aber auch von der weltlichen Dichtung
+propagiert werden (Artusepik)4.
+S
+SW„hrend dieses Schema den Individuen jedoch noch „uáerlich
+bleibt und auáerhalb des Interaktionszentrums 'Hof' rasch seine
+Wirkung verliert, verdichtet sich die soziale Kontrolle mit dem
+šbergang zu einer monozentrischen, auf dem Gewaltmonopol
+beruhenden Konfiguration. Anstelle der bloá intermittierenden,
+nur einen kleinen Teil der ritterlichen Existenz erfassenden
+courtoisie tritt jetzt ein neues Schema der Affektregulierung,
+das Elias im Anschluá an die Manierenschriften von Erasmus,
+della Casa, La Salle u.a. als civilit‚ bezeichnet (I, 65ff.,
+89f., 136f.). Der durch die politische, soziale und
+wirtschaftliche Entwicklung in seiner Herrschaftsposition
+erschtterte Adel versucht in dieser Phase, seinen Platz an der
+Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie durch einen verst„rkten
+Einsatz von Distinktionsstrategien zu behaupten. Ein strenger
+Verhaltenscode entsteht, der mehr und mehr den gesamten Habitus
+umfaát. Die h”fische Interaktion, vor allem das Essen und die
+Konversation, wird stark ritualisiert, wie Elias anschaulich an
+der Geschichte des Messer- und Gabelrituals demonstriert. Die
+Kleidung wird bewuát als Unterscheidungs- und Prestigemittel
+eingesetzt, ebenso die Gestik und der sprachliche Ausdruck.
+Fragen des guten Benehmens und des richtigen Geschmacks werden
+zu Fragen, die ber den Platz in der Rangordnung entscheiden
+k”nnen; Takt, Delikatesse und Stil zu Formen, von denen das
+soziale šberleben abh„ngen kann. Selbst- und Fremdbeobachtung
+erreichen eine bis dahin unbekannte Intensit„t, die
+psychologische Kriegfhrung wird zur unentbehrlichen Waffe in
+der Prestigekonkurrenz.
+S
+SAuch dieses neue, im Vergleich zur courtoisie ungleich strengere Schema der Affektmodellierung ist jedoch nach Elias in
+der Psychostruktur noch nicht sehr fest verankert. Die Tabus und Rituale des h”fischen Lebens treten dem einzelnen wohl
+als klar umrissene Imperative entgegen, die ihn zu einer permanenten šberwachung seiner Affekte und Triebregungen
+veranlassen. Diese aber erfolgt haupts„chlich ber eine bewuáte Selbststeuerung, psychoanalytisch gesprochen ber
+Ich-Leistungen (Vowinckel 1983, 196). Der Hofmann muá, wie bei Castiglione nachzulesen, seine unterschiedlichen
+F„higkeiten so ausbalancieren, daá er zu einer Art vollkommenen Gesamtkunstwerks wird; er muá, wie bei Gracian,
+seine Leidenschaften bewuát domestizieren, jedoch nicht, um sie abzut”ten, sondern um sie im geeignetsten Moment
+zu befriedigen (ebd. 95). Die soziale Kontrolle vollzieht sich deshalb noch prim„r ber die Vermittlung des Ichs, das sich
+den Zw„ngen der sozialen Umwelt anpaát, aber keineswegs v”llig ausliefert. Sie bleibt dem einzelnen „uáerlich, wirkt
+"noch nicht als automatisch funktionierender Selbstzwang, als Gewohnheit, die bis zu gewissen Grenzen auch
+funktioniert, wenn der Mensch allein ist; sondern man legt sich hier zun„chst immer jemandem andern gegenber, also
+bewuáter aus gesellschaftlichen Grnden, Triebverzicht und Zurckhaltung auf. Und die Art der Zurckhaltung, wie ihr
+Maá entsprechen hier der sozialen Stellung dessen oder derer, denen gegenber er sie sich auferlegt" (I, 186). Im
+Stadium der civilit‚ ist die gesellschaftliche Verflechtung schon so stark, um die einzelnen zur Anpassung zu zwingen,
+aber noch nicht stark genug, um die Einzelheit als solche zu negieren und in einen 'Verkehrsknotenpunkt des
+Allgemeinen' (Horkheimer/Adorno) zu verwandeln.
+S
+SWesentlich weiter in dieser Richtung geht das Schema der
+civilisation, das in der zweiten H„lfte des 18. Jhs. die
+civilit‚ abl”st (I, 47ff.). Getragen von den Reformgruppen des
+Ancien R‚gime - dem Beamtentum und den Spitzen des Brgertums -
+zielt dieses Schema auf eine Universalisierung und
+Stabilisierung der mit der civilit‚ bereits erreichten
+Sittenverfeinerung und Rationalit„t. Die Universalisierung
+impliziert die Ausdehnung der Vernunft auf die Gesetze und
+Institutionen des Landes sowie auf die Sitten der gesamten
+Nation. Elias spricht von einer Einschmelzung von
+Verhaltensweisen der funktional oberen Schichten in das der
+aufsteigenden unteren und rckt diesen Vorgang in die N„he von
+Kolonisationsprozessen. So wie im 19. Jh. die abendl„ndischen
+Nationen die auáereurop„ische Welt unterworfen und okzidentalen
+Denk- und Verhaltensmustern assimiliert h„tten, seien zuvor im
+Abendland selbst die Unter- und Mittelschichten den Standards
+der Oberschichten unterworfen und assimiliert worden (II, 341,
+346, 350, 420f.)
+S
+SDie Stabilisierung impliziert die Verfestigung der zivilisierten
+Verhaltensformen zu einem 'Panzer', der die ganze Pers”nlichkeit
+und jede ihrer Žuáerungen umschlieát (I, 332). Dies wird durch
+eine bereits in der frhesten Kindheit einsetzende
+Konditionierung erreicht, die darauf hinarbeitet, daá sich im
+einzelnen "gleichsam als eine Relaisstation der
+gesellschaftlichen Standarde, eine automatische
+Selbstberwachung der Triebe im Sinne der jeweiligen
+gesellschaftsblichen Schemata und Modelle, eine 'Vernunft', ein
+differenziertes und stabileres 'šber-Ich' herausbildet, und daá
+ein Teil der zurckgehaltenen Triebregungen und Neigungen ihm
+berhaupt nicht mehr unmittelbar zum Bewuátsein kommt" (II,
+329). In diesem Sinne erfllt das šber-Ich in der brgerlichen
+Gesellschaft die Steuerungsfunktionen, die in der h”fischen
+Gesellschaft noch dem Ich vorbehalten waren.
+S
+SElias bersieht nicht die Unterschiede zwischen diesen beiden
+Formen der Steuerung. Im Rahmen seiner Konstruktion eines
+kontinuierlich verlaufenden Zivilisationsprozesses interpretiert
+er ihre Abfolge jedoch prim„r als eine Steigerung der sozialen
+und psychischen Integration durch Tieferlegung der
+Kontrollmechanismen. Jene Zw„nge, die im Schema der courtoisie
+und der civilit‚ vielfach nur als „uáere Schranke, als
+Fremdzwang wirkten, werden jetzt verinnerlicht, mit der
+Perspektive, daá dadurch der Fremdzwang zunehmend entbehrlich
+wird und irgendwann einmal ganz verschwinden kann (1983, 123f.).
+Wie diese, freilich erst nach Vollendung der Pazifizierung auf
+Weltebene denkbare, neue Form der Selbststeuerung beschaffen
+sein k”nnte, verr„t Elias nicht. Daá die Entwicklung in diese
+Richtung geht, erscheint ihm aber als ebenso ausgemacht wie die
+Tendenz zur šberwindung des brgerlichen Nationalstaates (1987,
+224f.). Sind einmal die zwischenstaatlichen Spannungen
+beseitigt, so die an Kants Vision vom 'Ewigen Frieden'
+erinnernde Schluápassage des Zivilisationsbuches, kann sich die
+Regelung der sozialen Beziehungen auf das rein sachlich
+Notwendige beschr„nken, und k”nnen sich die Spannungen und
+Widersprche auch in den Menschen selbst mildern. Dann erst
+braucht es nicht mehr die Ausnahme, sondern
+S
+S"kann es die Regel sein, daá der einzelne Mensch jenes optimale Gleichgewicht seiner Seele findet, das wir so oft mit
+groáen Worten, wie 'Glck' und 'Freiheit' beschw”ren: ein dauerhaftes Gleichgewicht oder gar den Einklang zwischen
+seinen gesellschaftlichen Aufgaben, zwischen den gesamten Anforderungen seiner sozialen Existenz auf der einen Seite
+und seinen pers”nlichen Neigungen und Bedrfnissen auf der anderen" (II, 454. Hervorh. i.O. gestr.).
+S
+SDie groáe Linie ist damit klar. Zivilisation ist fr Elias ein
+Prozeá, in dessen Verlauf sich immer strengere Schemata der
+Selbstkontrolle herausbilden und sowohl immer weitere
+Bev”lkerungskreise ergreifen als auch psychostrukturell immer
+tiefer gelagert werden. Dieser Prozeá ist die subjektive Seite
+eines gesamtgesellschaftlichen Differenzierungs- und
+Integrationsvorgangs, der zu einer immer perfekteren Kontrolle
+der Gesellschaft ber die Naturbedingungen ihres šberlebens wie
+ber die Bedingungen des sozialen Zusammenlebens fhrt5. Elias
+verschweigt nicht den Preis, den die Individuen dafr zahlen
+mssen: die permanente Konditionierung, die Verdr„ngung und
+An„sthesierung von Triebregungen, den Aufbau von inneren
+Žngsten, die Wahrscheinlichkeit der neurotischen Erkrankung.
+Insgesamt sieht er aber diese Kosten mehr als aufgewogen durch
+die Distanzierungs- und Steuerungsgewinne, die dem einzelnen
+sowohl als der Gesellschaft in diesem Prozeá zuwachsen. Etwas
+vereinfacht l„át sich dieser Prozeá in dem folgenden Schema
+darstellen:
+S
+S
+SÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ
+S
+AABSoziogenese Ritterlich H”fisch- Brgerlich ' Welt'-
+ h”fische absolu- indu- gesell-
+ Gesell- tistische strielle schaft
+ schaft Gesell- Gesell-
+ schaft schaft
+
+ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ
+
+Steuerungs- Feudalhof Absoluti- National- Weltstaat
+Zentrum stischer Staat
+ Staat
+ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ
+
+Verhaltens- courtoisie civilit‚ civilisa- Weltzivi-
+Code tion lisation
+ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ
+
+Psychogenese Es/Ich Ich-Domi- šber-Ich- Gleichge-
+ (undiffe- nanz Dominanz wicht von
+ ziert) Ich, Es,
+ šber-Ich
+ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ
+
+PA
+II
+S
+S
+AAF 1. Auch der voreingenommene Betrachter wird zugestehen, daá Elias'
+Rekonstruktion des Zivilisationsprozesses groáe St„rken hat. Der
+figurationssoziologische Ansatz tr„gt politischen, ”konomischen und
+psychologischen Faktoren gleichermaáen Rechnung und gelangt damit zu
+einem breit angelegten Panorama der zivilisatorischen Entwicklung. Die
+konstitutive Rolle der H”fe in der ritterlich-feudalen und
+absolutistischen Gesellschaft wird einleuchtend begrndet, die Bildung
+von Gewalt- und Abgabenmonopolen schlssig nachgezeichnet; lediglich
+die Rolle der Religion wird zu wenig beachtet, was m”glicherweise bei
+vergleichenden Untersuchungen ein Nachteil sein k”nnte. Zu den
+Glanzstcken des Buches geh”rt die Herausarbeitung des Parallelismus
+von Soziogenese und Psychogenese, mit der gleichsam eine Brcke
+zwischen der Herrschaftssoziologie Webers, der Differenzierungstheorie
+in der Tradition Durkheims und Spencers und der Freudschen
+Psychoanalyse geschlagen wird.
+
+ Dennoch dr„ngen sich bei einer genaueren Betrachtung drei Einw„nde
+auf, die zwar aus unterschiedlichen theoretischen Zusammenh„ngen
+stammen, gleichwohl miteinander kompatibel sind6.
+
+ Der erste Einwand ergibt sich aus der dialektischen Theorie und
+richtet sich gegen den soziogenetischen Strang der
+Zivilisationstheorie. Elias, so erscheint es aus dieser Sicht, hat nur
+eine unzureichende Vorstellung von den Integrationsproblemen, die mit
+einem bestimmten Grad der Funktionsdifferenzierung auftreten. Seine
+These, daá die Entwicklung zur modernen Gesellschaft von einer immer
+"strafferen Regulierung und šberwachung des gesamten
+gesellschaftlichen Verkehrs von stabilen Zentralen" aus begleitet sei
+(II, 227), bersieht, daá ein durch kapitalistische Warenproduktion
+bestimmtes System nicht direkt durch die Vorgaben eines planenden
+Zentrums, sondern nur indirekt durch die Vermittlung des Marktes
+gesteuert wird. Das, was ihre Arbeiten gesellschaftlich gelten,
+erfahren die - individuellen oder korporativen - Produzenten immer nur
+post festum, in der Best„tigung ihrer Produkte als Wertgr”áen, die
+erst nach Abschluá der Produktion, im Austausch, m”glich ist. Hier
+jedoch gilt,
+
+ "daá die unabh„ngig voneinander betriebenen, aber als naturwchsige Glieder der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit
+allseitig voneinander abh„ngigen Privatarbeiten fortw„hrend auf ihr gesellschaftlich proportionelles Maá reduziert werden, weil
+sich in den zuf„lligen und stets schwankenden Austauschverh„ltnissen ihrer Produkte die zu deren Produktion gesellschaftlich
+notwendige Arbeitszeit als regelndes Naturgesetz gewaltsam durchsetzt, wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus
+ber dem Kopf zusammenpurzelt" (Marx, MEW 23, 89).
+AAF
+ Unter diesen Umst„nden ist es eine sehr verkrzte
+Betrachtungsweise, wenn man, wie Elias, Unberechenbarkeit und Willkr
+prim„r in der physischen Gewaltsamkeit lokalisiert und aus der
+unbestreitbaren Tatsache ihrer Kasernierung im modernen Staat auf eine
+Zunahme der gesamtgesellschaftlichen Stabilit„t und Kalkulierbarkeit
+schlieát. Auch und gerade nach der Bildung von Gewaltmonopolen auf dem
+Territorium einzelner 'Staatsgesellschaften' bleibt mit dem nationalen
+Binnenmarkt und dem Weltmarkt eine Dimension des Zufalls und der
+Anarchie, die sich individuellen Handlungskalklen grunds„tzlich
+entzieht. Und obschon dies keineswegs bedeutet, daá es die brgerlich-
+industrielle Gesellschaft nicht zu Einheit und Integration zu bringen
+vermag, heiát es doch immerhin, daá sich diese Einheit und Integration
+"nur a posteriori als innre, stumme, im Barometerwechsel der
+Marktpreise wahrnehmbare, die regellose Willkr der Warenproduzenten
+berw„ltigende Naturnotwendigkeit" durchsetzt. Elias hat recht, wenn
+er darauf hinweist, daá die Kasernierung der politischen Gewalt einen
+wichtigen Schritt zur šberwindung des Naturzustands darstellt. Er
+vergiát jedoch hinzuzufgen, daá sich dieser Naturzustand unter
+brgerlichen Produktionsbedingungen in anderer Form wiederherstellt:
+gew„hrleistet doch die Konkurrenz die Existenz der Individuen nur auf
+die Weise, "wie auch im Tierreich das bellum omnium contra omnes die
+Existenzbedingungen aller Arten mehr oder minder erh„lt" (ebd. 377).
+
+ Diese šberlegung zwingt dazu, einen der Eckpfeiler von Elias'
+Konstruktion zu problematisieren: die Idee eines Kontinuums der
+Vergesellschaftung, das sich von der ritterlich-h”fischen ber die
+h”fisch-absolutistische bis hin zur brgerlich-industriellen
+Gesellschaft erstreckt. Wohl l„át sich die Entwicklung von den
+feudalen Minneh”fen zu den Residenzen des Barockzeitalters unter dem
+Blickwinkel einer Verdichtung und Intensivierung h”fischen Lebens
+begreifen, und kann die Ausbildung einer 'guten Gesellschaft' verfolgt
+werden, deren Ausl„ufer bis in die brgerlichen Salons des 19. Jhs.
+reichen. Diese Art der sozialen Verknpfung, die im wesentlichen auf
+Interaktion, d.h. auf Kommunikation unter Anwesenden beruht, muá indes
+strikt von dem Vergesellschaftungsmodus getrennt werden, der fr eine
+entfaltete Marktgesellschaft typisch ist. Vergesellschaftung ber den
+Markt ist eine paradoxe Form von Vergesellschaftung. Sie erzeugt auf
+der einen Seite, wie Elias richtig gesehen hat, ein hochkomplexes
+System von Interdependenzen, in dem die Individuen so stark vernetzt
+sind wie niemals zuvor in der Geschichte. Auf der anderen Seite aber
+treibt sie durch die Forcierung der Konkurrenz und durch die
+Universalisierung der brgerlichen Rechtsprinzipien den
+Vereinzelungsprozeá in einer historisch ebenfalls beispiellosen Weise
+voran. Markt, das kann man nicht nachdrcklich genug hervorheben,
+aggregiert nicht nur, er disaggregiert auch; schafft nicht nur neue
+Verflechtungen, sondern negiert immer auch die Verflechtungen, die er
+selbst erzeugt hat.
+
+ Das l„át sich bereits am Schicksal der kleinsten sozialen Einheit
+zeigen, in der Elias mit Recht das Konditionierungsinstrument der
+brgerlichen Gesellschaft par excellence sieht: der Kleinfamilie.
+Selbst ein Produkt des modernen Differenzierungsprozesses, in dessen
+Verlauf die produktive Lohnarbeit vorrangig den m„nnlichen
+Erwachsenen, die nichtproduktive Subsistenzarbeit einschlieálich der
+Kindererziehung dagegen den Frauen zugewiesen wurde, befindet sich
+dieser Familientypus heute durch die rechtliche und zunehmend auch
+faktische Gleichstellung der Frauen in einer fortschreitenden Erosion.
+Die Individuen werden aus den bis dahin gltigen, quasist„ndischen
+Vorgaben des Geschlechts herausgel”st und gezwungen, sich selbst zum
+Zentrum ihres eigenen Lebens zu machen. Die fr die Moderne typische
+Temporalisierung erfaát auch die Ehe und unterwirft sie den Rhythmen
+der 'seriellen Monogamie' (Shorter). Die Familie wird zur
+'Verhandlungsfamilie auf Zeit' (Beck), deren Mitglieder einen
+st„ndigen Kampf um den Ausgleich zwischen beruflichen und emotionalen
+Interessen ausfechten mssen. Die Fragmentierung und Atomisierung
+ergreift damit unwiderruflich auch jenen Bereich, der noch dem frhen,
+puritanischen Brgertum als ein so sicheres Fundament gegolten hatte,
+daá es von ihm her die gesamte Gesellschaft erneuern zu k”nnen
+geglaubt hatte.
+
+ "In dem zu Ende gedachten Marktmodell der Moderne wird die familien- und ehelose Gesellschaft unterstellt. Jeder muá
+selbst„ndig, frei fr die Erfordernisse des Marktes sein, um seine ”konomische Existenz zu sichern. Das Marktsubjekt ist in letzter
+Konsequenz das alleinstehende, nicht partnerschafts-, ehe- oder familien'behinderte' Individuum. Entsprechend ist die
+durchgesetzte Marktgesellschaft auch eine kinderlose Gesellschaft - es sei denn, die Kinder wachsen bei mobilen,
+alleinerziehenden V„tern und Mttern auf" (Beck 1986, 191).
+AAF
+ Man muá nur einen Blick auf die Geburtenrate in der Bundesrepublik
+werfen, um sich vom Realit„tsgehalt dieser šberlegungen zu berzeugen.
+
+ Žhnliche Dekompositionserscheinungen zeigen sich auch an
+komplexeren sozialen Aggregaten, die einmal die Struktur der
+brgerlichen Industriegesellschaft pr„gten. Insbesondere der
+Klassenbegriff, der sich noch im 19. Jh. brgerlichen und
+sozialistischen Theoretikern gleichermaáen aufdr„ngte, hat in den
+fortgeschrittenen kapitalistischen L„ndern seine Bedeutung fr die
+Bildung kollektiver Identit„ten fast v”llig verloren. "Der
+unermeáliche Druck der Herrschaft", so hat Adorno dies bereits vor
+mehr als vierzig Jahren formuliert, "hat die Massen so dissoziiert,
+daá noch die negative Einheit des Unterdrcktseins zerrissen wird, die
+im neunzehnten Jahrhundert sie zur Klasse macht" (Adorno, GS 8,377).
+Nicht daá der Gegenstand des Begriffs - die objektive Bndelung von
+Ungleichverteilungen - damit verschwunden w„re: soziale Ungleichheiten
+haben nicht ab-, sondern zugenommen. Aber die Aufl”sung
+klassenspezifischer Lebensformen durch die Erh”hung des
+gesamtgesellschaftlichen Konsumniveaus, der Rckgang des
+Besch„ftigtenanteils im industriellen Sektor, der - in den USA
+besonders drastische - Bedeutungsverlust der Gewerkschaften, die
+allgemeine Schrumpfung der 'Erwerbsarbeitsgesellschaft' (Beck) in den
+hochindustrialisierten L„ndern, die Bew„ltigung der
+Massenarbeitslosigkeit in Form von Unterbesch„ftigung und
+lebensphasenspezifischer Verteilung der knapper gewordenen Lohnarbeit
+- dies alles hat zu einer Erosion der im Klassenbegriff immer
+mitgedachten kollektiven Identit„t gefhrt, durch welche die
+Individuen in zunehmendem Maáe auf sich selbst zurckgeworfen werden.
+Soziale Klassen, urteilt Luhmann zutreffend, sind heute Schichten,
+"die darauf verzichten mssen, Interaktion zu regulieren" (Luhmann
+1985c, 131; zur Diskussion ber den Klassenbegriff vgl. auch Ritsert
+1987).
+
+ Vielleicht muá man noch einen Schritt weitergehen und von einer
+Erosion der fr die soziale Identit„tsbildung konstitutiven Sph„re der
+™ffentlichkeit schlechthin sprechen. Fr Elias steht eine derartige
+M”glichkeit ganz auáer Betracht, obwohl der Verfall der aus dem 19.
+Jh. berkommenen Formen von ™ffentlichkeit zu den Kardinalthemen der
+Weimarer Republik geh”rte (Schmitt 1979a): der die Bildung von
+Gewaltmonopolen begleitende Prozeá der sozialen Verflechtung macht es
+der Zivilisationstheorie zufolge an einem bestimmten Punkt der
+Entwicklung unausweichlich, die privaten Verfgungschancen ber die
+politischen und wirtschaftlichen Apparate aufzuheben und die
+Privatmononopole in ”ffentliche Monopole umzuwandeln (II, 148ff.,
+438ff.). Aus heutiger Sicht ist die Moderne jedoch nicht nur durch
+eine Erweiterung des ™ffentlichen auf Kosten des Privaten
+gekennzeichnet, sondern ebenso durch eine Privatisierung des
+™ffentlichen, durch die wesentliche Merkmale von ™ffentlichkeit
+zerst”rt werden. Dies gilt, worauf schon Habermas hingewiesen hat, fr
+den Aufstieg der Verb„nde und der Massenmedien, die die kritische
+Publizit„t durch eine manipulativ erzeugte verdr„ngen (Habermas 1968).
+Es gilt aber auch in dem umfassenderen Sinne einer šberlagerung und
+Modifizierung spezifisch ”ffentlicher Denk- und Verhaltensmodelle
+durch die private Vorstellungswelt, wie sie Richard Sennett in seinem
+Buch ber das Verschwinden des Public Man darstellt. Die moderne
+Gesellschaft erscheint danach nicht als eine zivilisierte, durch
+Selbstdistanz und rationale Interessenverfolgung bestimmte Vereinigung
+von Menschen, sondern im Gegenteil als ein Ensemble 'destruktiver
+Gemeinschaften', in denen manche sogar eine Wiederkehr der
+Stammesverb„nde zu entdecken glauben7.In der 'intimen Gesellschaft'
+der Gegenwart, so Sennett, haben die Menschen die F„higkeit verloren,
+”ffentlich, d.h. unter Absehung von ihrer je besonderen Person, zu
+handeln. Die soziale Interaktion schrumpft zu einem bloáen Medium des
+Selbstausdrucks und der Selbstvergewisserung, die Aktivit„t zu einer
+nicht endenden Suche nach narziátischen Gratifikationen, die sich
+nicht zuletzt im Streben nach Identifikation mit grandiosen
+'Kollektivpers”nlichkeiten' realisiert (Sennett 1983, 251ff.). Auch
+wenn Sennetts Ursachenerforschung mit dem Hinweis auf Erscheinungen
+wie S„kularismus und Symbolismus etwas blaá ausf„llt und in ihren
+historischen Partien nicht durchweg zu berzeugen vermag, sollte die
+Erfahrung mit den Massenbewegungen dieses Jahrhunderts Anlaá genug
+sein, seine Hypothesen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen8.
+
+ Die Entwicklung der modernen Gesellschaft, dies kann als Resmee
+des 'dialektischen' Einwands gegen die Zivilisationstheorie
+festgehalten werden, l„át sich nicht einfach unter dem Gesichtspunkt
+einer st„ndigen Ausdehnung der sozialen Verflechtung begreifen, die
+Konkurrenz nicht bloá als Medium, das die Bildung immer umfassenderer
+und h”herstufiger Aggregate vorantreibt. Vielmehr ist auch das
+Gegenteil zu beobachten. Soziale Verknpfungen, die mit der
+brgerlichen Gesellschaft entstanden sind, werden dekomponiert,
+Solidarit„tsbeziehungen ausgednnt oder ganz gesprengt.
+Marktvergesellschaftung bedeutet Steigerung der Interdependenz und
+Atomisierung des Sozialen, Vernetzung und Negation aller Bindungen -
+asoziale Sozialit„t. Sie forciert die Differenzierung und zerst”rt
+doch zugleich durch die universale Vergleichbarkeit aller Arbeiten im
+Tauschwert die Bedingungen der M”glichkeit von Differenz. Sie erzwingt
+eine immer dichter werdende Integration der Gesellschaft und
+verhindert doch, daá daraus ein gesellschaftliches Subjekt entsteht.
+Die Integration vollzieht sich hinter dem Rcken der handelnden
+Individuen und macht sich in einer Form geltend, die unmittelbar
+betrachtet als das Gegenteil aller Integration erscheint. Durch ihre
+einseitige Fixierung auf Synthese, die Regressionen zwar nicht
+ausschlieát, aber eher als zufalls- denn als systemgeneriert versteht
+(1987, 184), verstellt sich die Zivilisationstheorie die Einsicht in
+den Umstand, daá die Logik der Vergesellschaftung auch eine 'Logik des
+Zerfalls' (Adorno) ist. Sie f„llt damit noch hinter den
+Reflexionsstand der „lteren Soziologie von Comte bis Durkheim zurck,
+der bei allem Vertrauen in die Integrationskraft des Staates oder die
+solidarit„tsstiftenden Wirkungen der Arbeitsteilung die negative Seite
+der funktionalen Differenzierung nie ganz aus dem Blickfeld geriet.
+Bedenkt man, daá 'šber den Prozeá der Zivilisation' in unmittelbarer
+Zeitgenossenschaft mit der grӇten Krise der modernen
+Weltwirtschaftsordnung entstand, kann man sich ber diesen
+Reflexionsverlust nicht genug wundern.
+
+
+
+ 2. Diese Kritik wird durch den zweiten Einwand erh„rtet, der sich
+aus dem Gang der psychoanalytischen Theoriebildung ableiten l„át. Die
+Integration Freudscher Begriffe, insbesondere des Strukturmodells des
+psychischen Apparats, geh”rt zweifellos zu den starken Seiten der
+Zivilisationstheorie, erm”glicht sie es doch Elias, auf
+psychogenetischer Ebene die Unterschiede zwischen brgerlichen und
+vorbrgerlichen Formen weitaus genauer zu erfassen, als es ihm auf
+soziogenetischer Ebene gelingt. So arbeitet Elias pr„zise den Wechsel
+in der Konditionierungsinstanz heraus - den šbergang von der
+”ffentlich-h”fischen zur privat-familialen Form der
+Affektmodellierung. So erkennt er richtig den Wechsel in der
+Konditionierungsmethode - die Umwandlung von Fremdzwang in Selbstzwang
+via Verinnerlichung und Identifikation. Und so vermag er schlieálich
+auch deutlich zu machen, zu welch neuartigem Ergebnis diese
+Ver„nderungen fhren: einem Sozialcharakter, der durch eine bisher
+nicht dagewesene Differenzierung zwischen Ich- und šber-Ich-Funktionen
+auf der einen und Triebfunktionen auf der anderen Seite gekennzeichnet
+ist (vgl. II, 390f.; 1987, 85).
+
+ Diese Einsichten fhren Elias jedoch nicht zu einer Revision
+seiner These vom zivilisatorischen Kontinuum. Im Gegenteil. Wie der
+brgerliche Nationalstaat ihm nur als Steigerungsform der mit dem
+Absolutismus bereits erreichten Zentralisierung gilt, so erscheint ihm
+auch das brgerliche Schema der Affektregulierung letztlich nur als
+Fortfhrung und Verdichtung des h”fischen Schemas, was nicht nur in
+expliziten Formulierungen, sondern weit mehr noch stilistisch in der
+h„ufigen Verwendung des Komparativs seinen Ausdruck findet: so etwa,
+wenn Elias vom "šbergang zu einem 'rationaleren' Verhalten und Denken,
+ebenso wie (dem) zu einer st„rkeren Selbstkontrolle" spricht (II,
+394), wenn er den "Zwang zu einer differenzierteren
+Selbstdisziplinierung, zu einer festeren šber-Ich-Bildung" heraushebt
+(II, 351), die Ausbildung einer "stabilere(n), zum guten Teil
+automatisch arbeitende(n) Selbstkontrollapparatur" vermerkt (II, 320)
+oder die Durchsetzung eines "affektneutraleren" Gesamtverhaltens
+behauptet (II, 373f.). Gewiá: der brgerliche Sozialcharakter ist
+anders als der aristokratische. Aber fr Elias ist er dies vor allem
+im Sinne eines Mehr an Kontroll- und Steuerungskapazit„ten, welche im
+aristokratischen Charakter in nuce bereits angelegt waren. Und er
+besitzt dieses Mehr haupts„chlich deshalb, weil die brgerliche,
+familial vermittelte Erziehung einen erfolgreichen Weg gefunden hat,
+um die soziale Kontrolle in das Individuum hineinzuverlagern: die
+Verinnerlichung.
+
+ Aus psychoanalytischer Sicht kann man diese Auffassung nur als
+sehr selektiv bezeichnen (Lasch 1985, 712ff.). Daá die Verinnerlichung
+ein bedeutendes Mittel der zivilisatorischen bzw. kulturellen
+Entwicklung ist, die Voraussetzung dafr, daá aus Kulturgegnern
+Kulturtr„ger werden (Freud IX, 145), ist zwar ein Grundmotiv Freuds,
+der in seinen Arbeiten h„ufig die disziplinierenden und
+sozialisierenden Funktionen des šber-Ichs hervorgehoben hat: das šber-
+Ich ist die Basis der Religion, der Moral und des sozialen Empfindens,
+es ist der "Tr„ger der Tradition, all der zeitbest„ndigen Wertungen,
+die sich auf diesem Wege ber Generationen fortgepflanzt haben" (Freud
+I, 505), es tritt dem Individuum als ein kategorischer Imperativ
+entgegen und bewirkt dadurch jene Umwandlung, durch die es erst
+moralisch und sozial wird (Freud III, 315; IX, 145). Im Gegensatz zu
+Elias sieht Freud in diesem Mechanismus jedoch nicht erst eine
+Errungenschaft der Neuzeit; darber hinaus macht er klar, daá es sich
+um eine h”chst ambivalente Einrichtung handelt. Das šber-Ich ist
+n„mlich nicht nur, wie Elias meint, ein "Abdruck der Gesellschaft im
+Innern" (I, 173), es ist gleichzeitig "der Erbe des ™dipuskomplexes
+und somit Ausdruck der m„chtigsten Regungen und wichtigsten
+Libidoschicksale des Es. Durch seine Aufrichtung hat sich das Ich des
+™dipuskomplexes bem„chtigt und gleichzeitig sich selbst dem Es
+unterworfen. W„hrend das Ich wesentlich Repr„sentant der Auáenwelt,
+der Realit„t ist, tritt ihm das šber-Ich als Anwalt der Innenwelt, des
+Es gegenber" (Freud III, 3O3).
+
+ Diese Aussage bedarf einer kurzen Erl„uterung. Freud teilt mit
+Elias die Auffassung, daá das šber-Ich im einzelnen die
+gesellschaftliche Allgemeinheit vertritt und damit als Conditio sine
+qua non der Zivilisation bzw. der Kultur fungiert. W„hrend Elias
+jedoch dazu neigt, die Aufrichtung dieses šber-Ichs eher
+behavioristisch als Ergebnis von Konditionierungsvorg„ngen anzusehen,
+eine triebtheoretische Begrndung jedenfalls nicht gibt9, kreisen
+Freuds Bemhungen gerade um diese letztere. Das Soziale, so sein
+Gedanke, kann nur dann im einzelnen seinen Niederschlag finden, wenn
+es sich mit bestimmten Triebregungen legiert und in der Trieb”konomie
+selbst einen Sttzpunkt findet. Dies geschieht nach Freud prim„r in
+der ”dipalen Phase. Das Kind muá auf dieser Stufe seiner Entwicklung
+auf die intensiven Liebes- und Feindseligkeitswnsche gegenber seinen
+Eltern vezichten, und es l”st diese Aufgabe durch Identifizierung,
+durch Neusch”pfung des aufgegebenen Objekts in seinem Innern (Freud I,
+502). Teile der libidin”sen Energien flieáen dem 'Ich-Ideal' zu,
+dessen Definition bei Freud allerdings starken Schwankungen unterliegt
+(vgl. Chasseguet-Smirgel 1981, 215ff.); Teile der aggressiven
+Energien, namentlich die Kastrations- und Todeswnsche gegen den
+”dipalen Rivalen, dem Gewissen und dem Schuldgefhl, den wichtigsten
+Komponenten des šber-Ichs (Freud III, 304). Die sozialisierende
+Leistung des šber-Ichs ruht somit trieb”konomisch gesehen auf einem
+asozialen, ja antisozialen Fundament: der Aggression, die gleichsam
+nur von auáen nach innen umgelenkt wird.
+
+ Diese Zusammenzwingung zweier entgegengesetzter Tendenzen fhrt
+nach Freud zu einer „uáerst labilen Konstellation. Schon in 'Das Ich
+und das Es' notiert er, daá je mehr ein Mensch seine Aggression nach
+auáen einschr„nke, er desto aggressiver und strenger in seinem šber-
+Ich werde. Das šber-Ich werde 'hypermoralisch' und wende sich mit der
+gleichen Grausamkeit gegen das Ich wie in anderen Konflikten das Es
+(Freud III, 320f.). Was hier noch rein individualpsychologisch als
+Neigung zur Zwangsneurose oder zur Melancholie diagnostiziert wird,
+wird sp„ter zu einer These ber die Pathologie der kulturellen
+Gemeinschaften erweitert. Der Preis fr den Kulturfortschritt, heiát
+es in 'Das Unbehagen in der Kultur', liege in der "Glckseinbuáe durch
+die Erh”hung des Schuldgefhls" (Freud IX, 26O). Bereits in der
+Familie sei das Zusammenleben nur m”glich durch den Verzicht auf die
+”dipalen Bedrfnisse und durch die Einsetzung des Gewissens. Jede
+Erweiterung der sozialen Verb„nde setze diesen Konflikt fort und habe
+eine weitere Steigerung des Schuldgefhls zur Folge. Der Kulturprozeá
+gehorcht einer unheilvollen Mechanik. Je mehr im Laufe der
+Vergesellschaftung die unmittelbare Aggression zwischen den Individuen
+abgebaut wird, desto mehr baut sie sich in den Individuen auf. Je
+geringer die Macht der Triebe und Affekte im sozialen Verkehr, desto
+gr”áer die 'gesellschaftliche Produktion von Unbewuátheit' (Erdheim)
+und der Druck des Verdr„ngten auf das Ich (vgl. Freud IX, 258f.). Daá
+der Mensch jemals jenes "optimale Gleichgewicht seiner Seele" finden
+k”nnte, wie Elias dies fr den vollendeten Zivilisationsprozeá in
+Aussicht stellt, muá nach Freud als eine naive Utopie angesehen
+werden.
+
+ Es ist bekannt, daá Freud trotz dieser dsteren Perspektive dem
+Ich noch gengend Kraft zutraute, um - notfalls mit Untersttzung der
+Psychoanalyse - der Wiederkehr des Verdr„ngten standzuhalten. Und es
+ist auch bekannt, worauf sich dieses Vertrauen grndete: auf die
+Annahme, daá das šber-Ich der Erbe des ™dipuskomplexes sei und "erst
+nach der Erledigung desselben" eingesetzt werde (Freud 1964, 85): in
+einem Stadium mithin, in dem die psychosexuelle Entwicklung und die
+Ich-Reifung bereits ein gewisses Niveau erreicht haben. Der Einbruch
+des Sozialen, so kann man zugespitzt formulieren, erfolgt im
+Freudschen Modell auf einer Stufe, auf der das Ich bereits eine solche
+St„rke erreicht hat, daá es seine unterschiedlichen Phantasien,
+Wnsche und Objektbeziehungen zu einem koh„renten Funktionssystem zu
+integrieren vermag (vgl. Jacobson 1978, 136ff.)
+
+ Dieses Modell ist durch den Fortschritt der psychoanalytischen
+Erkenntnis nach Freud sowohl auf individual- wie auf
+sozialpsychologischer Ebene relativiert worden. Auf
+individualpsychologischer Ebene erhellten die wie immer auch
+unterschiedlichen und z.T. gegens„tzlichen Forschungen der Englischen
+Schule, der genetischen oder strukturalistischen Schule und der
+Narziámus-Theorie die grundlegende Bedeutung, die der pr„”dipalen
+Entwicklung im Rahmen des Sozialisationsvorgangs zukommt. Melanie
+Klein, Ernest Jones u.a. entdeckten die archaischen Vorstufen des
+šber-Ichs, die weniger durch Introjektionen der „uáeren Realit„t als
+vielmehr durch Einverleibungen vor allem der destruktiv-sadistischen
+Projektionen des Kleinkindes bestimmt sind (vgl. Klein 1928/1985;
+1973, 21, 157ff.; Jones 1978). Ren‚ Spitz, Margaret S. Mahler u.a.
+arbeiteten die konstitutive Funktion der Mutter-Kind-Dyade bzw.
+Symbiose sowie des Losl”sungs- und Individuationsvorgangs heraus und
+dokumentierten die vielf„ltigen pathogenen Wirkungen, die ein
+psychotoxisches oder unzureichendes Verhalten der Mutter auf die
+Psyche des heranwachsenden Kindes haben kann (vgl. Spitz 1967; Mahler
+1972, 1978). Autoren wie Kohut und Kernberg endlich erkl„rten die
+zunehmende Zahl von Charakterst”rungen mit einer mangelhaften Abl”sung
+der narziátischen Energien von archaischen Objekten wie dem Gr”áen-
+Selbst und den idealisierten Eltern-Imagines (Kohut 1976; Kernberg
+1978). Freuds Vorstellungen erwiesen sich vor diesem Hintergrund nicht
+als falsch, wohl aber als zu stark auf die v„terliche Intervention in
+der ”dipalen Phase fixiert.
+
+ Noch weiter relativiert wurden diese Vorstellungen durch die
+psychoanalytisch orientierte Sozialpsychologie, die mit plausiblen
+Argumenten auf den Klassencharakter und die Historizit„t der von Freud
+beschriebenen ”dipalen Konfiguration hinwies. Klassencharakter: denn
+diese Konfiguration, die durch die Intensit„t der Mutter-Kind-Symbiose
+sowie durch die Sprengung derselben durch den verbietenden und Distanz
+zum Lustprinzip erzwingenden Vater bestimmt ist, spiegelt eindeutig
+die Zw„nge der brgerlichen Kleinfamilie mit ihrer scharfen
+Rollentrennung. Historizit„t: denn dieser Familientypus kann
+angesichts ver„nderter Arbeitsbedingungen und
+Geschlechtsrollenzuweisungen als kulturell nicht mehr so bestimmend
+wie noch zu Freuds Zeiten angesehen werden.
+
+ Dafr sind viele Ursachen verantwortlich, die hier nur angedeutet
+werden k”nnen: die 'Entwertung all der Eigenschaften, die einmal die
+Vaterkultur getragen haben' (Mitscherlich), in erster Linie der
+individuellen Arbeitserfahrung und des familialen Besitzes von
+Produktionsmitteln; die Entstehung eines nivellierten Gesamtarbeiters
+(Marx), in dem die Proletarisierung Massenschicksal ist; die
+Ausdifferenzierung und Entkoppelung vormals in der Familie
+zusammengefaáter Lebenslagen; die 'Polizierung' der Familie durch
+brokratische Regelung und Verrechtlichung; schlieálich die
+'Sozialisierung' der Elternfunktion durch Massenmedien, peer groups
+und Therapeuten. Das Stadium der 'individualistischen
+Vergesellschaftung' (Adorno), in dem sich Sozialisation ber die
+Identifikation mit einer zugleich bedrohlichen und idealisierten
+Person vollzog, scheint vorber zu sein. "Die unterdrckende
+Trieborganisation scheint kollektiv, und das Ich durch ein ganzes
+System extrafamilialer Einrichtungen und deren Vertreter vorzeitig
+sozialisiert zu sein" (Marcuse 1967, 98; vgl. Mitscherlich 1968,
+185ff., 310ff.; Lasch 1986, 179ff.).
+
+ Daá Marcuse hier von vorzeitiger Sozialisierung spricht, meint
+nicht mehr und nicht weniger, als daá der Zugriff des Ganzen auf das
+Individuum zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem der psychosexuelle
+Reifungsprozeá noch nicht zur Herausbildung eines stabilen und
+koh„renten Ichs gefhrt hat. Zahlreiche Diagnosen stimmen darin
+berein, daá unter den gegenw„rtigen Bedingungen des abwesenden Vaters
+ein groáer Teil der psychischen Energien an pr„”dipale Objekte
+gebunden bleibt, so daá fr den Aufbau und die Besetzung reifer Ich-
+und šber-Ich-Strukturen nur ein vermindertes Quantum zur Verfgung
+steht. Die Folge ist, daá die frhkindliche Entwicklung gar nicht mehr
+bis zum entscheidenden ”dipalen Konflikt gelangt, was wiederum
+zugleich bedeutet, daá die pr„”dipalen, archaischen Anteile des šber-
+Ichs gegenber den ”dipalen ein šbergewicht erlangen.
+
+ "So haben wir heute das folgende Problem: die hemmende, kontrollierende und leitende Funktion des šberichs, die heute
+weitgehend mit der des Ichs zusammenf„llt, ist durch die Schw„che der Eltern, die nachgiebige Erziehung und das
+gesellschaftliche Klima abgeschw„cht. Die sexuellen und aggressiven Triebe halten sich immer weniger an Regeln. Aber wir haben
+immer noch das strengere šberich aus der frhen Kindheit, das in der Tiefe des Individuums fortlebt. Daraus resultieren Unruhe,
+Unbehagen, depressive Verstimmungen und Sucht nach Ersatzbefriedigungen"10.
+AAF
+ Auch fr die Psyche gilt damit, was wir bereits fr die
+soziogenetische Ebene festgestellt haben: daá Vergesellschaftung unter
+Marktbedingungen ein h”chst paradoxer Vorgang ist. Verglichen mit
+Freuds Zeiten ist das Netz des Sozialen engmaschiger und st„rker
+geworden und hat l„ngst auch den privaten Schonraum der Familie
+erfaát, in dem Elias noch eine Enklave des gesellschaftlich nicht
+Geformten sah (I, 226f., 247, 259). Diese Expansion des Sozialen aber
+geht keineswegs einher mit einer kontinuierlich zunehmenden
+'Individualisierung' oder gar 'Massenindividualisierung' (1987, 273,
+242), sondern macht Individuierung zu einer immer schwerer zu
+bew„ltigenden Aufgabe. Durch den Fortfall jener Faktoren, die in der
+brgerlichen Familie eine sukzessive Einschr„nkung und Frustrierung
+der archaischen Wnsche und Phantasien durchsetzten, wird die Macht
+des Unbewuáten gest„rkt; damit aber die Macht einer Instanz, die, im
+Gegensatz zu den Annahmen eines C.G. Jung, keine h”here Kollektivit„t
+verk”rpert, sondern deren Negation: die aus der gesellschaftlichen
+Kommunikation ausgeschlossene private Symbolwelt der von ihren
+pr„”dipalen Objekten beherrschten Individuen (vgl. Lorenzer 1970, 92,
+97). Zivilisation, die einmal aus der Domestizierung des Archaischen
+entsprang, schl„gt damit in ihr Gegenteil um: in die Wiedererzeugung
+des Archaischen "in der Zivilisation durch die Zivilisation selbst"
+(Adorno 1971, 42). Es spricht gegen die Zivilisationstheorie von
+Elias, daá sie noch nicht einmal die M”glichkeit einer derartigen
+Entwicklung er”rtert11.
+
+
+
+ 3. Der letzte hier zu diskutierende Einwand stammt aus der
+Systemtheorie und besagt, daá Elias dem Unterschied zwischen
+Interaktions-, Organisations- und Gesellschaftssystemen nicht gengend
+Rechnung tr„gt. Interaktionssysteme sind, nach der Definition
+Luhmanns, dadurch bestimmt, daá Anwesende sich wechselseitig
+wahrnehmen und auf dieser Grundlage miteinander kommunizieren. Wegen
+dieser Bindung an die konkrete Pr„senz von Personen k”nnen sie weder
+in ihren internen noch in ihren externen Beziehungen sonderlich hohe
+Komplexit„t erreichen, eine Beschr„nkung, die noch dadurch verst„rkt
+wird, daá die Erfordernisse der thematischen Konzentration und der
+linearen Sequenz der Beitr„ge sehr zeitraubend sind. -
+Organisationssysteme erm”glichen dagegen eine h”here sachliche und
+zeitliche Generalisierung, weil sie auf Mitgliedschaftsregeln
+aufbauen. Auf der Basis solcher Regeln ist es m”glich, hochgradig
+knstliche Verhaltensweisen dauerhaft zu reproduzieren, die sich durch
+ein hohes Maá an Motivgeneralisierung und Verhaltensspezifikation
+auszeichnen. - Der Begriff des Gesellschaftssystems schlieálich zielt
+auf die umfassendste Form von Kommunikation: das Sozialsystem par
+excellence, das als Bedingung aller anderen sozialen Systeme fungiert
+(damit auch aller Interaktions- und Organisationssysteme). Es ist
+nicht einfach die Summe aller Organisationen und Interaktionen,
+sondern ein System h”herer Ordnung. Es schlieát neben Interaktionen
+auch interaktionsfreie Handlungen wie z.B. schriftliche Kommunikation
+ein, grenzt das Soziale vom Nichtsozialen ab und erm”glicht die
+Ausdifferenzierung von Subsystemen, die auf bestimmte, nur ihnen
+zurechenbare Funktionen spezialisiert sind (Luhmann 1974, 143; 1982,
+11f.).
+
+ Mit dieser Unterscheidung verbindet Luhmann eine evolution„re
+Perspektive. Obwohl keine Gesellschaft jemals ganz in Interaktionen
+aufgeht, gilt doch fr archaische Gesellschaften, in denen die
+Funktionsdifferenzierung nur wenig entwickelt ist, daá sie
+interaktionsnah gebildet werden (Luhmann 1985, 576). Auch in den
+vormodernen Hochkulturen spielen Interaktionssysteme noch eine
+fhrende Rolle, wenngleich wichtige Funktionen bereits durch
+Organisationen erledigt werden: das Prinzip der Stratifikation, nach
+dem diese Gesellschaften gegliedert sind, hat zur Folge, daá die
+Gesellschaft als Ganze durch das Kontaktnetz der Oberschicht
+repr„sentiert und symbolisiert wird. Oberschichteninteraktion kann
+deshalb als Integrationmodus stratifizierter Gesellschaften angesehen
+werden (Luhmann 1980, 84).
+
+ In der modernen Gesellschaft dagegen, die auf voll durchgefhrter
+funktionaler Differenzierung beruht, kommt dem Interaktionssystem
+keine integrative Aufgabe mehr zu. Wohl bleibt Interaktion eine
+Basisbedingung von Gesellschaft, die sich ja schlieálich durch
+soziales Handeln konstituiert. Doch ist die Gesellschaft mit der
+Delegation grundlegender Funktionen an Subsysteme, mit der Entstehung
+ausgedehnter Organisationssysteme und nicht zuletzt mit der
+Erweiterung zur Weltgesellschaft so komplex und berpers”nlich
+geworden, daá sie sich durch Interaktion nicht mehr repr„sentieren,
+geschweige denn bew„ltigen l„át.
+
+ "Die Gesellschaft ist, obwohl weitgehend aus Interaktionen bestehend, fr Interaktion unzug„nglich geworden. Keine
+Interaktion, wie immer hochgestellt die beteiligten Personen sein m”gen, kann in Anspruch nehmen, repr„sentativ zu sein fr
+Gesellschaft. Es gibt infolgedessen keine 'gute Gesellschaft' mehr. Die in der Interaktion zug„nglichen Erfahrungsr„ume vermitteln
+nicht mehr das gesellschaftlich notwendige Wissen, sie fhren wohlm”glich systematisch in die Irre. Auch die Interaktionsfelder, die
+sich unter irgendwelchen Gesichtspunkten zusammenfgen und aggregieren lassen, lenken die Aufmerksamkeit „uáerstenfalls auf
+Funktionssysteme, vielleicht auch auf regionale Abgrenzungen (Nationen), nicht aber auf das umfassende System
+gesellschaftlicher Kommunikation" (Luhmann 1985, 585).
+AAF
+ Im gleichen Maáe, wie die Interaktion an gesamtgesellschaftlicher
+Relevanz verliert, schiebt sich die Organisation in den Vordergrund.
+Dieselben Prozesse, die zur Auseinanderziehung der Systemebenen von
+Gesellschaft und Interaktion fhren - die Ausdifferenzierung und
+durchgehende Monetarisierung der Gesellschaft, die Verrechtlichung der
+Erhaltungs- und Fortsetzungsbedingungen t„glicher Lebensfhrung, die
+wachsende Bedeutung von Schulerziehung und Berufswahl fr die
+individuelle Biographie (Luhmann 1981, 360f.) - begnstigen nach
+Luhmann eine massenhaft-spontane 'Autokatalyse' von Organisationen und
+eine entsprechende Verallgemeinerung der diesem Systemtypus eigenen
+Besonderheiten: der Engfhrung von Kommunikation auf Entscheidungen
+und Verknpfungen von Entscheidungen; der Bindung an Weisungsketten,
+Žmterhierarchien und Kontrollmechanismen; der Unterwerfung unter
+programmierte Ziele und Strategien; der Entlastung von moralischen
+Erw„gungen und gesamtgesellschaftlichen Reflexionen.
+
+ Allerdings bedeutet diese unbestreitbare Expansion von
+Organisationen und organisationsspezifischen Verhaltensmustern nicht,
+daá sich die Gesellschaft in ein einheitliches Organisationssystem
+verwandelt. Die Gesellschaft konstituiert sich heute als
+Weltgesellschaft und bersteigt schon allein dadurch den Horizont des
+Organisierbaren. Auch innerhalb der einzelnen Funktionsbereiche ist
+die Komplexit„t so sehr angewachsen, daá die Aufgaben der Wirtschaft
+oder der Erziehung durch eine einzige Organisation nicht bew„ltigt
+werden k”nnten. Selbst wenn es z.B. gel„nge, Produktionsorganisationen
+durch eine weltweite Planung zu integrieren, k”nnten gleichwohl
+Produktions- und Konsumentscheidungen nicht zu einer einzigen
+Organisation zusammengeschlossen werden (Luhmann 1982, 15).
+Organisierte Sozialsysteme m”gen der Rahmen sein, in dem sich ein
+groáer, wenn nicht der gr”áte Teil des sozialen Alltagshandelns
+vollzieht. Zu einer Megaorganisation, in der die Unterscheidung von
+Gesellschaftssystem und Organisationssystem hinf„llig wrde, fgen sie
+sich nicht.
+
+ Im Lichte dieser Unterscheidungen liegt der Grundmangel der
+Zivilisationstheorie in der Totalisierung von Verhaltensformen, die
+fr Interaktionssysteme typisch sind. Diese Totalisierung ist
+historisch gesehen nicht v”llig falsch. Sie kann sich darauf berufen,
+daá unter den Bedingungen stratifikatorischer Differenzierung in der
+Tat ein spezifisches Interaktionssystem - der Hof -
+Integrationsaufgaben erfllte und insofern von
+gesamtgesellschaftlicher Relevanz war. Elias beschr„nkt die Gltigkeit
+der Zivilisationstheorie jedoch ausdrcklich nicht auf diese Phase,
+sondern faát auch die der funktionalen Differenzierung und den
+organisierten Sozialsystemen gem„áen neuen Verhaltensmuster als
+Manifestation des Zivilisierungsprozesses auf, obgleich er sehr wohl
+einr„umt, daá das Schema der nichth”fischen mittelst„ndischen
+Zivilisationslinie von dem der h”fischen verschieden ist, und obgleich
+er erkennt, daá die 'guten Gesellschaften', die nach der h”fischen
+kommen, "nicht mehr im entferntesten die gleiche formgebende Kraft"
+haben (II, 416; 1975, 144f., 172ff.). Der Prozeá der Zivilisation,
+lautet eine mehrfach wiederholte Kernthese, vollzieht sich "ohne
+Bruch", "in einer immer intensiveren Ausbreitungsbewegung", die mit
+der Bildung eines h”fischen Sozialcharakters beginnt und - vorerst -
+mit einem von diesem abgeleiteten Nationalcharakter endet (I, 43f.).
+
+ Die Behauptung aber, daá die "h”fisch-aristokratische
+Menschenmodellierung (...) in dieser oder jener Form in die
+berufsbrgerliche ein(mndet) und (...) in ihr aufgehoben
+weitergetragen (wird)" (II, 418), wird der im Begriff der 'Aufhebung'
+liegenden Dialektik nicht gerecht. Gewiá gibt es eine Aufhebung im
+Sinne des Bewahrens und Fortfhrens, die sich in der šbernahme
+bestimmter Mechanismen der Selbstkontrolle (Langsicht,
+Affektbeherrschung) oder in Erscheinungen wie der 'Demokratisierung
+der Literalit„t' (Goody/Watt) zeigt. Aufhebung aber meint auch stets -
+und in diesem Falle mehr als alles andere - Negation, Auáer-Geltung-
+Setzen, Beenden. So hat die Demokratisierung der Literalit„t, wie
+Goody und Watt gezeigt haben, durchaus nicht nur zu einer kollektiven
+Aneignung des kulturellen Erbes gefhrt, sondern auch dessen
+Verbindlichkeit aufgel”st und dessen Homogenit„t zerst”rt12, und so
+resultiert denn auch die Aufhebung des Privilegs nicht in der
+Verallgemeinerung der in der Oberschicht geltenden Codes, sondern
+allenfalls in deren Musealisierung.
+
+ Luhmann zufolge ist diese Entwicklung unausweichlich, denn erstens
+verliert die Oberschichteninteraktion mit zunehmender
+Ausdifferenzierung von Subsystemen ihren Repr„sentationscharakter -
+das Ganze l„át sich durch keinen Teil mehr darstellen, sondern ist nur
+noch in den Teilen selbst pr„sent; und zweitens geht durch die
+Radikalisierung der Funktionsdifferenzierung die Conditio sine qua non
+h”fischer Interaktion verloren: die Verfgung ber ein ausreichendes
+Quantum nichtfunktionsbezogener Zeit, alteurop„isch ausgedrckt: Muáe.
+Nur eine Schicht, die ihr gesamtes Dasein 'máig' verbrachte, d.h.
+nicht prim„r in den Aufgaben der Produktion und Reproduktion des
+unmittelbaren Lebens aufging, konnte jene gesteigerte F„higkeit zur
+Wahrnehmung des eigenen und des fremden Selbst ausbilden, von der das
+Leben bei Hofe abhing; nur eine Schicht, die auf Repr„sentation des
+Ganzen spezialisiert war, konnte sich auf die Stilisierung der
+Umgangsformen, auf die Produktion und Interpretation jener Zeichen
+konzentrieren, in denen sich Rang und Ehre, Achtung oder Miáachtung
+dokumentierten. Wenn Zivilisation darin besteht, daá man dem Umweg vor
+der Abkrzung, der indirekten Aktion vor der direkten den Vorzug gibt,
+so setzt sie eine Ordnung voraus, die wenigstens ber ein Gut im
+šberfluá verfgt: Zeit.
+
+ Organisierte Sozialsysteme indes, wie sie in der
+berufsbrgerlichen Gesellschaft dominieren, beruhen auf der
+systematischen Verknappung von Zeit. In ihnen geht es, wie man nicht
+nachdrcklich genug hervorheben kann, um Zeitgewinn und um die damit
+verbundenen Konkurrenzvorteile gegenber anderen Organisationen: daher
+die Verkrzung und Kanalisierung der Kommunikation, die simultane
+Erledigung von Aufgaben durch Arbeitsteilung, die Entlastung der
+Operationen von der zeitraubenden Notwendigkeit, fr jeden Einzelfall
+natrlich gewachsene Motive oder moralischen Konsens zu beschaffen13.
+Es ist klar, daá nur eine derartige ™konomisierung der Zeit die
+Organisationen in die Lage versetzt, die Flle der ins Unendliche
+gestiegenen Anforderungen zu bew„ltigen. Ebenso klar ist aber, daá die
+'Temporalisierung von Komplexit„t' nur im Gegenzug gegen die fr die
+traditionellen Oberschichten typischen Formen der Zeitverwendung
+durchgesetzt werden kann - und damit auch im Gegenzug gegen die
+civilisation. Wo die Knappheit der Zeit und die Vordringlichkeit des
+Befristeten (Luhmann) regiert, wird Achtungskommunikation alten Stils
+zum Luxus, der nur noch auáerhalb der organisierten Sozialsysteme (und
+hier oft noch nicht einmal gegen Geld) zu haben ist. Gepflegte
+Geselligkeit und galante Konversation, Zivilisierung der Gesten und
+der Sprache, Takt und Respekt, alle diese Formen erweisen sich heute
+als Oberschichtenph„nomene, die "nach der Aufl”sung der
+stratifizierten Gesellschaftsordnung jedenfalls nicht als
+Kultiviertheitserwartung fortgesetzt werden"14.
+
+ Nicht daá sie v”llig verschw„nden. Distinktionsstrategien spielen
+auch heute noch eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben, vom
+ehemaligen Adel ber die Bildungseliten bis hinab zur Unterwelt
+(Girtler 1989). Aber der ubiquit„re Zeitdruck erzwingt doch eine so
+unbersehbare Reduktion und Minimierung aller Schn”rkel und Floskeln,
+eine solche Raffung aller umst„ndlichen Vermittlungen, daá sich der
+inter- und intraorganisatorische Kommunikationsstil mehr und mehr
+jener zeitgen”ssischen Architektur angleicht, die das Ornament zum
+Verbrechen erkl„rte (A.Loos). Zeit”konomie und Zivilisation schlieáen
+einander aus. Wer diesen Gegensatz verleugnet und auch fr die
+Gegenwart noch am Zivilisationsbegriff festhalten will, muá daraus
+alle Inhalte tilgen, die einmal mit Zivilisiertheit verbunden waren.
+ + + + + + + + + + +Anh„ngern nicht g„nzlich entgangen. Besonders Cas Wouters hat sich
+ihnen gestellt und einen Trend zur Informalisierung diagnostiziert,
+den er auf Ver„nderungen in der Machtbalance zwischen den sozialen
+Klassen, den Generationen und den Geschlechtern zurckfhrt (Wouters
+1979; 1986). Elias hat dann diese Diagnose aufgegriffen und alle
+Versuche abgewiesen, daraus eine Falsifizierung der
+Zivilisationstheorie ablesen zu wollen. Die Informalisierung, so seine
+These, sei im Gegenteil ein Beleg fr die Intensivierung des
+Zivilisationsprozesses, weil sie mit einer "Zunahme des
+gesellschaftlichen Drucks zur Selbstregulierung" einhergehe (Elias
+1989, 60). Dem ist zweierlei entgegenzuhalten. Elias und Wouters haben
+sicher recht, wenn sie in der Informalisierung nicht einfach einen
+Rckfall in Chaos und Regellosigkeit sehen wollen. Selbstverst„ndlich
+ist die moderne Gesellschaft, bei aller Lockerung von Konventionen und
+Standards, durch ein sehr hohes Maá an Regulierung gekennzeichnet.
+Nur: diese Regulierung ist ein Effekt der organisierten Sozialsysteme,
+die strukturell in keinerlei Beziehungen zu den Interaktionssystemen
+der h”fischen Gesellschaft stehen. Der in ihnen endemische
+Rationalisierungszwang drfte weit mehr als alle Ver„nderungen in den
+Machtbalancen zwischen verschiedenen sozialen Gruppen dazu beigetragen
+haben, daá die berkommenen Interaktionsrituale nach und nach ber
+Bord geworfen wurden. Zweitens aber kann die Informalisierung auch
+deswegen keine Intensivierung des Zivilisationsprozesses sein, weil
+die partielle Entstrukturierung der „uáeren Beziehungen mitnichten
+durch Strukturgewinne im Innern der Subjekte kompensiert wird. Die
+"vorzeitige" Sozialisation, so haben wir im vorigen Abschnitt gesehen,
+fhrt gerade nicht auf eine "h”here Ebene des Bewuátseins und
+wahrscheinlich auch eine h”here Ebene der Selbststeuerung" (Wouters
+1979, 294), sondern zu einer Schw„chung des Ichs und einer
+Entstrukturierung des šber-Ichs. Weit davon entfernt, ber die von den
+Zivilisationstheoretikern supponierte Souver„nit„t zu verfgen, die es
+ihm erlaubte, rigide Kontrollen in bestimmte Bereiche zu lockern,
+scheint das Subjekt eher zum Zerfall zu tendieren: zur Spaltung in ein
+uneigentliches Selbst, das sich den externen Funktionsimperativen der
+organisierten Sozialsysteme anpaát, und in ein eigentliches Selbst,
+das sich in den Intermundien dieser Systeme entfaltet und berall
+dort, wo es auf keine Schranken mehr stӇt, den Impulsen seiner
+jeweiligen emotionalen Befindlichkeit folgt (Gerhards 1988, 237f.).
+Wie dnn dabei die Linie ist, die die psychische von der physischen
+Inkontinenz trennt, weiá jeder, der die ”ffentlichen Verkehrsmittel in
+Groást„dten benutzt.
+ + + + + + + + + + +eine h”fische Zivilisation im Abendland gab und daá Norbert Elias ihr
+Theoretiker ist. Ich bezweifle auch nicht, daá diese h”fische
+Zivilisation in einigen L„ndern wie Frankreich auf die aufsteigenden
+brgerlichen Schichten abgef„rbt und deren nationalen Habitus gepr„gt
+hat, wiewohl man hinzufgen sollte, daá dies historisch gesehen eher
+die Ausnahme als die Regel war. Das Brgertum ist eine sehr
+abendl„ndische Erscheinung, und selbst innerhalb des Abendlandes gibt
+es zahlreiche F„lle, in denen es sich dem Einfluá des Hofes entzog.
+Der Hoffnung des Liberalismus, die Brger m”chten sich die Manieren
+der guten Gesellschaft aneignen, w„hrend die 'historischen Klassen' im
+Verdienen tchtiger werden sollten, hielt schon Karl Kraus entgegen,
+daá "aller Wahrscheinlichkeit nach schlieálich die historischen
+Klassen ohne irdische Gter und mit schlechten Manieren, die
+vordringenden Schichten aber mit zweifachem Besitzstand die
+Gesellschaft repr„sentieren werden" (Kraus 1916, 7). Schlieálich ist
+auch unbestritten, daá es in der Neuzeit eine weitausgreifende
+Affektmodellierung gegeben hat, in die immer weitere Schichten
+einbezogen wurden.
+ + +"evolution„r wirkende Kontinuit„t des Zivilisationsbegriffs" behauptet
+und die Geschichte der h”fischen Affektmodellierung zur "Vorgeschichte
+der Modernisierung", gar zur "Vorgeschichte des modernen
+Sozialcharakters" erkl„rt (Kuzmics 1989, 82, 89f.). Eine derart
+notwendige Beziehung, wie sie hier unterstellt wird, existiert nicht.
+Es gibt sie historisch nicht, weil die Geschichte zahlreiche h”fische
+Gesellschaften kennt, die sich nicht zu berufsbrgerlichen
+Gesellschaften entwickelt, sondern stattdessen in
+Kriegergesellschaften zurckverwandelt haben - Japan nach der Heian-
+Žra ist hierfr vielleicht das beste Beispiel; der eigentliche
+Durchbruch zur berufsbrgerlichen Gesellschaft erfolgte dagegen in
+L„ndern, in denen nach Elias' eigener Einsicht der Hof nur eine
+geringe oder gar keine Rolle spielte - England und den USA (1975, 104,
+147f.). Es gibt eine solche notwendige Beziehung aber auch nicht im
+logisch-strukturellen Sinne, weil zwischen der Affektmodellierung, wie
+sie fr Interaktionssysteme typisch ist, und derjenigen, wie sie
+Organisationssysteme fordern, ein Hiatus klafft. Mit Robert Muchembled
+ist davon auszugehen, daá die fr die h”fische Welt typische
+Verfeinerung der Sitten vor allem die Funktion einer Abgrenzung und
+Distanzierung der Oberschichtenkommunikation von anderen
+Kommunikationsformen hatte und Muster entwickelte, die sich nur um den
+Preis des L„cherlichen, Parvenuhaften von anderen Schichten kopieren
+lieáen - schon deshalb, weil keine dieser Schichten ber den
+erforderlichen Abstand zur Welt des Geldes und des 'Berufs' verfgte.
+Der Zwang zur Langsicht, die Schemata der Verhaltensregulierung und -
+kontrolle, die fr diese Schichten maágeblich sind, resultieren aus
+den Zw„ngen dieser Welt, nicht aus den Vorgaben der
+Oberschichtenkommunikation; Zivilisierung ist keine Bewegung von oben
+nach unten, die immer noch andauert, sondern eine Bewegung, die die
+Kluft zwischen oben und unten zu zementieren trachtet:
+ + +Mechanismus zur Nivellierung der Unterschiede. Er bringt im Gegenteil verschiedenartige Wesen hervor, die auf verschiedenen
+Stufen der soziokulturellen Hierarchie angesiedelt sind. Diese Menschen - das gilt selbst noch fr das Ende des Ancien R‚gime - sind
+durchaus nicht aus einem Stck gemacht, sondern fgen sich in Gesellschaftsschichten ein, die unterschiedliche Verhaltensstr„nge
+und gegens„tzliche ”konomische Entwicklungen beerben. Mit anderen Worten, nichts w„re verfehlter, als die Entwicklung der
+Mentalit„ten vom ausgehenden Mittelalter bis zur Revolution als eine Art unbestimmten Gesamtfortschritt darzustellen, dem sich die
+einzelnen Gruppen dann mehr oder weniger vollkommen anpaáten" (Muchembled 1990, 184).
+ + +Rhythmus durch die Ausdifferenzierung neuer, eigengesetzlicher
+Funktionssysteme und Organisationen bestimmt wird. Jeder dieser Schbe
+ist, psychogenetisch gesehen, mit einer Schw„chung, wenn nicht sogar
+mit einem Abbau der bis dahin dominierenden Instanzen verbunden. Das
+brgerliche Ich ist, als psychische Instanz, schw„cher als das
+h”fische, weil es nicht nur mit dem Es und der Auáenwelt, sondern auch
+mit einem šber-Ich zu rechnen hat, das vom Individuum eine
+Staatsf”rmigkeit seiner Gesinnungen, nicht bloá seiner „uáeren
+Handlungen verlangt (Vowinckel 1983, 150). Das nachbrgerliche Ich ist
+noch schw„cher, weil es nicht mehr auf dem Weg einer Identifikation
+mit dem Aggressor - dem ”dipalen šber-Ich -St„rke gewinnen kann,
+vielmehr schutzlos und unvermittelt der Gewalt pr„”dipaler,
+archaischer Konfigurationen ausgeliefert ist, die den Anspruch auf
+Grandiosit„t und Omnipotenz erheben. Mit jedem neuen Schub in der
+Entwicklung der Sozialkontrolle erh„lt somit das Ich neue und stets
+m„chtigere Gegner, die seine Souver„nit„t fortw„hrend einschr„nken -
+und damit seine F„higkeit zu dem, was Elias mit Recht als
+Wesensmerkmale des zivilisierten Habitus herausstellt: Selbstdistanz,
+Selbstkontrolle, Takt, 'taking the role of the other', das Spiel mit
+dem Schein und nicht zuletzt auch die Technik der Simulation, die dem
+protestantischen Kleinbrger als Unaufrichtigkeit erscheinen mag, in
+Wirklichkeit aber die F„higkeit bedeutet, die anderen mit der Last des
+eigenen Selbst zu verschonen (Sennett 1983, 299).
+ + +der Zivilisation. Sie verallgemeinert keineswegs die Formen, die in
+der h”fischen Zivilisation auf einen kleinen Kreis von Privilegierten
+beschr„nkt waren, sondern beseitigt mit dem Privileg auch diese
+Formen. Sie fhrt nicht zu einer Anverwandlung der bisher
+Ausgeschlossenen an die Ausschlieáenden, sondern umgekehrt zum
+Vordringen des aus der Zivilisation Ausgeschlossenen. Seit dem 18. Jh.
+ist die vorherrschende Tendenz in der Politik wie in der Kunst eine
+nicht abreiáende Kette von Demaskierungen, Entlarvungen und
+Enthllungen, in der eine Konvention und Tradition nach der anderen
+demontiert wird und immer neue Schichten des Verdr„ngten ans Licht
+gezogen werden; und wenn es eine Zeitlang so schien, als k”nnte mit
+der Ausweitung des ”ffentlichen Erziehungswesens ein Gegengewicht
+geschaffen werden, so ist dieses mittlerweile so stark segmentiert und
+mit anderen Aufgaben berfrachtet, daá selbst der amerikanische
+Pr„sident sich alarmiert zeigt. Die sprachlichen Ausdrucksformen der
+Unterschichten, insbesondere die Koppelung von Sexualit„t und Gewalt,
+sind l„ngst gesellschaftsf„hig geworden und machen, wie ein Blick in
+den 'Anti-™dipus' zeigt, selbst vor dem wissenschaftlichen Diskurs
+nicht mehr halt; die Distanzierung vom K”rper, die diesen zum Medium
+der Demonstration festgefgter Konventionen machte, ist einer
+aufdringlichen Thematisierung desselben gewichen, bei der der K”rper
+zwar mit Signalen berladen und - wie in der Punk-Bewegung - in
+extremer Weise stilisiert wird, jedoch nichts repr„sentiert und nichts
+mehr mitzuteilen hat (Bette 1987; Georgieff 1987); und wer gezwungen
+ist, sich am Straáenverkehr zu beteiligen, wird rasch feststellen
+mssen, daá auch die Survival-Mentalit„t der Unterschichten sich
+allgemeiner Anerkennung erfreut. Elias pflegt in seinen letzten
+Arbeiten h„ufig auf die sinkenden Unfallziffern zu verweisen, um seine
+These vom gestiegenen Selbstzwang zu erl„utern (1978, 22). Doch fnf
+Minuten auf der Autobahn sollten eigentlich gengen, um sich davon zu
+berzeugen, daá hier nicht die Zivilisation herrscht, sondern das
+Gesetz des Dschungels. Nicht daá dort jeder Mensch jedem Menschen ein
+Wolf w„re, das hatte schon Hobbes mit seinem bekannten Diktum nicht
+gemeint. Es gibt auch heute unendlich viele Beispiele von
+Zuvorkommenheit und Hilfsbereitschaft. Aber eine Welt, in der man bei
+jedem Streit um eine Parklcke, bei jeder Beschwerde ber zu lauten
+Partyl„rm damit rechnen muá, erschossen, erstochen oder
+zusammengeschlagen zu werden, ist von der Zivilisation noch immer
+genau so weit entfernt wie der von Hobbes beschriebene Kriegszustand,
+"which is worst of all, continual fear, and danger of violent death;
+and the life of man, solitary, poor, nasty, brutish, and short"15.
+ + +Leitbegriff der Zivilisationstheorie zu revidieren. Anstatt in ihm
+nach dem Vorbild der franz”sischen Aufkl„rung zwei nur zuf„llig-
+historisch verbundene Komplexe zusammenzuzwingen - die h”fischen
+Interaktionsregeln und die Rationalit„tsstrukturen organisierter
+Sozialsysteme - sollte man ihn wieder enger fassen und seiner
+geschichtsphilosophischen Konnotationen entkleiden. Vielleicht hatte
+Kant doch recht, als er vorschlug, den Zivilisationsbegriff auf
+"Manieren, Artigkeit und eine gewisse Klugheit" zu beschr„nken,
+vermittels welcher der Mensch 'gesellschaftsf„hig' werde - womit er
+natrlich die 'gute Gesellschaft' meinte (Kant 1968, XII, 707). Eine
+solche Eingrenzung h„tte jedenfalls den Vorzug, daá sie uns deutlicher
+als Elias die Verg„nglichkeit der Bedingungen vor Augen fhrte, an die
+Zivilisation nun einmal gebunden ist, und sie k”nnte es vielleicht
+erm”glichen, die Theorie der Zivilisierung durch die l„ngst
+berf„llige Theorie der Entzivilisierung zu erg„nzen.
+ + +keine Rcksicht halten, auch als bloáe Spiel-Form nicht. - Und ebenso schrumpft in einer Welt, die uns um Muáe und die anderen
+Bedingungen des Privaten betrgt, die Subtilit„t unseres seelischen Privatlebens" (Anders 1986, 13).
+ + + + + + + + + + +Zivilisation, so w„re dazu kaum etwas geeigneter als das Konzept der
+Disziplinargesellschaft, das Michel Foucault in den siebziger Jahren
+entwickelt hat. Gewiá ist der Gegensatz nicht absolut. Beide Autoren
+interessieren sich fr Prozesse der Normierung und Regulierung, beide
+sehen eine enge Beziehung zwischen Individuierung und Subjektivierung
+einerseits, sich verdichtenden Machtverh„ltnissen andererseits.
+Foucault bezieht diese Entwicklungen jedoch nicht wie Elias auf ein
+Zentrum, und er sieht sie auch nicht aus der Perspektive eines
+zunehmenden Souver„nit„tsgewinns der (Welt-) Gesellschaft und des
+einzelnen. Die moderne Gesellschaft gilt ihm als polyzentrisches
+Geflecht von Disziplinarapparaten und die Individuierung als
+Manifestation der Macht. Anstelle der Vision einer friedlichen
+Kooperation steht bei ihm die eines 'verallgemeinerten Krieges' (1978,
+40)16 , anstelle der Aufhebung willkrlicher Macht deren Verfestigung
+zu 'Herrschaftszust„nden' (1985, 11). "Die Menschheit", so Foucaults
+nietzscheanisches Credo, "schreitet nicht langsam von Kampf zu Kampf
+bis zu einer universellen Gegenseitigkeit fort, worin die Regeln sich
+fr immer dem Krieg substituieren; sie verankert alle ihre
+Gewaltsamkeiten in Regelsystemen und bewegt sich von Herrschaft zu
+Herrschaft" (1974, 95).
+ + +nicht mehr zu berblicken. Vieles davon ist Einfhrung oder Paraphrase
+und wird so schnell vergessen werden, wie es geschrieben wurde17 .
+Doch hat Foucault inzwischen auch ernstzunehmende Gespr„chspartner
+gefunden, die so schwerwiegende Einw„nde gegen seinen Entwurf
+formuliert haben, daá sich dessen einfache Fortschreibung oder
+Kanonisierung verbietet. Ich werde zun„chst Foucaults Grundgedanken
+knapp skizzieren, danach die wichtigsten Gegenargumente pr„sentieren
+und anschlieáend er”rtern, inwieweit die Theorie der
+Disziplinargesellschaft noch zu halten ist.
+ + + + + + + + + + +Genealogie der Disziplin religi”sen Faktoren ein erhebliches Gewicht
+zu. Schon der vorchristliche, vor allem aber der christliche Orient
+habe einen spezifischen, pastoralen Machttypus entworfen, dessen Pole
+die Herde und der dieselbe zusammenhaltende Hirt oder Sch„fer seien;
+diese Pastoralmacht habe sich dann vom 2. Jh. an ununterbrochen
+verfeinert und sich mit der politischen Macht assoziiert, wodurch zwei
+verschiedene Machttechniken miteinander verbunden worden seien: das
+kirchliche Gest„ndnis- und Beichtritual und die Formulierung und
+Vollstreckung des Gesetzes (1982, 17ff.). Aus dieser Kombination, die
+zum erstenmal im Inquisitionsprozeá praktische Gestalt angenommen
+habe, sei jene doppelte Bedeutung von 'Subjektivierung' entsprungen,
+die seither das Abendland bestimmt habe: Subjektivierung im Sinne
+einer Unterwerfung unter Kontrolle und Abh„ngigkeit und
+Subjektivierung im Sinne einer Bindung an die eigene Identit„t qua
+Bewuátsein und Selbsterkenntnis (1987, 247f.)
+ + +nur geringe Aufmerksamkeit. Weitaus intensiver befaát er sich dagegen
+mit dem eigentlichen Formierungsstadium, das er auf das 17. und 18.
+Jh. datiert. Zwar dominiert zu diesem Zeitpunkt mit der absoluten
+Monarchie noch eine Form der Macht, "die wesentlich an der Absch”pfung
+und am Tode orientiert war" (1977, 110) - eine Form, die sich
+verfassungsrechtlich in der Souver„nit„t und der ihr
+korrespondierenden Gesetzgebungskompetenz manifestiert, und die
+strafrechtlich in den Riten und Marterzeremonien der
+'Abschreckungsmacht' erscheint. Zur gleichen Zeit aber bereitet sich
+gesamtgesellschaftlich ein Umbruch vor, in dessen Verlauf auch die
+Macht eine tiefgreifende Transformation erf„hrt. Am Beispiel der
+b„uerlichen Delinquenz zeigt Foucault, daá das klassische Zeitalter
+der Schauplatz neuer Formen der Gesetzwidrigkeit ist, die sich nicht
+mehr prim„r gegen die Rechte des Adels oder des K”nigs richten,
+sondern gegen Gter; ein Wandel, mit dem die Bev”lkerung auf neue
+Formen der Kapitalakkumulation, der Produktionsverh„ltnisse, der
+Aneignungsstrukturen reagiert. Mit dem Anwachsen kapitalistischer
+Produktionsapparate und dem demographischen Wachstumsschub des 18.
+Jhs. verbreitern und vervielfachen sich die Konfliktlinien und lassen
+dadurch die klassische, auf der Veranstaltung exemplarischer
+Straffeste beruhende Souver„nit„ts- und Abschreckungsmacht zunehmend
+unwirksam werden (1976, 110, 280).
+ + +engen Rahmen herausw„chst, in den sie durch die Institutionen der
+Monarchie gebannt war, ist die Zeit, in der neue Verfahren und
+Mechanismen der Macht auf den Plan treten; Verfahren, "die nicht mit
+dem Recht, sondern mit der Technik arbeiten, nicht mit dem Gesetz,
+sondern mit der Normalisierung, nicht mit der Strafe, sondern mit der
+Kontrolle, und die sich auf Ebenen und in Formen vollziehen, die ber
+den Staat und seine Apparate hinausgehen" (1977, 110f.). Welche
+Verfahren sind hier gemeint?
+ + +Ancien R‚gime beginnen sich Forderungen der Aufkl„rer nach
+Humanisierung des Strafrechts und ™konomisierung der Strafgewalt in
+einer Reihe von Reformen geltend zu machen, die die Ersetzung der
+alten '™konomie der Verausgabung und des Exzesses' durch eine
+'™konomie der Kontinuit„t und der Dauer' erm”glichen. W„hrend die
+absolutistische Souver„nit„ts-Macht mit ihrer Sprunghaftigkeit und
+Regellosigkeit sowie der Weitmaschigkeit ihres Kontrollnetzes den
+Gesetzwidrigkeiten der Untertanen weiten Raum lieá, bemhen sich die
+Justizaufkl„rer darum, durch Milderung der Strafen, sorgf„ltigere
+Kodifizierung und Rationalisierung der Gewaltausbung die Basis fr
+einen neuen gesamtgesellschaftlichen Konsens hinsichtlich der
+Strafgewalt zu schaffen, um eine wirksamere Verteidigung gegen einen
+Gegner zu erm”glichen, "der jetzt raffinierter, aber auch verbreiteter
+im gesellschaftlichen K”rper ist". Indem sie die Willkr des Souver„ns
+anprangert, bereitet die Aufkl„rung zugleich den Boden fr ein neues,
+perfekteres System der sozialen Kontrolle. Richter und Ankl„ger,
+Verteidiger und Angeklagte werden in ein diskursives Gefge
+eingeschlossen, dessen Sinn nicht in der schreckenerregenden
+Wiederherstellung der Souver„nit„t, sondern in der
+Wiederinkraftsetzung des Strafgesetzbuches bestehen soll (1976, 113,
+141).
+ + +Definition schuldig bleibt, meint im wesentlichen folgendes: Auf der
+einen Seite haben wir es mit einer Kodifizierung und Rationalisierung
+zu tun, die den Untertanen zweifellos neue Sicherheiten bringt. Die
+Macht wird an Regeln gebunden, das Individuum als Rechtssubjekt
+anerkannt, die Strafe in ein Mittel verwandelt, das die
+Rechtssubjektivit„t wiederherstellen soll. Auf der anderen Seite aber
+wird gerade dadurch eine „uáerste Verfeinerung und Vervollkommnung der
+Unterwerfung erm”glicht. Der Kodifizierung entspricht eine zunehmende
+Individualisierung der Strafen und eine Objektivierung von Verbrechen
+und Verbrecher. Das Rechtssubjekt wird Gegenstand einer
+klassifizierenden und vergegenst„ndlichenden Betrachtungsweise, die
+den einzelnen in ein komplexes Tableau justiziabler Eigenschaften und
+Tatbest„nde einordnet. Er wird geprft, beurteilt, registriert, so daá
+jede seiner Eigenschaften mittels einer Reihe von Codes und deren
+Korrelierung dokumentierbar wird. Durch die vielf„ltigen Praktiken der
+šberwachung und Kontrolle, der Einstufung und der Zuordnung bildet
+sich, was Foucault als die andere, "dunkle" Seite des Rechtssubjekts
+bezeichnet: das "Disziplinarindividuum", das von den neuen
+Machttechniken fabriziert wird (1976, 396).
+ + +Strafjustiz. Foucault sprt sie auf in der neuen Einstellung der
+Gesellschaft gegenber dem Wahnsinn, welcher ausgegrenzt, interniert
+und in eine Form der Geisteskrankheit verwandelt wird, mit der die
+Gesellschaft nur noch ber das abstrakte Medium der Psychiatrie
+kommuniziert. Er entdeckt sie in der explosionsartigen Vermehrung der
+Diskurse ber Sexualit„t, die zur Bildung eines gigantischen Registers
+der Lste und Perversionen fhrt. Er lokalisiert sie im „rztlichen
+Blick und in der wissenschaftlichen Kontrolle der Krankheiten und
+Infektionen, in der administrativen Kontrolle der Heilmittel, der
+Todesf„lle und Geburten, der Verstellungen und Abwesenheiten,
+schlieálich in der milit„rischen Kontrolle der Deserteure, der
+fiskalischen Kontrolle der Waren, der ”konomischen Planung der
+Produktionsabl„ufe. In allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens
+ist das klassische Zeitalter der Schauplatz einer unerh”rten
+Verdichtung der Diskurse und Identifikationsmechanismen, die allesamt
+nur das eine Ziel haben: die Herstellung des durchschaubaren und damit
+kontrollierbaren Individuums. "Die 'Aufkl„rung', welche die Freiheiten
+entdeckt hat", schreibt Foucault, "hat auch die Disziplinen erfunden"
+(1976, 285).
+ + +eng aufgefaát werden. Sie darf, erstens, nicht allein auf die
+Implementierung eines bestimmten Diskurstyps reduziert werden, denn
+sie hat auch nicht-diskursive Wurzeln: Etwa die Mechanismen, die in
+den Kl”stern und Kasernen, Manufakturen und Spit„lern, Kollegs und
+Internaten entwickelt wurden. Sie darf, zweitens, nicht als Effekt
+eines Zentrums, einer gesellschaftlichen Zentralinstanz oder einer
+herrschenden Klasse, begriffen werden, da hiermit ihre pluraler,
+multipler Charakter verfehlt wrde: die Disziplinargesellschaft ist
+nicht das Ergebnis einer, sondern zahlreicher Projektionen - der
+Projektion milit„rischer Methoden auf die Industrie; der
+maschinenf”rmigen Funktionsweise auf die lebendige Arbeit; der
+Gef„ngnisdisziplin auf die Gesellschaft (1976, 284). Und sie darf,
+drittens, auch nicht als bloáes Verh„ltnis der Repression verstanden
+werden, wie dies in der Logik des brgerlichen Legalismus oder der
+marxistischen Auffassung liegt. Die Disziplinarmacht, sagt Foucault,
+setzt zwar Unterwerfung voraus, sie parzelliert die Individuen,
+klassifiziert sie und fgt sie in eine hierarchische Ordnung ein, die
+durch pr„zise Befehlssysteme strukturiert ist. Sie ersch”pft sich
+jedoch nicht darin, sondern produziert ihrerseits Individuen, die der
+von ihr geschaffenen Ordnung gem„á sind. "Man muá aufh”ren, die
+Wirkungen der Macht immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur
+'ausschlieáen', 'unterdrcken', 'verdr„ngen', 'zensieren',
+'abstrahieren', 'maskieren', 'verschleiern' wrde. In Wirklichkeit ist
+die Macht produktiv; und sie produziert Gegenstandsbereiche und
+Wahrheitsrituale: das Individuum und seine Erkenntnis sind Ergebnisse
+dieser Produktion" (1976, 250).
+ + +Macht in der modernen Form des Gef„ngnisses, wie sie seit 1830 unter
+dem Einfluá von Benthams 'Panopticon' (1787) Gestalt gewinnt. Als eine
+Institution, deren Aufgabe sich keineswegs darauf beschr„nkt, den
+Freiheitsentzug zu organisieren, vielmehr von Anfang an darin besteht,
+"Transformationen an den Individuen vorzunehmen" (1976, 317),
+verk”rpert das Gef„ngnis gleichsam die Elementarform der
+Disziplinargesellschaft, „hnlich wie fr Marx die Ware als
+Elementarform der brgerlichen Gesellschaft fungiert. Das Gef„ngnis
+ist zugleich Kaserne und Schule, Werkstatt und Spital; es unterdrckt
+die gesellschaftlich unerwnschten Eigenschaften und modelliert die
+erwnschten. Sein Produkt sind Individuen, "die nach den allgemeinen
+Normen einer industriellen Gesellschaft mechanisiert sind" (1976,
+310). Als ein vollkommener Disziplinarapparat erfaát es s„mtliche
+Aspekte des Individuums: seine physische Erscheinung wie seine
+moralische Einstellung, seine Arbeitsneigung wie sein
+Alltagsverhalten; und alle diese Manifestationen werden nicht nur
+kontrolliert und reglementiert, sondern von Grund auf reformiert, bis
+sie den geltenden Standards entsprechen. Das 'Kerkersystem', das
+Foucault zufolge um 1840, dem Er”ffnungsjahr der Jugendstrafanstalt
+von Mettray, vollst„ndig ausgebildet ist, enth„lt in gebndelter und
+konzentrierter Form all jene Mechanismen der Normalisierung und
+Disziplinierung, die seither zu Strukturmerkmalen der
+Disziplinargesellschaft geworden sind.
+ + +Ausdehnung und Erweiterung: vom 'Kerker-System' der Gef„ngnisse und
+geschlossenen Anstalten zu dem, was Foucault den 'Kerker-Archipel'
+bzw. das 'groáe Kerker-Kontinuum' nennt (1976, 382f.). Vermittelt ber
+zahlreiche Sttzpunkte - die Waisenh„user, die Asyle fr 'gefallene
+M„dchen', die Lehrlingsheime, die korrespondierenden Einrichtungen wie
+Wohlfahrtsgesellschaften, Sittlichkeitsvereine, Arbeitersiedlungen und
+ Wohnheime - breitet sich das panoptische Schema ber die gesamte
+Gesellschaft aus und berzieht alle sozialen Bereiche mit dem groáen
+Kerker-Netz, dessen prim„re Funktion in einer alles umfassenden
+Normierung besteht. Dies sicher nicht ohne Widerstand. Wo Macht ist,
+sagt Foucault, ist auch Widerstand, und er fgt hinzu: wenn es
+Machtbeziehungen gibt, so berhaupt nur deshalb, weil es Freiheit
+gibt, (1977, 116; 1985, 2O). Aber dieser Widerstand ist keine Mauer,
+kein Block, der der Disziplinierung Grenzen setzt; er ist selbst eine
+Manifestation von Macht, eine Art Antik”rper, der die Disziplinarmacht
+attackiert und zu Mutationen und Metamorphosen n”tigt. Um die
+Widerst„nde zu berwinden, geht die Disziplin von dem starren,
+statischen Tableau des klassischen Zeitalters zu neuen, flexibleren
+Formen der Regulierung ber, deren Hauptziel in einer Steigerung der
+Funktionen liegt; und dieses Ziel wird zunehmend nicht nur mittels der
+rigiden Anpassung der Individuen an die Norm erreicht, sondern
+ebensosehr durch Anpassung der Norm an die individuellen Bedingungen
+durch die Verfahren der modernen Humanwissenschaften:
+ + +Beziehungen ihre Vollendung: Diese verl„uft von der Teilung der Welt zur Herstellung der Welt; diese wiederum vom Traum einer
+mechanischen Imitation der Welt (durch Gesetze) zu dem einer Erzeugung von Organismen, von der Objektivierung der Welt auf
+die Individuierung der Menschen. Der Akzent der Individuierung selbst wird dabei von der objektivierenden Kontrolle der Einzelnen
+zur subjektivierenden Selbststeuerung und zur Manipulation von Gruppen verlagert. Der Ver„nderung der Gegenstandsbereiche
+entspricht die der Machttechniken, die Entwicklung von der Gewaltrationalit„t zur Testwissenschaft" (Dauk 1989, 131).
+ + +Subsumtion der Gesellschaft oder eines Teils derselben unter ein vorab
+feststehendes Schema, sondern weit eher der Zirkel von Manipulation
+und rckwirkendem Bedrfnis, wie ihn Horkheimer und Adorno in der
+'Dialektik der Aufkl„rung' entfalten. Foucault hat von der Dialektik,
+insbesondere von Hegel, nicht viel gehalten (Knzel 1985). Seine These
+indes, daá in der Geschichte der Disziplinierung ein Wechsel von
+subsumtionslogischen Praktiken zu netzf”rmigen und zirkul„ren
+Strukturen zu beobachten ist, vollzieht in etwas roheren Begriffen den
+šbergang von der Transzendentalit„t zur Totalit„t, wie ihn Hegel
+gegenber Kant, wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen,
+vollzogen hat. Wie wir sehen werden, rhren die Schw„chen der Theorie
+der Disziplinargesellschaft zu einem nicht geringen Teil aus der
+Weigerung Foucaults, daraus die n”tigen kategorialen Konsequenzen zu
+ziehen.
+ + + + + + + + + + +hervorgerufen hat, empfiehlt es sich, noch fr einen Augenblick bei
+den Beziehungen zu verweilen, die sich zu „hnlich gelagerten
+Bestrebungen in der modernen Soziologie ergeben. Foucaults Analyse
+erinnert an manchen Stellen an Max Weber, der in der Disziplin eine
+Schlsselkategorie der modernen Gesellschaft gesehen hatte - der
+brokratischen Amtsdisziplin, der Parteidisziplin, der Disziplin des
+Massenheeres, der Arbeitsdisziplin und nicht zuletzt der religi”sen
+Disziplin der 'methodischen Lebensfhrung'. Sie weist, etwa in der
+Behandlung der Manufaktur, Berhrungspunkte zu Marx auf, ferner zu
+Elias, zu Oestreichs Theorie der 'Sozialdisziplinierung' und nicht
+zuletzt zum kritischen Marxismus von Luk cs bis Adorno, dessen
+Zentralthema die Beziehung zwischen Warenform, Rationalisierung und
+Disziplinierung war18.
+ + +teils schlicht aus Unkenntnis, wie er selbstkritisch mit Bezug auf die
+Kritische Theorie gesteht (1983), teils in bewuáter Abgrenzung von
+einer Diskurstradition, die ihm allzusehr von der Obsession einer
+'globalen Geschichte' geschlagen zu sein scheint, d.h. dem
+Unterfangen, den Gesamtzusammenhang einer Epoche oder einer
+Gesellschaft aus einer zentralen Struktur abzuleiten. Nach seiner
+šberzeugung ist die Annahme, daá sich innerhalb einer Gesellschaft ein
+System homogener Beziehungen feststellen l„át, ein Netz von
+Kausalit„ten, das eine Zurckfhrung der verschiedenen Elemente auf
+ein verborgenes Zentrum gestatte, pure Ideologie, eine Illusion, in
+der sich der 'transzendentale Narziámus' des abendl„ndischen Denkens
+spiegelt: der Glaube an die Stifterfunktion eines souver„nen Subjekts
+und an die Garantie, "daá alles, was ihm entgangen ist, ihm
+wiedergegeben werden kann" (1973, 23). So stark ist Foucaults
+antithetische Fixierung auf diesen Subjektivismus, daá er die
+M”glichkeit einer nichtsubjektivistischen, um eine Theorie der
+gesellschaftlichen Synthesis zentrierten 'globalen Geschichte', wie
+sie in den oben erw„hnten Arbeiten durchaus angelegt ist, an keiner
+Stelle in Erw„gung zieht.
+ + +zu fllen. Macht, im Nietzscheschen Sinne eines lebensphilosophisch-
+ontologisch verstandenen 'Willens zur Macht', avanciert fr ihn zum
+Universalschlssel fr alle gesellschaftlichen und geistigen
+Ph„nomene. Auf ihr beruhen die Beziehungen zwischen den Geschlechtern
+ebenso wie die zwischen den Generationen, die Beziehungen innerhalb
+einer Institution wie die zwischen Institutionen im ganzen, die
+Beziehungen zwischen Individuen wie die zwischen Gruppen und Klassen.
+Das Individuum selbst ist, wie gezeigt, ein Produkt der Macht, "eine
+Form der Individuation der Disziplin" (1982, 3). Das gleiche gilt fr
+die modernen, um das Individuum zentrierten Diskurse der
+Humanwissenschaften, wie fr den wissenschaftlichen Diskurs
+schlechthin. Man msse, so verkndet Foucault, einer Denktradition
+entsagen, derzufolge es Wissen nur dort geben k”nne, wo die
+Machtverh„ltnisse suspendiert seien. "Eher ist wohl anzunehmen, daá
+die Macht Wissen hervorbringt (und nicht bloá f”rdert, anwendet,
+ausnutzt); daá Macht und Wissen einander unmittelbar einschlieáen; daá
+es keine Machtbeziehungen gibt, ohne daá sich ein entsprechendes
+Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig
+Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert" (1976, 39). Wie in der
+idealistischen Philosophie und ihren sp„tromantischen Wurmforts„tzen
+die ganze Welt als Geist oder Wille gedacht wird, so enthllt sich
+auch bei Foucault das Sein als Manifestation eines einzigen Prinzips,
+das in unterschiedlichen Aggregatzust„nden auftritt: in reiner,
+bewegter Form als "immerw„hrende Schlacht", als Strom von Kr„ften und
+Gegenkr„ften; und in erstarrter, blockierter Form, in der sich die
+Macht zur 'Herrschaft' verfestigt hat (ebd. 38; 1985, 11). Man fhlt
+sich an die Metaphysik Heraklits erinnert - freilich an eine Version,
+in der der Logos nicht l„nger Harmonie stiftet, sondern selbst zu
+einer Funktion des Kampfes geworden ist.
+ + +Konzept der Disziplinargesellschaft angreifbar gemacht. Die Kritik
+richtet sich vor allem gegen den Reduktionismus, der dieses Konzept
+durchzieht. Die Machttheorie, lautet ein erster Einwand, l”se die
+eigensinnige Entwicklungslogik rechtlicher und moralischer Normen in
+die blindzuf„llige Evolution von Gewaltverh„ltnissen auf und bergehe
+damit "die unverkennbaren Gewinne an Liberalit„t und
+ Rechtssicherheit", die doch nicht zuletzt auf straf- und
+strafprozeárechtlichem Gebiet evident seien19. Sie reduziere, so der
+zweite Einwand, die komplexen Vorg„nge der Sozialisation und
+Individuation in behavioristischer Manier auf eine Folge von
+unentwegten Konditionierungen und setze Individualit„t zu einer "durch
+Auáenreize produzierte(n), mit beliebig manipulierbaren
+Vorstellungsinhalten belegte(n) Innenwelt" herab; damit werde der
+Gewinn an Freiheit und Ausdrucksm”glichkeit verspielt, den die
+"Etablierung und Verinnerlichung der subjektiven Natur" gebracht habe
+(Honneth 1985, 210; Habermas 1985, 337, 342; Turner 1987, 233, 238).
+Ein dritter Einwand zielt auf die machttheoretische Aufl”sung der
+Geltungsproblematik. Foucault, so Honneth, stelle sich nicht der
+Frage, wie denn die bloá unter dem Gesichtspunkt sozialer
+Machtgewinnung entwickelten Diskurse in ganz anderen
+Handlungskontexten, etwa dem der technischen Beherrschung von
+Naturprozessen, von Erfolg gekr”nt sein k”nnten 20. Daá die
+vollst„ndige Leugnung universalistischer Geltungsansprche im Ergebnis
+auf ein "relativistisches Selbstdementi" auch der Machttheorie
+hinauslaufe, hat Habermas in einer scharfsinnigen Argumentation
+dargelegt (Habermas 1985, 327; Fink-Eitel 1980, 67f.; Bambach 1984;
+Taylor 1984). Weder fr die Eigenart normativer noch fr diejenige
+kognitiver Mechanismen, so l„át sich die Kritik resmieren, hat die
+Machttheorie einen angemessenen Raum. Sie ist deshalb ungeeignet, die
+Komplexit„t moderner Gesellschaften zu erfassen.
+ + +Mechanismen zuerst zu sprechen, so ist Foucault zwar zuzugeben, daá
+eine ganze Reihe von Diskursen in der frhen Neuzeit mit politischen
+Vorzeichen ins Dasein tritt und somit durchaus einer
+machttheoretischen Interpretation entgegenkommt. Es gibt in der Tat
+eine politische Anatomie und eine politische Technologie, wie ja auch
+bekanntlich die ™konomie sich zun„chst als politische ™konomie
+begreift und offen die enge Verzahnung von Herrschaftsinteressen und
+Wirtschaftsordnung einbekennt. Alle diese Diskursformationen
+verweisen, wie unschwer zu sehen ist, auf die Intensivierung der
+politischen Rationalisierung, welche durch die Entstehung eines
+europ„ischen Staaten- und Weltsystems seit dem 16. Jh. ausgel”st wurde
+und namentlich in einigen kontinental-europ„ischen L„ndern zu einer
+weitreichenden Militarisierung und Brokratisierung fhrte, aus der
+der well-ordered police state des 17. und 18. Jhs. mit seiner Politik
+der Sozialdisziplinierung hervorging (Raeff 1983; Rassem 1983; Schulze
+1987).
+ + +vermittelte politische Rationalisierung und deren Ausgreifen auf die
+unterschiedlichsten Lebensbereiche beschreibt, ist ihm nicht zu
+widersprechen. Die Machttheorie zielt indes darber hinaus und setzt
+sich dadurch der Kritik aus. Wenn es n„mlich einen herausragenden Zug
+in der Entwicklung seit dem 19. Jh. gibt, dann den, daá sowohl die
+Gesellschaft als auch die Wissenschaft immer weniger durch ihr
+politisches Vorzeichen bestimmt sind und sich stattdessen in Formen
+abstrakt und anonym gewordener Verh„ltnisse realisieren, die sich mit
+dem Begriff der Macht nur mehr um den Preis einer Contradictio in
+adiecto bezeichnen lassen. Die unterschiedslose Subsumtion der
+politisch strukturierten Gesellschaft des Ancien R‚gime und der
+modernen kapitalistischen Gesellschaft unter einen Begriff der Macht,
+der von Foucault selbst als "Fortsetzung des Krieges mit anderen
+Mitteln", als eine Form "kriegerischer Herrschaft " und als
+"verallgemeinerter Krieg" (1978, 71, 40; 1976, 38, 217) definiert
+wird, verdeckt die grundlegende Tatsache, daá die heutige Welt, wie
+Marx es ausgedrckt hat, eine Welt der sachlichen
+Abh„ngigkeitsverh„ltnisse im Gegensatz zu den pers”nlichen ist, eine
+Welt, in der die Individuen "von Abstraktionen beherrscht werden,
+w„hrend sie frher voneinander abhingen" (Marx 1974, 81f.).
+ + +Gesellschaft, der sich nach Marx bekanntlich so sehr anonymisiert, daá
+selbst der Kapitalist im Zuge der Entwicklung zum Aktienkapital als
+berflssige Person aus dem Produktionsprozeá verschwindet. Er gilt in
+noch eminenterem Sinne fr Wissenschaft und Technik, die mit
+Willenskategorien nicht mehr begriffen werden k”nnen. Wissenschaft und
+Technik gehorchen keinem einzigen der Kriterien, die Foucault fr die
+Macht anfhrt. Sie sind weder relational noch intentional, noch
+partikular-interessengebunden, noch milit„risch-kriegerisch, obwohl
+ihnen diese Dimensionen sekund„r durchaus zukommen k”nnen. Ihre
+Kriterien sind ausnahmslose Geltung (solange keine Falsifizierung
+vorliegt), absolute Notwendigkeit, durchgehende rationale
+Gesetzm„áigkeit und Autonomie im Sinne der Kontrolle ber ihre
+Voraussetzungen. Wissenschaft und Technik sind keine Funktion der
+Macht, sie ersetzen vielmehr das Gefge wechselnder
+Willensverh„ltnisse durch ein System, das selbstreferentiell und
+'autopoietisch' (Luhmann) prozediert, d.h. nur solche Elemente
+verwendet, die innerhalb des Systems selbst konstituiert werden. Ein
+solches Verst„ndnis schlieát nicht aus, die Autopoiesis von
+Wissenschaft und Technik ihrerseits als gesellschaftlich produziert
+und durch die herrschende gesellschaftliche Struktur vermittelt zu
+begreifen; wohl aber, sie wie Foucault auf ein bloáes Machtspiel zu
+reduzieren.
+ + +Hinblick auf normative Mechanismen. Zwar fehlt der Begriff der 'Norm'
+durchaus nicht in Foucaults Arbeiten, wie dies ja auch bei
+Untersuchungen, die mit dem Strafsystem zu tun haben, kaum zu
+vermeiden ist. Wie Canguilhem jedoch, auf dessen Vorarbeiten er sich
+explizit beruft, versteht Foucault diesen Begriff ausschlieálich im
+Sinne der modernen Industrienormen, als ein Richtmaá, das dazu dient,
+"einem Daseienden, Gegebenen eine Forderung aufzuzwingen, von der aus
+sich Vielfalt und Disparatheit dieses Gegebenen als ein nicht bloá
+fremdes, sondern feindliches Unbestimmtes darstellen" (Canguilhem
+1977, 163). Die Macht der Norm kommt nach diesem Verst„ndnis vor allem
+in der Disziplin zum Ausdruck, in den verschiedenen Techniken der
+Normierung und Normalisierung, die die Individuen einem System
+zwanghaft fixierter Verhaltensschemata unterwerfen und dadurch
+Stabilit„t und Homogenit„t des Herrschaftsgefges sichern.
+"Disziplinarische Normalisierung", sagt Foucault, "ist der Entwurf
+eines optimalen Modelles, die Operation der Disziplin besteht darin,
+die Leute an dieses Modell anzupassen" (1982, 8).
+ + +einf„ngt, die in den herk”mmlichen Ideen- und Rechtsgeschichten
+notorisch unterbelichtet bleiben; der Stellenwert, der ihnen in einer
+nichtreduktionistischen Theorie der Rationalisierung zukommt, wird
+noch zu er”rtern sein. Nicht weniger evident ist indes, daá es nur
+einen Ausschnitt aus jenem breiten Spektrum von Formierungs- und
+Kontrollmechanismen erfaát, wie es lange vor Foucault eindrucksvoll
+von Kant skizziert worden ist. In seiner Vorlesung ber P„dagogik
+(1803), die Foucault bei seiner Arbeit an der šbersetzung der
+'Anthropologie in pragmatischer Hinsicht' sicher nicht entgangen sein
+wird21, schr„nkt Kant die Disziplin auf die Rolle eines bloá negativen
+Fundaments ein: Fundament, weil die Disziplin oder Zucht die Tierheit
+in die Menschheit umwandle und verhte, daá die Individuen durch ihre
+animalischen Antriebe von ihrer menschlichen Bestimmung abgelenkt
+wrden; nur negativ, weil die Disziplin bloá Fehler verhindere, ohne
+selbst eigene positive Ziele geben zu k”nnen. Neben dieser 'bloá
+physischen' Erziehung durch Disziplinierung kennt Kant die praktische
+Erziehung, die sich ihm als ein Bndel komplexer, neben dem „uáeren
+Verhalten zunehmend auch das Innere erfassender Strategien darstellt:
+als Kultivierung, die die n”tigen Fertigkeiten und Geschicklichkeiten
+vermittelt; als Zivilisierung, die die fr den gesellschaftlichen
+Verkehr unentbehrlichen Formen der Affektmodellierung und
+Triebkontrolle bereitstellt; und als Moralisierung, die auf die
+Unterwerfung der je subjektiven Zwecke und Motive unter
+gesellschaftliche, d.h. universalistische Prinzipien zielt. "Der
+Mensch soll nicht bloá zu allerlei Zwecken geschickt sein, sondern
+auch die Gesinnung bekommen, daá er nur lauter gute Zwecke erw„hle.
+Gute Zwecke sind diejenigen, die notwendigerweise von jedermann
+gebilligt werden; und die auch zu gleicher Zeit jedermanns Zwecke sein
+k”nnen" (Kant 1968, XII, 707).
+ + +anschlieáen: einmal, weil die Ethik, auf der sie beruht, die
+Sozialisation in eine abstrakte Gesellschaft zum Telos hat (Adorno, GS
+6, 211ff.), dann aber auch, weil der Disziplinbegriff mit seiner
+Beschr„nkung auf rein negative Funktionen zu eng ist und Kants eigenen
+Darlegungen nicht entspricht: Wenn es nicht nur eine Disziplin des
+K”rpers und der Affekte, sondern auch eine Disziplin der reinen
+Vernunft gibt, so sind zumindest die Grenzen zwischen Disziplinierung
+und Kultivierung (im Sinne einer Ausbildung kognitiver F„higkeiten)
+weit durchl„ssiger, als Kant wahrhaben will22. Gegenber Foucaults
+extensivem Verst„ndnis von Disziplin indes, das auch noch
+interaktionsbezogene und normative Mechanismen umfaát, ist Kants
+Modell vorzuziehen, weil es die verschiedenen Dimensionen des modernen
+Formierungsprozesses klarer differenziert: die nichtdiskursiven
+Praktiken fr die Schaffung gehorsamer und gelehriger K”rper; die
+Formung eines methodisch-disziplinierten wissenschaftlichen Verstandes
+durch Schulung/Unterweisung, welche freilich auf den nichtdiskursiven
+Praktiken des Drills und der Bestrafung aufbaut und sich nicht selten
+darin ersch”pft, wie ein Blick in die Geschichte der 'Schwarzen
+P„dagogik' lehrt (Rutschky 1977; Stone 1979, 115ff.; de Mause 1980, 66
+ff.); die mit dem Begriff der Zivilisierung umschriebene Sublimierung
+von Interaktionsanforderungen, die fr das Leben bei Hofe oder in der
+guten Gesellschaft erforderlich war; und jene singul„re, untrennbar
+mit dem okzidentalen Brgertum verbundene Strategie der Moralisierung,
+die das Prinzip des 'affektiven Individualismus' (Stone) mit der
+Implantation eines 'vorhergehenden Gewissens' verkoppelte (Kittsteiner
+1984). Erst diese letztere Strategie vollendet die šberwindung des
+Naturzustands, weil allein sie in jene inneren Reservate vorzudringen
+vermag, die sowohl der Disziplinierung als auch der Kultivierung und
+Zivilisierung als bloá „uáerlichen Konditionierungsweisen unzug„nglich
+bleiben. Kant hat daher in der Moralisierung das h”chste und zugleich
+am schwersten erreichbare Ziel der Erziehung gesehen:
+ + +Artigkeit und Anst„ndigkeit. Aber, uns fr schon moralisiert zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralit„t geh”rt
+noch zur Kultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sitten„hnliche in der Ehrliebe und der „uáeren Anst„ndigkeit
+hinausl„uft, macht bloá die Zivilisierung aus. So lange aber Staaten alle ihre Kr„fte auf ihre eiteln und gewaltsamen
+Erweiterungsabsichten verwenden, und so die langsame Bemhung der inneren Bildung der Denkungsart ihrer Brger unaufh”rlich
+hemmen, ihnen selbst auch alle Untersttzung in dieser Absicht entziehen, ist nichts von dieser Art zu erwarten; weil dazu eine lange
+innere Bearbeitung des gemeinen Wesens zur Bildung seiner Brger erfordert wird" (Kant 1968, XI, 44f.).
+ + +pauschalisierender Rede von Normierung/Normalisierung besteht darin,
+daá es eine ganze Reihe von Forschungen zu integrieren vermag, von
+denen Foucault nur am Rande oder gar nicht Notiz nimmt, obwohl sie
+sein Thema unmittelbar berhren. Auf dem Gebiet der Disziplinierung
+ist hier etwa an die verschiedenen relig”s-ethisch motivierten Formen
+der Selbstdisziplin zu denken, wie sie in der frhen Neuzeit vom
+Neostoizismus oder vom Puritanismus propagiert wurden
+(Treiber/Steinert 1980, 90, 104ff.; Leites 1988); auf dem Gebiet der
+Kultivierung an die Bedeutung der Alphabetisierung und
+Literarisierung, die seit dem 16. Jh. einem stets wachsenden Teil der
+Bev”lkerung Zugang zu einem der wichtigsten Machtmittel verschafften,
+gleichzeitig aber auch die Basis staatlicher Herrschaft erweiterten
+(Schenda 1981; Spittler 1980); auf dem Gebiet der Zivilisierung
+natrlich an die Arbeiten von Norbert Elias ber die
+Verhaltens„nderungen in den weltlichen Oberschichten des Abendlands,
+die zum Vorbild fr zahlreiche weitere Untersuchungen geworden sind
+(Gleichmann 1979, 1984; Krumrey 1984; Schr”ter 1985). Der Prozeá der
+Moralisierung endlich ist zu wissenschaftlicher Prominenz
+haupts„chlich im Zusammenhang mit den Diskussionen ber die
+protestantische Ethik gelangt, doch war er damit mitnichten zuende: so
+hat z.B. Wolfgang Dreáen die šberlegenheit der franz”sischen
+Revolutionsarmeen gegenber dem Heer friderizianischer Pr„gung mit der
+gr”áeren taktischen Beweglichkeit erkl„rt, welche das
+Erziehungsprinzip der moralischen Selbstregulierung gegenber einer
+bloá mechanischen Disziplin gew„hrt (Dreáen 1982, 266f.); ein anderes
+Beispiel ist der auff„llige Rckgang der Verbrechensrate in der Zeit
+zwischen ca. 1840 und 1930, der von manchen Autoren mit dem Hinweis
+auf jene eigentmliche Intensivierung des Moralbewuátseins erkl„rt
+wird, welche sich an so unterschiedlichen Ph„nomenen wie der aus der
+evangelikalen Erweckungsbewegung hervorgegangenen Stadtmissionierung,
+den philanthropisch inspirierten Reformen des Sozial- und
+Erziehungswesens und der Ausbreitung des Temperenzlertums ablesen
+lasse23. Ob diese Hypothese stimmt oder nicht - sie steht immerhin in
+Widerspruch zu der von Durkheim anhand der kontr„r verlaufenden
+Selbstmordkurve entwickelten Anomiethese -, ist eine Frage, die nur
+empirisch entschieden werden kann. Daá sie berhaupt aufgestellt und
+mit plausiblen Argumenten untermauert werden kann, ist allerdings ein
+Indiz fr die Notwendigkeit, den kategorialen Rahmen nicht dadurch von
+vornherein einzuschr„nken, daá man Moralisierung auf eine Variante der
+Disziplinierung reduziert24.
+ + +muá, sieht nicht gnstig aus. Die Machttheorie, die das Konzept der
+Disziplinargesellschaft tragen soll, vermag diese Aufgabe nicht zu
+erfllen. Sie ist reduktionistisch und simplifizierend, sie produziert
+Pseudoevidenzen und fhrt dazu, die Bewegung des Gedankens vorschnell
+zu sistieren. Sie pr„sentiert sich als objektive Genealogie und ist
+doch in Wahrheit reiner Subjektivismus, der alles, was ist, auf Wille
+und Handlung zurckfhrt. Sie verspricht eine neue,
+nichttotalisierende Geschichte und totalisiert doch selbst, nur sehr
+viel schlechter als etwa Marx oder Hegel, indem sie alle Differenzen
+in den allgemeinen Nebel der 'Macht' aufl”st. Auf dieser Grundlage ist
+das Projekt einer Theorie der Disziplinargesellschaft undurchfhrbar.
+ + + + + + + + + + +in diese Richtung. Habermas, der sich gleichwohl von Foucaults
+Analysen der kapillarischen Wirkungen der Disziplin fasziniert zeigt,
+ist vom "Primat der Lebenswelt" gegenber den vermachteten und
+disziplin„r organisierten Subsystemen der modernen Gesellschaft zu
+tief berzeugt, als daá er mit der Diagnose eines 'Kerker-Kontinuums'
+sich anfreunden k”nnte. Eine derartige Charakterisierung erscheint ihm
+als unhaltbar, weil sie die Zweideutigkeit des
+Modernisierungsprozesses, das Nebeneinander von pathologischen und
+emanzipatorischen Zgen, unterschlage. Žhnlich sieht es Honneth: das
+von Foucault entworfene "Zwangsmodell gesellschaftlicher Ordnung", das
+im Ergebnis auf verblffende Weise mit Adornos Vision der verwalteten
+Welt bereinstimme, sei unbrauchbar, weil in ihm die "normativen und
+kulturellen Orientierungen der vergesellschafteten Subjekte" keinen
+Anteil an der sozialen Integration h„tten25.
+ + +Disziplinargesellschaft so aktuell macht. Wie realit„tsnah Foucaults
+Untersuchungen trotz ihrer theoretischen Schw„chen sind, zeigt sich
+nirgends deutlicher als in dem Umstand, daá etwa Habermas in seinen
+empirisch gerichteten Gegenwartsdiagnosen dem Konzept der
+Disziplinargesellschaft erheblich n„her kommt, als es die theoretisch-
+programmatische Distanzierung gestattet. Nicht anders als Foucault
+konstatiert auch er eine "Ausdehnung und Verdichtung des monet„r-
+brokratischen Komplexes", die zu einer Entm„chtigung des
+kommunikativen Handelns fhre; nicht anders als der Theoretiker der
+Macht-Wissen-Komplexe registriert auch er das "hypertrophe Wachstum
+der mediengesteuerten Subsysteme, welches ein šbergreifen
+administrativer und monet„rer Steuerungsmechanismen auf die Lebenswelt
+zur Folge hat" (Habermas 1981, 516, 460, 489). Gewiá - Habermas geht
+nicht so weit, auch im Individuum ein bloáes Korrelat von
+Machttechniken zu sehen. Daá die gesellschaftliche Ordnung der Moderne
+aber auf weite Strecken von nichtnormativen Praktiken regiert wird,
+r„umt auch er ein: "Indem sich die Subsysteme Wirtschaft und Staat
+ber die Medien Geld und Macht aus einem in den Horizont der
+Lebenswelt eingelassenen Institutionensystem ausdifferenzieren,
+entstehen formal organisierte Handlungsbereiche, die nicht mehr ber
+den Mechanismus der Verst„ndigung integriert werden, die sich von
+lebensweltlichen Kontexten abstoáen und zu einer Art normfreier
+Sozialit„t gerinnen" (ebda; 455). Als deskriptiver Begriff ist das
+Konzept der Disziplinargesellschaft also offenbar doch nicht v”llig
+unbrauchbar; und es gewinnt noch an šberzeugungskraft, wenn man sieht,
+wie blaá und leer der von Habermas als Konterkategorie eingefhrte
+Begriff der Lebenswelt letztlich bleibt.
+ + +ist zu negieren, soweit es sich zur Totalit„t aufspreizt und sich als
+Aussage ber das Ganze der modernen Gesellschaft pr„sentiert, wie dies
+in der Redeweise vom "Kerker-Gewebe der Gesellschaft" oder vom
+"verallgemeinerte(n) Kerkersystem, das in die Tiefe des
+Gesellschaftsk”rpers hineinwirkt" (1976, 392, 390), geschieht. Die
+Gesellschaft ist kein Gef„ngnis und die Vernunft nicht die Folter.
+Festzuhalten aber ist das Konzept, insofern es das Faktum registriert,
+daá die Disziplin den brigen von Kant herausgearbeiteten
+Formierungsmechanismen eindeutig den Rang abgelaufen hat. So entpuppt
+sich beispielsweise ein erheblicher Teil der von Elias unter dem Titel
+'Zivilisierung' beschriebenen Konditionierungsvorg„nge (etwa des
+Sexualverhaltens oder der Reinlichkeitsdressur) bei n„herem Hinsehen
+als eine Variante der Disziplinierung, wohingegen die typischen
+Manifestationen von Zivilisation (im Sinne z.B. des Raffinements der
+Konversation, der Steigerung der Distinktionsf„higkeit oder einfach
+des schonenden und taktvollen Umgangs miteinander) ihren sozialen
+Tr„ger - die h”fische Aristokratie und das noch halb aristokratische
+Brgertum des 18. und 19. Jhs. - nicht berlebt haben. Daá h”fische
+Interaktionsformen ohne wesentlichen Kontinuit„tsbruch von der
+industriellen Gesellschaft bernommen und zu konstitutiven Merkmalen
+bestimmter Nationalcharaktere erhoben worden seien - diese seine
+Zentralthese belegt Elias nicht, und sie leuchtet auch nicht ein vor
+dem Hintergrund einer Konfiguration, die nicht mehr wie die h”fische
+Gesellschaft von einer ™konomie der Verschwendung gepr„gt ist, sondern
+von einer '™konomie der Zeit' (Marx), die die Zivilisationskurve des
+Essens auf das Niveau von fast food und die der Erotik auf dasjenige
+von quickies herabgedrckt hat. Wie weiter oben gezeigt, gewinnen denn
+auch seit einiger Zeit Theorien an Plausibilit„t, die die Epoche in
+geradem Gegensatz zu Elias im Zeichen einer s„kularen Entzivilisierung
+sehen.
+ + +ab. Nicht daá moralische Codierungen an Prominenz verl”ren oder keinen
+Einfluá auf Interaktionen und Entscheidungen mehr ausbten. Ganz im
+Gegenteil. Der moralische Protest beispielweise (um nur eine der
+vielf„ltigen Erscheinungsformen des Moralischen herauszugreifen)
+verfgt heute ber ein so ausgedehntes Themenreservoir und ein so
+breites Rekrutierungsfeld, daá seine Regenerationsf„higkeit auf
+l„ngere Zeit gesichert ist. Es gibt immer wieder eine neue Diktatur,
+auf die sich pl”tzlich die Aufmerksamkeit richtet, immer wieder eine
+neue Dummheit irgendwelcher Exekutiven, an der sich die Flamme der
+Emp”rung entznden kann. Im Zeitalter des Satellitenfunks w„chst die
+Zahl der Ungerechtigkeiten mit den im Einsatz befindlichen
+Nachrichtenj„gern und fhrt dem Dauerprotest immer neue Motive zu.
+ + +auch der brgerlichen P„dagogik des 19. Jhs. vorschwebte, mssen diese
+Erscheinungsformen strikt getrennt werden. Die brgerlich-
+protestantische Moralisierung zielte auf Formung des Ungeformten, auf
+Domestizierung jenes in den unauslotbaren Tiefen der Seele noch
+fortwirkenden Naturzustandes, der auf staatlich-juridischer Ebene mit
+dem Abschluá des Gesellschaftsvertrages berwunden worden war. Ihr
+Erziehungsmodell war jener von Riesman treffend beschriebene
+innengeleitete Charakter, der sich an die Signale eines frhzeitig
+internalisierten seelischen Kreiselkompasses gebunden fhlte und
+dergestalt individuelle Autonomie mit gesellschaftlicher,
+prinzipiengesteuerter Orientierung verband.
+ + +die Grundlage entzogen. Schon Freud registrierte, daá nur eine
+Minderheit ber ein steuerndes und lenkendes Gewissen verfgte,
+w„hrend die Mehrzahl davon nur ein bescheidenes Maá mitbekommen habe
+(Freud I; 500); „hnlicher Ansicht war Max Weber, fr den das
+'stahlharte Geh„use' des Kapitalismus l„ngst ohne die Verinnerlichung
+einer spezifischen Berufsethik funktionierte, oder Georg Simmel, fr
+den die Moderne eine Individualisierung wie noch zu Rembrandts oder
+Shakespeares Zeiten ausschloá; die heutigen Individuen, meinte Simmel,
+seien "nichts als die Oszillationen in einer heraklitischen Welt, zu
+deren Totalit„t sie die Zugeh”rigkeit nur um den Preis gewinnen,
+jegliche Substanz und Lebenseinheit dem bloáen Jetzt des absoluten
+Werdens preiszugeben" (Simmel 1919, 138). Nicht anders sahen es sp„ter
+so gegens„tzliche Autoren wie Adorno, von dessen Auffassung noch
+ausfhrlicher die Rede sein wird, und Arnold Gehlen, fr den die
+Moderne einerseits durch 'Schnittpunktexistenzen', andererseits durch
+eine ungemeine Ausdehnung der Willkr bestimmt war. Gerade weil die
+Individuen in einer von Automatismen und Schematismen gepr„gten Welt
+nichts Wirkliches mehr ver„ndern k”nnten, so Gehlens These, strzten
+sie sich in einen ungehemmten Subjektivismus, eine
+'Moralhypertrophie', die ebenso exaltiert wie folgenlos sei26. Daá
+eine derart zum Mittel des pers”nlichen Ausdrucks gewordene Moral noch
+als 'Schrittmacher der sozialen Evolution' (Habermas) fungieren
+k”nnte, erscheint unwahrscheinlich, was freilich politische und
+soziale Folgen des expressiven Moralismus keineswegs ausschlieát. Im
+Hinblick auf die Gesamtgesellschaft jedenfalls drfte die Vermutung
+Luhmanns realistischer sein, daá "die Dominanz funktionaler
+Differenzierung, wenn und soweit sie sich als Formprinzip der
+Gesellschaft durchsetzt, die Moral evolution„r abh„ngt und ideologisch
+wie motivational disprivilegiert"27. Das Ende der Moral ist damit
+nicht erreicht. Wohl aber jener Moralisierung, von der noch Kant
+tr„umte.
+ + +aus, die 'dunkle Kehrseite' der Moralisierung und Zivilisierung - die
+Disziplin. Zu den klassischen totalen Institutionen - Kloster und
+Kaserne - sind seit dem 19. Jh. zahllose andere hinzugekommen:
+Institutionen der aufbewahrenden Frsorge wie Blinden- und
+Altersheime, Waisenh„user und Armenasyle; der isolierenden Frsorge
+wie Krankenh„user und Psychiatrien; der Einschlieáung und Absonderung
+wie Zuchth„user, Gefangenen-, Konzentrations- und Arbeitslager. Durch
+die Vermehrung und Expansion dieser Disziplinaranlagen verwandelt sich
+die Gesellschaft nicht in ein Kerker-Kontinuum. Wie Goffman zu Recht
+bemerkt, sind totale Institutionen weder mit der Arbeit-Lohn-Struktur
+noch mit der familialen Gliederung, noch, wie man hinzufgen kann, mit
+der auf Konkurrenz gegrndeten Organisation des politischen Systems
+vereinbar (Goffman 1972, 22ff.). Unverkennbar ist jedoch, daá
+disziplin„re Mechanismen auch in den offenen, durch freie
+Mitgliedschaft gekennzeichneten Institutionen eine dominierende Rolle
+spielen. Disziplin„r organisiert, sogar mit einem eigenen
+Disziplinarrecht ausgestattet, ist der gesamte Staatsapparat mit
+seinem stehenden und seinem sitzenden Heer. Disziplin„r organisiert
+sind die privaten gewerblichen Betriebe, wovon schon ein einziger
+Blick in eine Fabrikhalle oder ein Groáraumbro zeugt
+(Treiber/Steinert 1980; Fritz 1982) - ganz zu schweigen von den rasch
+expandierenden mikroelektronischen Personalinformationssystemen, die
+Zugang, Leistung und Kommunikation innerhalb der Betriebe einer
+lckenlosen Kontrolle unterwerfen und, indem sie das Auge des Meisters
+durch das zwingende Wissen des Computers ersetzen, eine neue Stufe in
+der Evolution der Disziplin ankndigen: die Automatisierung der
+Disziplin (Ortmann 1984, 107ff.; Poster 1984, 115). Der organisierte
+Massensport, vom Volkslauf bis zum Werksfuáball, ist eine einzige
+Disziplinaranlage (Rigauer 1982; Eichberg 1986, 185ff.); und ohne
+Disziplin geht im modernen Massentourismus nichts. Auch in der
+politischen Demokratie dominieren brokratische Apparate und
+hierarchisch strukturierte Entscheidungsprozesse. Selbst die
+Opposition gegen diese Apparate und die von ihnen erzwungene Disziplin
+kommt nicht umhin, ihre Anh„nger zu reglementieren und dabei ihr
+charismatisches Kapital aufzuzehren. Kein Zweifel: in einer
+Gesellschaft, die den weitaus grӇten Teil ihrer Funktionen ber
+Organisationen abwickelt, ist Disziplin - die pauschale Anerkennung
+und automatische Befolgung der Mitgliedschaftsregeln - zur Conditio
+sine qua non geworden. Mit seiner berhmten Metapher vom 'stahlharten
+Geh„use' hat Max Weber diese Entwicklung vor mehr als achtzig Jahren
+antizipiert.
+ + +oder 'strategischen Spielen' (Foucault) zu tun, sondern ist eine Folge
+von Systemprozessen, die sich jeder interaktionistischen Deutung
+entziehen. Die moderne Gesellschaft ist das Ergebnis einer
+weltgeschichtlich einzigartigen Desintegration, in deren Verlauf sich
+der in den vormodernen Kulturen politisch oder religi”s eingekapselte
+Modus der funktionalen Differenzierung verselbst„ndigte und zur
+Evolution neuer, h”chst unwahrscheinlicher und riskanter Synthesen
+trieb. Anstelle der autarken Lokalgesellschaften des Mittelalters trat
+ein interdependentes Verflechtungssystem, das den gesellschaftlichen
+Stoffwechsel mit der Natur von der Vermittlung durch die Zirkulation
+von Waren abh„ngig machte; anstelle der direkten, familial, politisch-
+herrschaftlich und religi”s begrndeten Bindungen eine indirekte
+Synthese, in der die einzelnen ihre Verklammerung in das bergreifende
+Verflechtungsnetz erst auf dem Markt erfuhren.
+ + +berzeugende Weise dargestellt. Er hat gezeigt, wie die Verdichtung
+von funktionaler Differenzierung und Marktvergesellschaftung dazu
+fhrte, daá sich das Wertgesetz als Prinzip der Systemintegration
+durchsetzte, wie dieses Wertgesetz die Homogenisierung der
+Einzelarbeiten durch Messung am Tauschwert, d.h. durch Relationierung
+der in Zeitquanta ausgedrckten abstrakten Arbeit, bewerkstelligte;
+wie diese Homogenisierung mit zunehmender Ausdehnung der Lohnarbeit
+und fortschreitender Vergesellschaftung der Produktion mehr und mehr
+in den Produktionsprozeá selbst verlagert wurde, indem die Funktionen
+der lebendigen und der toten Arbeit (der Maschinerie) nach
+einheitlichen Zeitmaást„ben koordiniert bzw., um einen Ausdruck Sohn-
+Rethels aufzugreifen, 'kommensuriert' wurden; und wie dadurch die
+abstrakte Zeit aus einem nur ideell gesetzten Maástab zum
+beherrschenden Organisationsprinzip der ™konomie wird. Damit ist nicht
+gesagt, daá die zeit”konomische Durchdringung sich in s„mtlichen
+Produktionszweigen linear und simultan durchsetzt. Wie die kritische
+Modifizierung der Thesen Sohn-Rethels durch die neueren Forschungen
+des 'Instituts fr Sozialforschung' gezeigt hat, vollzieht sich die
+zeit”konomische Rationalisierung in heterogenen Verlaufsformen, die
+durch die variierenden Marktverh„ltnisse und durch branchenspezifische
+Besonderheiten gepr„gt sind28. Der s„kulare Trend bleibt davon jedoch
+unberhrt. Kapitalisierung bedeutet Objektivierung und Erweiterung der
+zirkulationsbegrndeten Formen von Wissen, Kommunikation und
+Organisation; dagegen Formalisierung und Entwertung aller
+'naturwchsig'-spontanen Kompetenzen, Denk- und Erfahrungsmuster.
+"™konomie der Zeit, darein l”st sich schlieálich alle ™konomie auf"
+(Marx 1974, 89).
+ + +Foucault beschriebenen Verallgemeinerung der Disziplin zu suchen.
+Natrlich beginnt die Geschichte der Disziplin nicht erst mit der
+brgerlichen Gesellschaft und der fr sie typischen 'Herausl”sung' der
+™konomie; und natrlich spielen auáer”konomische, insonderheit
+politische Mechanismen wie die Konzentration der Verwaltungs- und
+Kriegsbetriebsmittel im absolutistischen Staat eine nicht
+wegzudenkende Rolle fr den šbergang von der bloáen 'Virtuosen-' zur
+'Sozialdisziplinierung' (Treiber/Steinert 1980, 89; Dreyfus/Rabinow
+1987, 165; Bauer/Matis 1988, 315ff.). W„hrend aber diese frhen Formen
+der Disziplinierung des subjektiven Antriebs und der Gewalt nicht
+entbehren k”nnen - die Menschen, schreibt Friedrich II. von Preuáen,
+"bewegen sich, wenn man sie antreibt, und stehen still, wenn man nur
+einen Augenblick aufh”rt, sie vorw„rts zu dr„ngen"(Hubatsch 1973, 234)
+- kommt es zu einer Objektivierung und damit zu einer dauerhaften
+Verallgemeinerung der Disziplin erst mit der Totalisierung der
+abstrakten Arbeit und dem damit verbundenen Aufstieg der abstrakt-
+linearen Zeit zur 'Systemzeit'29. Zeit”konomische Imperative fhren zu
+einer Umstrukturierung des konstanten und einer tiefgreifenden
+Ver„nderung des variablen Kapitals, welche vor allem die Zurichtung
+der motorischen und sensomotorischen Bewegungsabl„ufe und die
+Zurckdr„ngung des 'K”rper-Wissens' betrifft (B”hle 1989).
+Zeitsparende Mechanismen sedimentieren sich im Aufbau der modernen
+Groáorganisationen und stellen auch hier das Verhalten unter das
+Diktat der Zeitdisziplin. Selbst scheinbar so eigenst„ndige Strukturen
+wie die Prinzipien der vertikalen Kommunikation, der Rollentrennung
+und der Entscheidung nach universalistischen Kriterien lassen sich
+nach Luhmann unter dem Gesichtspunkt interpretieren, daá sie
+langwierige interne und externe Kommunikationsprozesse abkrzen sollen
+(Luhmann 1983, 15O). Es drfte nicht schwerfallen, auch im sogenannten
+Freizeitbereich Formen zu identifizieren, die der ubiquit„ren
+Temporalisierung Rechnung tragen und ihr ad„quate Rezeptions- und
+Verhaltensstile etablieren (Film, Autokultur). Daá die
+'Disziplinarzeit' auf die p„dagogische Praxis bergreift und hier zu
+grundlegenden Umw„lzungen fhrt, indem sie z.B. die Ausbildungs- von
+der Berufszeit l”st, hat Foucault gesehen, allerdings sogleich in den
+Rahmen der Machttheorie gepreát: "Die Macht tritt der Zeit sehr nahe
+und sichert sich ihre Kontrolle und ihre Ausnutzung" (1976, 206). In
+Wirklichkeit verh„lt es sich genau umgekehrt: die Zeit wird nicht zu
+einer Funktion der Macht, sondern die zur Systemzeit gewordene Zeit
+produziert asymmetrische Handlungs- und Befehlsketten und generiert
+damit Machtrelationen, die das Verhalten der einzelnen determinieren.
+ + + + + + + + + + +Einwand erhoben, sie stelle zu einseitig die Aspekte der
+Herrschaftssicherung und Verdinglichung heraus und verfehle damit die
+bei Foucault doch auch angelegte Einsicht, daá "jene Vorg„nge eines
+organisierten Ausbaus der Sozialkontrolle stets in einem
+lebensweltlichen Horizont von praktischen Konflikten um die
+Legitimit„t sozialer Machtansprche verwirklicht sind" (Honneth 1989,
+238). Diese Kritik ist nun ihrerseits von Einseitigkeiten nicht frei,
+geht sie doch stillschweigend darber hinweg, daá ich von
+institutionalisierter Sozialkontrolle allein im Hinblick auf
+organisierte Sozialsysteme gesprochen und weder die M”glichkeit von
+Widerstand noch von moralischen Orientierungen bestritten habe.
+Gleichwohl trifft sie einen Punkt, der in meinen Ausfhrungen in der
+Tat zu kurz kam. Auch organisierte Sozialsysteme lassen sich heute
+zunehmend weniger nur aus der Perspektive des 'Kontroll-Paradigmas'
+fassen, also jenes Interpretationsrasters, das vor allem die
+Reglementierung des Erlebens und Handelns von Personen durch
+Organisationen betont und Subjektivit„t auf eine bloáe
+Ausfhrungsinstanz des Sozialsystems reduziert (Schimank 1986, 73).
+Dieses Paradagma ist zwar nicht falsch, muá jedoch durch eine andere
+Sichtweise erg„nzt werden, derzufolge Subjektivit„t nicht bloá auf den
+Nachvollzug immer schon konstituierter sozialer Ordnungen beschr„nkt
+ist, sondern diese, wenn schon nicht konstituiert, so doch
+mitkonstituiert (ebd. 75). Daá fr Foucault erst beide Perspektiven
+zusammen ein vollst„ndiges Bild ergeben, wurde am Ende des ersten
+Abschnittes gezeigt; Foucault selbst hat es noch einmal in der
+Einleitung zum zweiten Band der Histoire de la sexualit‚
+unterstrichen, in der er darauf verweist, "daá jede 'Moral' im weiten
+Sinn die beiden angegebenen Aspekte enth„lt: den der Verhaltenscodes
+und den der Subjektivierungsformen" (1986, 41). Honneth hat also
+recht, auf eine angemessene Behandlung der letzteren zu dringen. Im
+Gegensatz zu der weiteren von ihm vorgeschlagenen Interpretation, die
+hierin eine St„rke der handlungs- gegenber den systemtheoretischen
+Komponenten von Foucaults Analysen sieht, m”chte ich allerdings die
+These vertreten, daá die Bercksichtigung der Subjektivit„t in
+organisierten Sozialsystemen nur zu einer Flexibilisierung, nicht aber
+zu einer Sprengung des Begriffs der Disziplinargesellschaft fhrt.
+ + +Komplexit„t nicht mehr den gleichen Erkl„rungswert beanspruchen kann
+wie zu Beginn des Jahrhunderts, als Weber seine Brokratietheorie und
+Taylor seine Methoden der wissenschaftlichen Arbeitsgestaltung und
+Betriebsfhrung entwickelte, wird heute durch zahlreiche
+Untersuchungen best„tigt, die einen Wandel der Institutionen zu
+weniger hierarchischen, mehr informalen und kollegialen Strukturen
+dokumentieren. Dies gilt etwa fr die Organisationssoziologie, die
+seit l„ngerem das Zurcktreten der verfahrensorientiert-unpers”nlichen
+Strukturen hinter dienstleistungsorientiert-pers”nlichen Formen
+registriert und Human-Relations-Gesichtspunkte in den Vordergrund
+stellt (Schluchter 1972, 140ff.; Hage 1980). Es gilt aber auch fr die
+Industriesoziologie, die in wichtigen Bereichen eine Abkehr von den
+bislang dominierenden tayloristischen Formen der Zeit”konomie
+festgestellt hat (Kern/Schumann 1984; Bergmann u.a. 1986; Manske 1987;
+Malsch 1987; Wuntsch 1988, 331ff.; Brandt 1990, 358ff.). Zwar hat sich
+die Ankndigung einer 'Neoindustrialisierung', die eine Zurckdr„ngung
+der Heteronomie von Industriearbeit erm”glichen und die
+"Voraussetzungen fr kompetentes, selbstbewuátes Verhalten im
+Arbeitsprozeá" schaffen sollte (Kern/Schumann 1984, 327; kritisch
+hierzu: Schmiede/v. Greiff 1985), als berzogen erwiesen, doch gilt
+dies ebenso fr die Annahme einer stetigen Steigerung der direkten
+sozialen Kontrolle durch Dequalifizierung der Arbeitskraft einerseits,
+Zentralisierung des Produktionswissens beim Management andererseits.
+Neuere empirische Untersuchungen legen den Schluá nahe, daá die
+tayloristischen und fordistischen Strategien der zeit”konomischen
+Arbeitszerlegung nur fr bestimmte Sektoren der Massenproduktion
+galten, w„hrend sie etwa in der kleinserigen, komplexen
+Maschinenfertigung stets an den hohen Kosten scheiterten, die fr den
+Aufbau leistungsf„higer Arbeitsvorbereitungsabteilungen n”tig gewesen
+w„ren (Manske 1987, 170); sie zeigen zugleich, daá der Taylorismus als
+das Mittel zur zentralistischen Kontrolle der Arbeitsausfhrung und
+damit der Arbeiter berall dort seine Grenze findet, wo die
+Besonderheiten von Materialien und Produkten sowie die Marktlage ein
+hohes Maá an betrieblicher Flexibilit„t und Reaktionsf„higkeit
+erfordern. Die von Sohn-Rethel (1972) und Bravermann (1977) ganz auf
+der Linie von Marx und Weber beschriebene langfristige Tendenz einer
+fortschreitenden Einschr„nkung bzw. Eliminierung der
+Dispositionsspielr„ume wie auch der kognitiven Kompetenz der
+Arbeitskr„fte h„tte von hier aus gesehen mit Gegentendenzen zu
+rechnen, die anstelle der reinen Subsumtionslogik st„rker auf
+indirekte, 'systemische' Kontrollen setzen (Baethge/Oberbeck 1986, 22;
+Manske 1987, 175) und dabei die eindimensionalen, auf
+'Fremdbeobachtung' und punktueller Disziplinierung beruhenden
+tayloristischen Mechanismen durch neue, die 'Selbstbeobachtung' und
+aktive Beteiligung des Personals akzentuierenden Strategien
+substituierten (Malsch 1987). Ob sich damit, wie etwa Malsch glaubt,
+die Chance einer kommunikativen Rationalisierung er”ffnet, mag
+dahingestellt bleiben. Fest steht jedoch, daá das Kontroll-Paradigma
+diesen Entwicklungen nur unzureichend Rechnung tr„gt. "Subjektivit„t",
+so folgert Uwe Schimank, "ist in formalen Organisationen nicht nur
+eine m”glichst weitgehend sozialem und technischem Reglement zu
+unterwerfende, weil fr die organisatorische Ordnung gef„hrliche
+St”rgr”áe; sondern Subjektivit„t ist eine wesentliche
+Konstitutionsbedingung organisatorischer Ordnung gerade auch in
+hochtechnisierten Produktionsorganisationen" (1986, 86).
+ + +Abschnitt skizzierten Argumentation erforderlich, stellen sie jedoch
+nicht grunds„tzlich in Frage. Auch wenn die Bedienung der zunehmend
+komplexer und st”ranf„lliger werdenden Produktionsanlagen heute eine
+flexiblere Funktionsvermischung und eine erh”hte technisch-
+wissenschaftliche Kompetenz des Personals verlangt (Wuntsch 1988, 28,
+201); auch wenn die Belegschaften ein ganz neuartiges "Drohpotential
+der Datenmanipulation und der Wissenszurckhaltung" erwerben (Malsch
+1987, 79), folgt daraus doch nicht, daá die systemische Integration an
+ihre Grenze st”át und eine neue Perspektive er”ffnet, die es
+erm”glicht, die organisierten Sozialsysteme "als fragile Gebilde zu
+durchschauen, die in ihrer Existenz vom moralischen Konsens aller
+Beteiligten abh„ngig bleiben" (Honneth 1985, 334). Bei der
+Subjektivit„t, die in organisierten und technisierten Systemen
+operiert, handelt es sich zwar um selbstdeterminierte und insofern
+zweifellos auch zu moralischen Orientierungen bef„higte personale
+Systeme, doch ist gerade diese Kompetenz nicht gemeint, wenn von einem
+Beitrag zu den Konstitutionsbedingungen die Rede ist. Gefragt sind
+nicht die moralischen und expressiven, sondern die kognitiven und
+technischen Kompetenzen, mithin jene F„higkeiten zu formaler
+Rationalit„t, diskursiver Symbolisierung und streng linearer
+Wahrnehmung, wie sie nur das im kantischen Sinne disziplinierte und
+kultivierte Individuum besitzt. Gewiá geht das Individuum darin nicht
+auf. Es verfgt, auch und gerade im Rahmen informatisierter
+Produktionstechnologien, ber die F„higkeit, die durch die jeweilige
+Technik gesetzten Grenzen sinnhaften Operierens zu berschreiten, es
+akkumuliert ein Erfahrungswissen, das durch formalisiertes und
+standardisiertes Planungswissen nie vollst„ndig ersetzt werden kann.
+Dennoch handelt es sich um eine Erfahrung h”chst spezifischer Art:
+nicht die spontane, 'naturwchsige' Erfahrung der konkreten Arbeit,
+die eine Wechselbeziehung zwischen dem Arbeitenden, dem Werkzeug und
+dem je besonderen Material unterstellt, sondern die domestizierte,
+disziplinierte Erfahrung innerhalb eines vorstrukturierten technischen
+'Ereignishorizonts', in dem sich die Aktivit„t des Subjekts weitgehend
+auf die Selektion und Deutung der Zeichen beschr„nkt, die von den
+Informationssystemen in šberflle geboten werden (Hartmann 1990, 42).
+Erfahrung in diesem Kontext ist immer wissenschaftliche Erfahrung,
+Produktion immer: Objektivation von Wissenschaft. Die Ver„nderung
+besteht allenfalls darin, daá sich nunmehr nicht bloá die
+Wissenschaftler und Ingenieure, sondern Teile der Arbeiterschaft
+selbst in wissenschaftlicher Weise auf die Erfahrung bzw. die
+Produktion beziehen und damit gleichsam von der passiven auf die
+aktive Seite des Abstraktifizierungsprozesses rcken.
+ + +Unzul„nglichkeiten seiner Machttheorie, auch nicht sehen k”nnen. Er
+hat aber immerhin etwas davon geahnt, wenn er von der "Ersetzung eines
+juridischen und negativen Rasters durch ein technisches und
+strategisches" spricht (1978, 105), wenn er auf neue Machtmechanismen
+verweist, die nicht mehr mit dem Recht, sondern mit der Technik
+arbeiten, wenn er betont, daá die Macht nicht mehr nur 'von oben',
+sondern auch 'von unten', d.h. von den Subjekten selbst kommt (1977,
+110, 115). Wenn die direkte Kontrolle … la Taylor berflssig wird, so
+nicht, weil das System durch zunehmend autonomere, ihre Qualifikation
+und ihre Intelligenz wiedergewinnende Subjekte in die Defensive
+gedr„ngt wrde. Sondern genau umgekehrt: weil es, flexibler und
+gleichsam dialektischer geworden, mit den Beitr„gen der Subjekte
+selbst rechnen kann, die, vom wissenschaftlichen Code gepr„gt, die
+permanente Optimierung des Systems zu ihre eigenen Sache gemacht
+haben30.
+ + +Entwicklung sein, die Foucault unbeachtet gelassen hat, auf die ich
+jedoch zum Schluá wenigstens hinweisen m”chte, weil eine Theorie der
+Disziplinargesellschaft sie nicht ignorieren kann: die partielle
+Entdisziplinierung, von der die fortgeschrittenen
+Industriegesellschaften seit einiger Zeit heimgesucht werden. Die
+allgemeine Erh”hung des Qualifikationsniveaus im Gefolge der
+'Bildungsrevolution' (Parsons) hat zu einer Entwertung der unteren
+Bildungsabschlsse gefhrt, die die Haupt- und Sonderschulabsolventen
+in eine „hnliche Lage geraten l„át wie Analphabeten. Die Hauptschule,
+so hat Ulrich Beck es formuliert (1986, 246), verwandelt sich mehr und
+mehr in einen 'Aufbewahrungsort fr arbeitslose Jugendliche', dessen
+Funktionsbestimmung sich in Richtung Besch„ftigungstherapie
+verschiebt. Die Folge ist nicht nur eine anomische Reaktion der
+betroffenen Jugendlichen, die sich etwa am Ph„nomen des ansteigenden
+Vandalismus ablesen l„át, sondern eine tiefgreifende Entwertung der
+Autorit„t der Schule und eine Erosion der von ihr vermittelten
+Disziplin - vor allem in Groást„dten mit anhaltend hoher
+Jugendarbeitslosigkeit und hohem Anteil von Angeh”rigen
+diskriminierter Minderheiten. W„hrend sich die P„dagogik an Gymnasien
+eher mit Problemen wie Ehrgeiz, Schulangst, bertriebene Anpassung und
+Kontaktschwierigkeiten konfrontiert sieht, werden an Hauptschulen in
+zunehmendem Maáe Verhaltensauff„lligkeiten wie Unkonzentriertheit,
+Ungenauigkeit, Interessenmangel, verbale Aggression und Ungehorsam
+gegen den Lehrer registriert (Bach 1987, 58 f.). Auch an den
+Grundschulen mehren sich inzwischen die Unterrichtsst”rungen in Form
+von šbermotorik, diffuser Aggression, ungerichtetem Agieren und
+didaktisch-methodischer Unansprechbarkeit, so daá das Bildungsangebot
+bei einem wachsenden Teil der Schler ins Leere stӇt (Ziehe 1983;
+Cloer 1982; ders. 1987; Winkel 1988). Wenn die Zeichen nicht trgen,
+so scheint es sowohl der sekund„ren als offenbar bereits der prim„ren
+Sozialisation in Teilen der Gesellschaft zusehends weniger zu
+gelingen, jene innere Disziplin zu vermitteln, die nicht bloá fr das
+Fortkommen, sondern schon fr das pure šberleben in einer
+Disziplinargesellschaft unerl„álich ist. Welches immer die Ursachen
+sein m”gen - Wohnverh„ltnisse, Arbeitslosigkeit, damit
+zusammenh„ngende defizit„re familiale Kommunikation, nicht zuletzt
+auch eine durch Fernsehkonsum ver„nderte Organisationsform der Sinne -
+fest steht, daá man heute nicht mehr schlichtweg von einer
+Verallgemeinerung der Disziplin, sondern allenfalls von einer
+partiellen Erweiterung sprechen kann, bei der ganze Sektoren der
+Gesellschaft als disziplin„re Brachen ausgespart bleiben. Je weiter
+aber sich diese Brachen ausdehnen, desto dringlicher wird die Frage,
+ob die von Foucault beschriebene Modernisierung und Humanisierung der
+Disziplin, ihre Abkehr von einer bloáen 'Gewaltrationalit„t' (Dauk
+1989, 131), nicht der Anfang eines Prozesses sein k”nnte, in dessen
+Verlauf die Disziplinargesellschaft ihre eigenen Voraussetzungen
+zerst”rt. Allein mit den von Foucault bereitgestellten Kategorien wird
+diese Frage nicht zu beantworten sein.
+ + + + + + + + + + +der Auseinandersetzung mit Elias und Foucault deutlich, erfassen
+wichtige Aspekte der modernen Gesellschaft. Fr eine Gesamtdiagnose
+indes ist ihr Instrumentarium zu grob, ihr begrifflicher Zuschnitt zu
+eng. Es ist deshalb an der Zeit, den Fokus zu erweitern und jene
+beiden Theorien in den Blick zu nehmen, von denen wir uns in der
+Kritik an Elias und Foucault vielfach leiten lieáen: die Kritische
+Theorie und die Systemtheorie.
+ + +geschrieben worden: ber die unterschiedliche Auffassung von Handeln
+und Kommunikation, von Wahrheit und Rationalit„t. Nur selten aber, und
+dann gew”hnlich am Rande, hat die Debatte das eigentliche Thema
+probandum berhrt, das zwischen beiden Theorien zur Verhandlung steht:
+die moderne Gesellschaft und ihre Entwicklungstendenzen. Dabei ist
+kein Feld von so zentraler Bedeutung wie dieses - stimmen doch beide
+Theorien darin berein, daá die Zukunft der Soziologie wesentlich
+davon abh„ngt, ob es ihr gelingt, einen Begriff ihres Gegenstandes -
+der Gesellschaft - zu entwickeln.
+ + +Berhrungsangst zu sprechen. Vordringlicher ist es, sie zu
+durchbrechen, indem man den Gegenstand selbst in den Mittelpunkt der
+Er”rterungen rckt. Dies soll im folgenden in drei Schritten
+geschehen. Im ersten Abschnitt werde ich die Aussagen beider Theorien
+ber den Aufbau der modernen Gesellschaft vergleichen, die sich im
+einen Fall um den Begriff der Totalit„t, im anderen Fall um den des
+Systems zentrieren. Im zweiten Abschnitt sollen die wichtigsten Thesen
+ber die Entwicklungstendenzen der modernen Gesellschaft
+herausgestellt werden, wobei ich mich vorrangig auf die Frage
+Differenzierung oder Entdifferenzierung konzentrieren werde. Der
+letzte Abschnitt behandelt die M”glichkeit wechselseitiger
+Lernprozesse beider Theorien im Horizont einer sich anbahnenden
+Konvergenz von Kritik und Affirmation. Der Vergleich wird sich auf
+Adorno und Luhmann als die beiden Autoren beschr„nken, bei denen die
+Kritische Theorie und die Systemtheorie in ihrer 'Vollstufe'
+entwickelt sind.
+ + + + + + + + + + +AAF 1. Jeder Anfang ist eine Vorentscheidung. Nach der Systemtheorie
+ist mit Differenz zu beginnen, nach dialektischer Auffassung mit
+Einheit. Folgte man der ersten Position, so w„re man in diesem Fall
+schnell fertig. Man wrde zeigen, daá fr Luhmann Gesellschaft
+Kommunikation ist und in dieser Eigenschaft sowohl das Ganze
+verk”rpert als auch das Wahre einschlieát: die Gesamtheit der
+Kommunikationen als Selektion aus der Gesamtheit aller anschluáf„higen
+- in Luhmanns Terminologie: 'wahren' - Kommunikationen (1990, 533,
+618f., 175)31. Auf der anderen Seite tauchte dann sogleich die Formel
+vom Ganzen als dem Unwahren sowie Adornos 'Generalverdacht gegen
+Kommunikation' auf (M”rchen 1981, 231). "Alles, was heutzutage
+Kommunikation heiát, ausnahmslos, ist nur der L„rm, der die Stummheit
+der Gebannten bert”nt" (GS 6, 341). Der Dialog w„re zuende, ehe er
+berhaupt eingesetzt h„tte.
+
+ Wir mssen also nach Art der Dialektik beginnen, mit Einheit statt
+mit Differenz. Das ist weniger gewaltsam, als es nach dem ersten
+Vorgepl„nkel den Anschein haben k”nnte, bestimmen doch Adorno wie
+Luhmann die moderne Gesellschaft ganz konventionell, unter Rckgriff
+auf den von Herbert Spencer in die Soziologie eingefhrten Begriff der
+funktionalen Differenzierung. Die moderne Gesellschaft ist nach
+Luhmann kein Organismus und kein Subjekt, sondern "dasjenige
+Sozialsystem, das die letzterreichbare Form funktionaler
+Differenzierung institutionalisiert" (1971, 15). "Modern society,
+then, has to be described as a functionally differentiated system.
+This is its main characteristic, the principle which generates its
+structures" (1984, 64).
+
+ Nicht anders sieht es Adorno. Gesellschaft, so verkndet er, sei
+"ein Funktions- und kein Substanzbegriff" (GS 8, 349), Soziologie die
+"Wissenschaft von den gesellschaftlichen Funktionen" (Adorno 1956,
+23). W„hrend sich archaische Gesellschaften nicht zuletzt durch ihre
+nur geringe Arbeitsteilung auszeichneten, habe sich die moderne
+Gesellschaft zu einem gigantischen Interdependenzzusammenhang
+entfaltet.
+
+ "Mit Gesellschaft im pr„gnanten Sinn meint man eine Art Gefge zwischen Menschen, in dem alles und alle von allen
+abh„ngen; in dem das Ganze sich erh„lt nur durch die Einheit der von s„mtlichen Mitgliedern erfllten Funktionen, und in dem
+jedem Einzelnen grunds„tzlich eine solche Funktion zuf„llt, w„hrend zugleich jeder Einzelne durch seine Zugeh”rigkeit zu dem
+totalen Gefge in weitem Maáe bestimmt wird" (ebd. 22; vgl. GS 8,10).
+AAF
+ Fr Adorno ist mit dieser Bestimmung allerdings nur erst ein
+Aspekt der modernen Gesellschaft getroffen. Der zweite fr ihn
+wichtige Aspekt ist, daá Gesellschaft ebensosehr eine Relations-, ja
+eine 'Vermittlungskategorie' sei (Adorno 1973, 36, 39). Was damit
+gemeint ist, l„át sich durch eine Kontrastierung mit der
+funktionalistischen Theorie der Systemdifferenzierung verdeutlichen.
+Diese Theorie, die im brigen, wie das Beispiel Althusser zeigt, auch
+in den Marxismus Eingang gefunden hat, geht davon aus, daá die moderne
+Gesellschaft durch die Ausdifferenzierung relativ autonomer
+Subsysteme, Ebenen oder Instanzen gekennzeichnet ist, welche innerhalb
+des Gesamtsystems nebeneinander existieren. Parsons unterscheidet
+dabei bekanntlich das politische, ”konomische, sozialkulturelle und
+gemeinschaftliche System; Luhmann Teilsysteme fr Politik, Wirtschaft,
+Recht, Erziehung, Religion und Wissenschaft; Althusser die politische,
+”konomische und ideologische Ebene. Diese Differenzierung schlieát
+nicht aus, daá zwischen den Subsystemen Beziehungen bestehen: bei
+Parsons und Luhmann gibt es das Konzept der Interpenetration, bei
+Althusser sogar das Prinzip der Determinierung in letzter Instanz
+durch die ™konomie. Typisch aber ist, daá in all diesen Konzeptionen
+(von deren Unterschieden hier abgesehen werden kann) die Beziehung
+„uáerlicher Natur ist, eine bloáe Wechselwirkung zwischen ansonsten
+getrennten und nach eigengesetzlichen Regeln prozessierenden Sph„ren.
+
+ Adorno bestreitet keineswegs die Existenz solcher autonomer
+Sph„ren. Die bliche Formel, mit der er Bereiche wie Kunst oder
+Wissenschaft charakterisiert, lautet, sie seien autonom und fait
+social zugleich (GS 7, 16; GS 8, 283). Damit ist jedoch auch gesagt,
+daá die Theorie es bei der bloáen Feststellung der Autonomie nicht
+belassen kann. Gerade als autonome sind die Teilsysteme vermittelt
+durch die konstitutive Struktur der Gesellschaft, ihre objektive
+'Wesensgleichheit' (Adorno 1973, 25), die in den Teilsystemen
+erscheint und sie ipso facto als Schein, als Reflexionsbestimmung
+durchschaubar macht. Was Adorno fr die Kunst notiert, gilt mutatis
+mutandis auch fr die brigen Bereiche des gesellschaftlichen Ganzen:
+
+ "Die Frage nach der Vermittlung von Geist und Gesellschaft reicht weit ber die Musik hinaus, wo man sie allzu leicht auf die
+nach dem Verh„ltnis von Produktion und Rezeption einengt. Gelten drfte, daá jene Vermittlung nicht „uáerlich, in einem dritten
+Medium zwischen Sache und Gesellschaft stattfinde, sondern innerhalb der Sache. Und zwar nach ihrer objektiven und subjektiven
+Seite. Die gesellschaftliche Totalit„t hat in der Gestalt des Problems und der Einheit der knstlerischen L”sungen sich sedimentiert, ist
+darin verschwunden. Weil in ihr Gesellschaft sich verkapselt hat, folgt sie, indem sie autonom sich entfaltet, auch der
+gesellschaftlichen Dynamik, ohne auf sie hinzublicken, ohne direkt mit ihr zu kommunizieren" (GS 14, 409).
+AAF
+ In der Bestimmung dieser Wesensgesetzlichkeit, die in den
+Teilsystemen erscheint und diese dadurch als vermittelte konstituiert,
+knpft Adorno an die klassische dialektische Theorie an, die die
+moderne Gesellschaft als brgerliche verstand. Wie Marx, der den
+Schlssel zu diesem System in der politischen ™konomie suchte, geht
+auch Adorno vom "Primat der ™konomie" aus (GS 4, 125) und lokalisiert
+hier den tragenden Lebensprozeá der Gesellschaft. Damit ist vor allem
+die grundlegende Rolle angesprochen, die der gesellschaftlichen Arbeit
+in der Moderne zukommt. Die sozialen Prozesse und Institutionen
+existieren nicht aus eigener Kraft, sie sind "wesentlich
+vergegenst„ndlichte Arbeit lebendiger Menschen"; selbst so subtile
+Erscheinungen wie Kunst, Philosophie oder Kulturkritik sind vom
+Arbeitsprozeá abh„ngig, "in dessen Schicksal verflochten" (GS 8, 17;
+GS 10.1, 18). Ein berhistorisches Gesetz, wie es etwa Engels' Prinzip
+der Determinierung in letzter Instanz aufstellt, ist damit nicht
+behauptet, denn eine 'szientifische Invariantenlehre' lehnt Adorno ab.
+Fr die moderne Gesellschaft allerdings gilt, daá sie die "Einheit der
+durch ihre Arbeit das Leben der Gattung reproduzierenden Subjekte" ist
+und daher prim„r als "Totalit„t der Arbeit" konzipiert werden muá (GS
+5, 267, 269). "Soweit die Welt ein System bildet, wird sie dazu eben
+durch die geschlossene Universalit„t von gesellschaftlicher Arbeit"
+(ebd. 272).
+
+ Von entscheidender Bedeutung ist nun allerdings, daá sich dieser
+Primat der Produktion unter brgerlichen Produktionsbedingungen auf
+eine h”chst paradoxe Weise „uáert: als Abstraktion der Produktion von
+sich selbst. Konstitutiv fr den gesellschaftlichen Zusammenhang ist
+nicht die lebendige Arbeit, auch nicht das konkrete Bedrfnis.
+"Grundbestand der Gesellschaft an sich", "maágebende Struktur der
+Gesellschaft" (GS 8, 13; GS 10.2, 745) ist vielmehr der Tausch, in dem
+die konkreten Einzelarbeiten auf ihren gemeinsamen Nenner reduziert
+werden - abstrakte Arbeit als Substanz des Wertes. Im Tausch, schreibt
+Adorno, "nicht erst in der wissenschaftlichen Reflexion, wird objektiv
+abstrahiert; wird abgesehen von der qualitativen Beschaffenheit der
+Produzierenden und Konsumierenden, vom Modus der Produktion, sogar vom
+Bedrfnis, das der gesellschaftliche Mechanismus beiher, als
+Sekund„res befriedigt" (GS 8, 13).
+
+ 'Tausch' in diesem Sinne meint mehr als eine ”konomische
+Transaktion, meint mehr als den bloáen Besitzwechsel konkret-
+ntzlicher Gegenst„nde. Der Begriff steht fr eine Gesamtverfassung,
+in der der konkret-materielle Inhalt des gesellschaftlichen Lebens,
+der Stoffwechselprozeá mit der Natur, und der soziale Zusammenhang
+auseinandergetreten sind und sich zum Gegensatz verselbst„ndigt haben.
+Ihre Einheit gewinnt die fragmentierte und atomisierte Gesellschaft
+nur mehr auf einem Umweg, ber den Austausch; da aber nur Gleiches,
+Vergleichbares, Žquivalentes getauscht werden kann, wechseln in der
+Zirkulation nicht Gebrauchswerte den Besitzer, sondern Tauschwerte;
+der Markt, so hat es Alfred Sohn-Rethel formuliert, dem Adorno
+entscheidende Einsichten verdankt, ist ein "zeitlich und ”rtlich
+bemessenes Vakuum an menschlichem Stoffwechsel mit der Natur" (Sohn-
+Rethel 1972, 80). Das, was die Einheit herstellt, ist der Wert; der
+Wert aber ist eine reine Abstraktion, etwas, in das 'kein Atom
+Naturstoff' eingeht, eine 'bloá ideelle' oder 'nur gemeinte
+Bestimmung' (MEW 23, 62; Marx 1974, 173). Brgerliche
+Vergesellschaftung heiát dementsprechend abstrakte, reine
+Vergesellschaftung, Integration durch eine Sph„re, die in der
+traditionellen Metaphysik als 'Schein', in der idealistischen
+Philosophie als 'Geist' bezeichnet wurde - eine Welt des Symbolischen,
+der Stellvertretung, der Substitution, die alle Erscheinungsformen des
+Sozialen, von der Zirkulation ber Recht und Staat bis zu den
+subtileren Gestalten der Kunst, der Philosophie und der Wissenschaft,
+strukturiert.
+
+ "Den Vorwurf des Idealismus", schreibt Adorno, "hat nicht ein jeder zu frchten, der Begriffliches der gesellschaftlichen
+Realit„t zurechnet...Mag man, gegenber der leibhaften Realit„t und allen handfesten Daten, dies begriffliche Wesen Schein
+nennen, weil es beim Žquivalententausch mit rechten Dingen und doch nicht mit rechten Dingen zugeht: es ist doch kein Schein,
+zu dem organisierende Wissenschaft die Realit„t sublimierte, sondern dieser immanent...Der Tauschwert, gegenber dem
+Gebrauchswert ein bloá Gedachtes, herrscht ber das menschliche Bedrfnis und an seiner Stelle; der Schein ber die Wirklichkeit"
+(GS 8, 209).
+AAF
+ Diese Hervorhebung des Tauschverh„ltnisses ist von der
+marxistischen Orthodoxie h„ufig als Rckfall in brgerliches Denken
+kritisiert worden, als Unf„higkeit, ber den Standpunkt der
+Zirkulation hinauszugehen. Der Vorwurf hat eine gewisse Berechtigung,
+soweit er darauf zielt, daá Adorno nicht mit der gebotenen
+Grndlichkeit auf die Einzelheiten der Marxschen Wertformanalyse
+eingegangen ist und deren Begriffe oft nur metaphorisch gebraucht. In
+ihrem Kern ist die Kritik jedoch unhaltbar: einmal, weil Adorno
+keineswegs bei der Zirkulation stehenbleibt und sehr wohl auch die
+entwickelteren Formen des Wertverh„ltnisses bis hin zur
+Klassenstruktur im Blick hat32; zum anderen, weil sie die fundamentale
+šbereinstimmung verdeckt, die hinsichtlich der strukturellen Bedeutung
+der Zirkulation zwischen der Kritischen Theorie und der Kritik der
+politischen ™konomie besteht. Auch im Kapital fungiert als
+begrifflicher Ausgangspunkt nicht der Arbeitsprozeá oder ein wie immer
+geartetes 'System der Bedrfnisse', sondern die Abstraktion von der
+Produktion und vom Bedrfnis, wie sie sich in der Zirkulation, im
+Austausch von Waren gem„á ihren Werten, tagt„glich vollzieht; und wenn
+es ein Gliederungsprinzip gibt, einen Grundgedanken, um den sich das
+System der politischen ™konomie organisiert, so ist er hier, in den
+verschiedenen Metamorphosen dieser Fundamentalabstraktion zu suchen,
+die vom einfachen Tausch ber den Geld- und Kapitalbegriff bis zu den
+Oberfl„chenbestimmungen der 'trinitarischen Formel' reichen. Indem
+Adorno diesen Gedanken, in wie metaphorischer Form auch immer,
+festh„lt und zu der These zuspitzt, daá die Produktion nur
+gegenstandskonstitutiv, nicht aber gesellschaftskonstitutiv ist, steht
+er Marx n„her als alle postmarxschen Arbeitsmythologien, die die Rede
+vom Scheincharakter der Zirkulation allzu w”rtlich, n„mlich
+brgerlich-aufkl„rerisch nehmen. Die Einheit der brgerlichen
+Gesellschaft ist keine Einheit der Arbeit, sondern eine des Wertes,
+der Abstraktion von der Arbeit.
+
+ Diese Einheit aber, und damit kehren wir zum Ausgangspunkt zurck,
+existiert nicht unmittelbar, sondern nur als Prozeá, als "eine
+Einheit, die sich durch den Trennungs-, durch den
+Abstraktionsmechanismus hindurch berhaupt eigentlich erst vollzieht"
+(Adorno 1973, 47). Die konstitutive Struktur, der Wert, ist keine
+isolierte, unbewegliche Instanz, die auf andere Instanzen diese oder
+jene Wirkung ausbt. Sie erzeugt vielmehr unabl„ssig neue Formen, in
+denen sie sich zugleich manifestiert und verbirgt - so wie es Hegel
+fr die Sph„ren des subjektiven, objektiven und absoluten Geistes
+beschrieben hat, Marx fr die verschiedenen 'Verkn”cherungen' des
+Mehrwerts vom Profit ber den Produktionspreis bis hin zu den
+'mystischen' Formen von Zins, Arbeitslohn und Rente. Das Wesen muá
+erscheinen; die Gesamtheit seiner Erscheinungen aber ist: das System.
+Das System ist die dialektische Ordnung der Erscheinungsformen der
+Struktur, die Struktur wiederum ist nichts anderes als das System, auf
+seinen einfachsten und abstraktesten Ausdruck gebracht. Der hier von
+Adorno anvisierte Theorietypus lieáe sich am angemessensten als eine
+'strukturalistische Systemtheorie' charakterisieren, die die
+Einsichten des Strukturalismus und der Systemtheorie aufnimmt, sie
+aber dialektisiert und dadurch ihre Einseitigkeiten vermeidet.
+
+ Es ist nur scheinbar ein Widerspruch hierzu, wenn Adorno an
+anderer Stelle davon spricht, daá sich das dialektische Denken
+zunehmend von der Systemform entfernen msse, oder wenn er die
+negative Dialektik geradezu als 'Antisystem' definiert (GS 8, 308; GS
+20.1, 165ff; GS 6, 10). Gewiá gibt es neben dem Schler Hegels und
+Marxens auch den Schler Nietzsches und Benjamins, dessen
+antisystematische Affekte sich methodisch in der Bevorzugung der
+'Mikrologie' und des Aphorismus niederschlagen und mitunter in
+emphatischen Bekenntnissen kulminieren wie demjenigen, daá der
+wirklich freie Gedanke mit dem System unvereinbar sei (Adorno 1974,
+266). Es w„re indes ein v”lliges Miáverst„ndnis von Adornos Position,
+wenn man darin eine Absage an das systematische Denken oder gar eine
+Leugnung des Systemcharakters der gesellschaftlichen Realit„t sehen
+wollte. Daá die brgerliche Gesellschaft ein System ist, eine Einheit
+also, die aus einem Punkt heraus erzeugt und nicht nur die „uáerliche
+Ordnung eines vorgegebenen Stoffes ist, steht fr Adorno auáer Frage,
+ebenso wie die Gltigkeit der Kategorien, mit denen Hegel und vor
+allem Marx dieses System beschrieben haben. Anders w„re seine im
+Positivismusstreit immer wieder ge„uáerte Mahnung unverst„ndlich, daá
+die Soziologie ihr Objekt verfehle, wenn sie darauf verzichte,
+"Gesellschaft als System" zu denken, wenn sie sich mit bloáen
+Systematisierungen begnge, anstatt "das den Prozeduren und Daten
+wissenschaftlicher Erkenntnis vorgeordnete System der Gesellschaft" zu
+rekonstruieren (GS 8, 210, 356). Die Mikrologie setzt an jedem Punkt
+die Gltigkeit der Marxschen Strukturanalysen voraus, sie ist m”glich
+nur auf dem Boden des dialektischen Begriffs, auch wenn sie darauf
+verzichtet, diesen im Einzelfall zu explizieren. Bei aller Kritik, die
+Adorno an Hegels Identifikation des Systems mit dem absoluten Subjekt
+gebt hat, hat er doch an der Notwendigkeit und Angemessenheit des
+Systembegriffs zu keiner Zeit einen Zweifel gelassen:
+
+ "Ist jenes Subjekt-Objekt, zu dem seine (scil. Hegels) Philosophie sich entwickelt, kein System des vers”hnten absoluten
+Geistes, so erf„hrt der Geist doch die Welt als System. Sein Name trifft den unerbittlichen Zusammenschluá aller Teilmomente und
+Teilakte der brgerlichen Gesellschaft durch das Tauschprinzip zu einem Ganzen genauer als irrationalere wie der des Lebens,
+selbst wenn dieser der Irrationalit„t der Welt, ihrer Unvers”hntheit mit den vernnftigen Interessen einer ihrer selbst bewuáten
+Menschheit, besser anstnde. Nur ist die Vernunft jenes Zusammenschlusses zur Totalit„t selber die Unvernunft, die Totalit„t des
+Negativen" (GS 5, 324): eben die des Tauschs, der die Einzelnen einem ihnen fremden Gesetz unterwirft.
+AAF
+ Daá diese Negativit„t das System, das sie konstituiert, zugleich
+in den Untergang treibt, wird weiter unten darzustellen sein.
+
+
+
+ 2. Der zentrale Stellenwert, den die dialektische Theorie dem
+Systembegriff zuweist, hat ihr wenig Anerkennung bei derjenigen
+Theorie eingetragen, die sich diesen Begriff fr ihre
+Selbstbeschreibung zu eigen gemacht hat: der Systemtheorie. Vom
+"ehrwrdige(n) Konzept der brgerlichen bzw. proletarischen,
+wirtschaftlich konstituierten Gesellschaft" (1974, 217) spricht
+Luhmann im gleichen Ton wie ein Raketenkonstrukteur von den Bemhungen
+des Schneiders von Ulm; vom "negatorische(n) Apparat brgerlicher
+Gesellschaftskritik im Sinne von Rousseau, Hegel oder Marx" (1979,
+105) wie von einem berflssigen Ballast, dessen man sich tunlichst
+entledigen sollte. Zwar konzediert Luhmann diesem Theorietypus das
+"Erstgeburtsrecht als reflexive Theorie", doch bem„ngelt er
+gleichzeitig "die eigentmliche Schmalspurigkeit, die zu geringe und
+zu unbestimmte Komplexit„t, die Fixierung auf wenige Gesichtspunkte,
+an die man mit vermeintlich eindeutigen Effekten Negationen anknpfen
+kann" (1982, 193).
+
+ Die Grnde fr diese absch„tzig-distanzierende Haltung sind rasch
+benannt. Die Theorie der brgerlichen Gesellschaft, sowohl in ihrer
+affirmativen als auch in ihrer kritischen Gestalt, ist nach Luhmann
+die letzte in einer Serie von Selbstthematisierungen des
+Gesellschaftssystems, die die Gesellschaft unzureichend, n„mlich auf
+der Basis ontologischer und anthropologischer Pr„missen zu begreifen
+versuchte. Im Gegensatz zu der bis auf Aristoteles zurckgehenden
+'alteurop„ischen' Lehre, welche die Gesellschaft als societas civilis,
+d.h. als prim„r politisch konstituierte Ordnung verstand, habe die
+Theorie der brgerlichen Gesellschaft zwar neues Terrain betreten,
+indem sie den Akzent auf das Wirtschaftssystem verlagert habe; doch
+seien die anthropologisch-ontologischen Begrndungsmuster im Prinzip
+beibehalten worden. Wie die Aristoteliker den Primat der Politik,
+h„tten auch die brgerlichen Theoretiker den Primat der ™konomie mit
+Naturbegriffen begrndet und ihre Gesellschaftskonzeption darauf
+aufgebaut - wobei es nach Luhmann eine zweitrangige Frage ist, ob
+diese Naturbegriffe naturrechtlicher oder materialistischer Provenienz
+waren: beide Ans„tze h„tten die Gesellschaft als Aggregat von
+natrlichen Bedrfnissen und Befriedigungsm”glichkeiten konzipiert und
+die Teilsysteme auf dieses Kernsystem bezogen (1974, 142, 206). Marx
+erscheint aus dieser Sicht gleichsam nur als Schluápunkt in der
+Selbstthematisierung der brgerlichen Gesellschaft, sein Materialismus
+nicht als Durchbruch zu einer neuen, die brgerliche Welt
+transzendierenden Auffassung, sondern als brgerliche Philosophie par
+excellence (1981, 235). Obwohl Luhmann nicht ausschlieát, daá von der
+marxistisch-sozialistischen Selbstkritik der brgerlichen Gesellschaft
+bestimmte politische Effekte ausgehen k”nnten, h„lt er deren Potential
+doch fr ersch”pft. Ein wirkliches Verst„ndnis, das sich auf der H”he
+der Zeit befindet, ist nach seiner šberzeugung weder von den
+Apologeten der brgerlichen Gesellschaft zu erwarten noch von deren
+Kritikern. Gefordert ist vielmehr eine grundlegende Neuorientierung,
+die die Gesellschaftstheorie von anthropologischen und humanistischen
+Pr„missen abkoppelt und auf ein anderes, die Eigenst„ndigkeit und
+Eigenlogik des Sozialen bercksichtigendes Fundament stellt.
+
+ Nun ist sicher nicht zu bestreiten, daá ontologische Motive in dem
+von Luhmann inkriminierten Sinne eine wichtige Rolle in der
+materialistischen Dialektik spielen: nicht bloá in den kruden
+Varianten, die man in den Lehrbchern des real kaum noch existierenden
+Sozialismus findet, sondern schon bei Marx, der seine
+Revolutionstheorie vollst„ndig auf eine Ontologie der Arbeit grndet,
+und auch bei Adorno, der im Gebrauchswert das "Ineffabile der Utopie"
+sieht und seine Kritik am brgerlichen System auf die Idee eines
+"Vorrangs des Objekts" sttzt (vgl. GS 6, 22, 184ff.). Was indes die
+Darstellung dieses System betrifft, die Untersuchung seines inneren
+Baus, so greift Luhmanns Kritik zu kurz. Weder Marx noch Adorno
+benutzen Naturbegriffe oder ontologische Argumente. Vielmehr zeigen
+sie pr„zise, daá die brgerliche Gesellschaft anstatt auf der
+konkreten Arbeit oder dem Bedrfnis auf der Abstraktion von der Arbeit
+und vom Bedrfnis beruht, auf Verh„ltnissen, die sich hinter dem
+Rcken der handelnden Personen herausbilden und sich zu einem
+hochkomplexen Gefge verdinglichter und subjektivierter Bestimmungen
+entfalten. Daá Luhmann dies im brigen nicht ganz fremd ist, zeigt
+sich an solchen Stellen, an denen er auf Marxsche Analysen (wie etwa
+die des Geldes) rekurriert und ihnen "ihr volles Recht" bescheinigt
+(1980, 253f.).
+
+ Luhmanns Vorschlag, die Gesellschaft unter Absehung von allen
+empirisch-materiellen Elementen zu definieren, kann man unter diesen
+Umst„nden wohl kaum als die kopernikanische Revolution begreifen, als
+die er ihn pr„sentiert. Weit davon entfernt, die dialektische Theorie
+durch einen radikalen Paradigmenwechsel zu berholen, wiederholt er
+lediglich (ohne allerdings die Begrndung mitzuvollziehen) deren
+Einsicht, daá der gesellschaftliche Lebensprozeá unter brgerlichen
+Produktionsbedingungen in doppelter Gestalt erscheint: als
+gegenst„ndlich-materielle, aber private Produktion einerseits, als
+gesellschaftlicher, aber immaterieller Zusammenhang andererseits.
+Konkret und privat im Sinne von ungesellschaftlich, das sind nach
+Luhmann die Individuen, die als autonome, 'autopoietische' Systeme
+"auáerhalb aller sozialen Systeme" operieren und dabei, obwohl
+wesentlich Bewuátsein, doch einen engen Bezug zum organisch-
+materiellen Leben haben (1985, 359, 296f.). Die Gesellschaft hingegen
+ist Kommunikation und nichts als Kommunikation. Sie konstituiert sich
+zwar aus den Erwartungen und Kommunikationen psychischer Systeme, geht
+aber in dieser ihrer Genesis nicht auf, bildet "eine freischwebend
+konsolidierte Realit„t, ein sich selbst grndendes Unternehmen" (ebd.
+173), eben 'reine' Kommunikation.
+
+ "Ganz grob kann man das System der Gesellschaft charakterisieren als Gesamtheit der freinander zug„nglichen,
+kommunikativ erreichbaren Erlebnisse und Handlungen. Kommunikation verwebt die Gesellschaft zur Einheit" (1981, 309).
+AAF
+ Ersetzt man Kommunikation durch Zirkulation, so hat man exakt die
+Marxsche These, nach der die brgerliche Gesellschaft ihre Einheit und
+ihren Selbstbezug allein verm”ge der Ausdifferenzierung einer
+eigenst„ndigen Sph„re der abstrakten Allgemeinheit neben und auáer der
+empirisch-materiellen Dimension der Produktion und des Konsums
+herzustellen vermag.
+
+ Die eigentliche Differenz zwischen Systemtheorie und Dialektik
+liegt deshalb nicht darin, daá die erstere Gesellschaft auf
+Kommunikation reduziert und alle nichtkommunikativen Elemente, die mit
+der Aneignung der Natur zusammenh„ngen, eskamotiert (so Ganámann
+1986a, 148ff.). Daá in der brgerlichen Gesellschaft die in der
+Produktion erfolgende Naturaneignung nicht unmittelbar
+gesellschaftlich ist, es vielmehr erst durch die Vermittlung der
+Zirkulation wird, ist schlieálich der Kardinaleinwand der Marxschen
+Theorie gegen die Warenproduktion. Die Differenz liegt auf der
+methodischen Ebene, in der Art und Anordnung der Kategorien, aus denen
+das brgerliche System besteht. W„hrend fr die Kritische Theorie
+Gesellschaft eine Vermittlungskategorie ist, die zwar nicht im
+identischen Subjekt-Objekt, wohl aber in einer konstitutiven Struktur
+(dem 'Wesensgesetz') grndet und von diesem 'inneren Kern' her
+rekonstruiert werden muá, lehnt Luhmann einen solchen Ansatz ab. Da er
+den Strukturbegriff nur in der Fassung kennt, wie er innerhalb der
+funktionalistischen Tradition durch Parsons und Merton berliefert ist
+- als Manifestation invarianter, nichtkontingenter Beziehungen
+zwischen Elementen (1985, 377ff.) -, kann er der Struktur allenfalls
+im Hinblick auf vormoderne Gesellschaften einen privilegierten Rang
+zugestehen; fr die moderne Gesellschaft dagegen erscheint ihm die
+Struktur, von dieser Pr„misse her durchaus konsequent, als gegenber
+der Funktion von zweitrangiger Bedeutung. Die Einheit der modernen
+Gesellschaft, so konstatiert er, existiere nur in der Differenz der
+Funktionssysteme:
+
+ "sie ist nichts anderes als deren wechselseitige Autonomie und Unsubstituierbarkeit. Sie ist nichts anderes als die Umsetzung
+dieser Struktur in ein Miteinander von hochgetriebener Unabh„ngigkeit und Abh„ngigkeit. Sie ist, mit anderen Worten, die dadurch
+entstandene, evolution„r h”chst unwahrscheinliche Komplexit„t" (1986, 216f.).
+AAF
+ Diese Auffassung darf nun nicht so verstanden werden, als gebe es
+nach Luhmann kein Gesamtsystem, als sei die Gesellschaft nichts weiter
+als die Summe der von den Teilsystemen erfllten Funktionen. Auch
+Luhmanns Entwurf bleibt insofern der Tradition
+gesamtgesellschaftlicher Theorie verpflichtet, als in ihm der
+Gesellschaftsbegriff Begrndungsfunktionen erfllt, "das heiát den
+Horizont des M”glichen und Erwartbaren definiert und letzte
+grundlegende Reduktionen einrichtet" (1974, 145). Diese
+Begrndungsfunktion manifestiert sich erstens nach auáen, in der
+Abgrenzung des Sozialen vom Nichtsozialen, die durch die
+Unterscheidung von Kommunikation und Nichtkommunikation erreicht wird.
+"Gesellschaft betreibt Kommunikation, und was immer Kommunikation
+betreibt, ist Gesellschaft" (1985, 555). Sie manifestiert sich
+zweitens in der internen Strukturierung, im Aufbau von Teilsystemen,
+die auf bestimmte, nur ihnen zurechenbare Funktionen spezialisiert
+sind. Und sie manifestiert sich drittens auch in einem Zugriff auf
+diese Teilsysteme, der dafr sorgt, daá sich keines derselben auf
+Kosten anderer Teilsysteme totalisiert: z.B. durch Einbau von
+Beschr„nkungen in die Reflexionsstruktur der Teilsysteme (1977, 245).
+Insofern kann auch Luhmann von der "Einheit der Gesellschaft" sprechen
+und Dimensionen angeben, in denen diese Einheit sich zeigt (vgl. 1974,
+147, 149; 1985, 37f.; 1986, 202, 205).
+
+ Der Unterschied zur dialektischen Theorie liegt darin, daá diese
+Einheit den Ph„nomenen „uáerlich bleibt, mit ihnen nicht vermittelt
+ist. Gelangt fr Adorno die gesellschaftliche Determinierung in den
+Ph„nomenen selbst zum Ausdruck, so daá die deutende Analyse das
+Einzelne auf sein Allgemeines hin durchsichtig zu machen vermag, so
+rutscht sie bei Luhmann gleichsam zwischen die Ph„nomene, in die
+"Interdependenz und (den) Abstimmungszwang unter den Folgeproblemen
+st„rkerer Differenzierung" (1974, 147). Die Teilsysteme sind in der
+modernen Gesellschaft per definitionem nicht Manifestationen der
+Gesamtgesellschaft bzw. der konstitutiven Struktur, sie sind
+Manifestationen einer Funktion und damit gerade nicht des Ganzen; daá
+sie gleichwohl einem bergeordneten Zusammenhang angeh”ren, zeigt sich
+nicht in ihnen selbst, sondern nur in ihrer Umwelt, in der
+Mannigfaltigkeit innergesellschaftlicher System-Umwelt-Differenzen.
+Von hier aus wird die eigenwillige, der Auffassung Adornos kontr„r
+entgegengesetzte Deutung verst„ndlich, die Luhmann dem
+traditionsreichen Begriff der Integration verleiht:
+
+ "Mit dem šbergang von segment„rer zu schichtenm„áiger und von schichtenm„áiger zu funktionaler Prim„rdifferenzierung
+des Gesellschaftssystems „ndert sich die Zugriffsform des gesamtgesellschaftlichen Systems auf die Teilsysteme; sie verlagert sich
+von den Strukturen der Teilsysteme auf ihre innergesellschaftliche Umwelt. Die Gesellschaft kann bei zunehmender Komplexit„t
+immer weniger garantieren, daá alle Teilsysteme unter gleichen Strukturen gleichf”rmig operieren und sich aus diesem Grunde
+nicht berm„áig belasten. Integration muá vielmehr dadurch vermittelt werden, daá alle Teilsysteme freinander
+innergesellschaftliche Umwelt sind. Ein Teilsystem geh”rt dann weniger dadurch der Gesellschaft an, daá es in seiner Strukturwahl
+sich nach den Erfordernissen, Werten oder gar Normen richtet, die fr alle Systeme gelten, sondern dadurch, daá es sich an einer
+nichtbeliebig geordneten, als Gesellschaft garantierten und vorstrukturierten Umwelt auszurichten hat" (1977, 243f.).
+AAF
+ Gegenber diesem Ansatz sind unterschiedliche Reaktionsformen
+m”glich. Man kann ihn in toto zurckweisen und von auáen her, etwa vom
+Standpunkt einer dialektisch-materialistischen Konzeption, monieren,
+daá Luhmann der Oberfl„che der brgerlichen Gesellschaft verhaftet
+bleibt und beispielsweise auáerstande ist, den Geldfetisch zu
+durchschauen (Blanke/Jrgens/Kastendiek 1975, 381ff.; Giegel 1975,
+96ff.; Ganámann 1986). Das mag zutreffen, endet aber in den meisten
+F„llen mit einer Rehabilitation eben jener Philosophie der Arbeit,
+deren mangelnde Tragf„higkeit Luhmann wohl zu Recht herausstellt. Man
+kann ferner immanent-kritisch fragen, ob Luhmann sein eigenes
+"postdialektisches Forschungsprogramm" realisiert und Analysen
+entwickelt, aus denen hervorgeht, wie die Gesellschaft die ihr
+zugewiesene Aufgabe der Einregulierung der innergesellschaftlichen
+Umwelt erfllt; wobei man dann feststellen wird, daá sich der sonst so
+beredte Autor an dieser 'theoriebautechnisch' so wichtigen
+Scharnierstelle in Schweigen hllt. Jedenfalls hat Luhmann
+bemerkenswert wenig Energie daran gesetzt, den "Leerplatz" zu fllen,
+den er schon 1970 an der Stelle einer den heutigen Verh„ltnissen
+angemessenen Theorie des Gesellschaftssystems entdeckte (1974, 152).
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